Vor zwei Tagen noch war ich völlig im Dschum. Quatsch, das klingt viel zu niedlich für die Wucht und Vielgestaltigkeit meiner Empfindungen. Besser, wenn vielleicht auch nicht präziser: Ich befand mich in anderen Zuständen. In einem Raum, der sich wie die Ewigkeit anfühlte, nein, ebenso falsch, nicht ich flottierte durch einen sich ins Unendliche erstreckenden Raum, sondern irgendetwas von mir, ein Fragment, für das mein vertrauter Name nicht mehr richtig zu passen schien, so wie auch der Raum verändert war, sich ausdehnte zu etwas vollkommen Ungekanntem. Ins Uferlose.
Womit ich bereits beim ersten Problem bin. Wie kann man eine Erfahrung in Worte fassen, die jede Sprache ausfransen lässt? Die meine Neigung, meine Wahrnehmungen zu formulieren, in gleichem Ausmaß auflöst wie meine übliche Wahrnehmung von mir, meinem Körper, meinem Ich?
Problem Nummer zwei: Angenommen, diese Erfahrung entzieht sich nicht dem Darstellbaren – dann bleibt trotzdem die Frage: Wie viel von dieser Erfahrung, für die mir selbst der Begriff „Intensität“ flach und unzulänglich erscheint, will ich preisgeben? Andererseits, muss ich mich denn schämen, wenn mein Ich mir derart ungestüm tiefgreifende Innenansichten zugesteht? Ist mein Ego größer als mein Ich oder kleiner, dass es mir etwas verbieten oder erlauben könnte? Was macht mein Ich überhaupt aus? Mein Bewusstsein? Und woran liegt es, dass ich nun, am Ende dieses siebenmonatigen Experiments, so ungeheuer erleichtert bin, dass der Spuk vorbei ist? Vielleicht an meinem sich irgendwie sperrenden, zu großen oder zu kleinen Ego? Ich wusste ja nicht, welche gewaltige Welle auf mich zurollen würde, sonst hätte ich mich nie getraut. Daneben bin ich dankbar dafür, dass ich es durchgezogen habe, obwohl ich zwischendrin mehrmals abbrechen wollte. Was trieb mich nur dazu, die Reise fortzusetzen: freiwillig wieder und wieder die Kontrolle über mein Denken und Fühlen abzugeben (an wen auch immer)? Meine bewährte Welt in Scherben fallen zu sehen? Und wo, an welchem Punkt, kommen eigentlich Freuds berühmte Begriffe vom Ich, Über-Ich und Es ins Spiel?
So viele Fragen und keine herkömmlich klaren Antworten. Könnte es sich nicht exakt darum drehen: Fragen zu stellen, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt? Ein für alle Mal zu begreifen, dass alles im Fluss ist, in einer steten Veränderung und dennoch weiterbesteht, als Elementarteilchen? Zu akzeptieren, dass nichts auf der Welt, kein Baum, kein Strauch, kein Käfer, seelenlos ist, auch wenn mein Wachbewusstsein es mir nicht gestattet, das Wesen der Dinge wahrzunehmen?
Ich ahne, wie spinnert das alles klingt. Und glaube dennoch, dass der Versuch wichtig ist, mit meinen Mitteln nachzuvollziehen, worum sich die jüngste Forschung mit bewusstseinserweiternden Drogen bemüht: dem Ungreifbaren eine Form zu geben.
Und eines wenigstens ist mir von Anfang an sonnenklar, bei aller Dürftigkeit von Worten – auf das Wörtchen „Ich“ werde ich nicht verzichten können. Ohne geht es einfach nicht, im Gegenteil, es geht allein darum. Wenn stimmt, dass LSD es möglich macht, sich aus den ausgefallensten Gesichtswinkeln zu betrachten, in vielen (Zerr-)Spiegeln, muss es auf eine „Selbstbespiegelung“ hinauslaufen – jeder einzelne Trip und jedes nachträgliche Deuten dessen. Denn die Natur der Droge liegt ebengerade darin, einen in sein Zentrum gleiten zu lassen, sogar dann noch, wenn sie das Ich schon hat verschwinden lassen.

Erkenne Dich selbst

Kein Zufall, dass schon die Griechen in der Antike regelmäßig psychoaktive Substanzen zur Selbsterkenntnis genutzt haben. „Erkenne dich selbst“, sagt das Orakel von Delphi – wusste es womöglich um die Wirkung von Entheogenen (auch der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet „das Göttliche im Innern hervorbringend“)? Oder formuliert das Orakel einen Anspruch, der von niemandem je absolut eingelöst werden kann? Gar nicht eingelöst werden will? Schließlich: Wie viel und was in meinem Leben hatte ich bisher vergessen – vielleicht ja aus gutem Grund? Wird das Halluzinogen LSD nicht deshalb in der posttraumatischen Behandlung erprobt: weil es Verdrängtes an die Oberfläche des Bewusst-
seins spült? Es dem Bewusstsein alle alten Schleichwege abschneidet?
Vor allem aber, war ich überhaupt reif für dieses Abenteuer im Dienste der Wissenschaft? Riskierte ich nicht viel zu viel, nicht weniger als mein Seelenheil der letzten fünfzig Jahre?
Stopp, der Reihe nach. Ich halte mich am besten an die reine Chronologie der Ereignisse – ungeachtet meines jetzigen Wissens, dass die kontinuierliche Abfolge der Zeit das Erste sein würde, was über die Leitplanken meines Bewusstseins flöge. Geschenkt.
Letztes Jahr also las ich in der „Financial Times“ einen Artikel über den kalifornischen Wissenschaftsjournalisten Michael Pollan, dessen Buch „How to change your mind“ gerade veröffentlicht worden war. Darin erzählte er von der Renaissance der Forschung mit Psychedelika, vor allem mit LSD und Psilocybin (geläufiger unter „­Magic Mushrooms“), insbesondere in den USA und England. Auch davon, dass er – kurz nach seinem sechzigsten Geburtstag – einige wenige Selbstversuche unternommen hatte, um zu verstehen, was unter ihrem Einfluss passiert. Er hatte den Stoff im ­Geheimen nehmen müssen, geleitet von Menschen, die sich als Schamanen, Psychonauten, als Reiseführer der außer­ordentlichen Art bezeichneten, da LSD seit 1966 in den USA verboten ist.
Die damalige US-Regierung hatte LSD als Teufelszeug verurteilt, als Droge der übelsten Sorte, die eine komplette Generation rebellisch gemacht habe – Präsident Richard Nixon erklärte Timothy Leary, den LSD-Guru der Hippies, zum gefährlichsten Mann Amerikas.
Manche Wissenschaftler verwandelten sich damals tatsächlich in Verkünder einer neuen Lehre. Leary hatte als Psychologieprofessor 1960 das „Harvard ­Psilocybin Project“ ins Leben gerufen. Und verirrte sich später in seiner Begeisterung für psychedelische Drogen, indem er anstatt Opium fürs Volk LSD an gesamte Landesbevölkerungen verteilen wollte, um so, wie er meinte, die Welt zu einem besseren, friedlicheren Ort zu machen. Daher landete er nicht nur außerhalb jeglicher universitären Ordnung, sondern sogar im Knast.
Während die Flower-Power-Bewegung LSD als Mittel zur Erleuchtung pries, testete es der Psychiater James S. Ketchum im Auftrag der Army als chemischen Kampfstoff, der eine „Cloud of Confusion“, eine Wolke der Verwirrung, über den ­militärischen Feind bringen sollte.
Der „Summer of Love“ zählt zu den amerikanischen Legenden, aber welches schwere Vermächtnis er noch fünfzig Jahre später birgt, besonders für die LSD-Forschung, das lese ich erst bei Pollan: All die Mythen – von freier Liebe, Trips voller Paranoia samt reihenweiser Suizide in überbordender Hochstimmung – setzten mehreren Jahrzehnten erfolgreicher Forschungsarbeit ein jähes Ende.
Bis 1965 hatte man mehr als eintausend, oft sehr vielversprechende Studien zur Wirksamkeit von LSD als Medikament durchgeführt, zum Beispiel gegen Alko­holismus, Nikotinsucht und Zwangsneurosen. Danach: fast vierzig Jahre lang nichts. Jeder Wissenschaftler, der nicht als unseriös abgestempelt werden wollte, ließ die Finger davon.
Nach der Lektüre des „FT“-Artikels beherrschten mich zwei Gedanken: Zum einen wollte ich es Pollan unbedingt gleichtun – das am eigenen Leib erleben, von der Entrücktheit kosten, wenn irgend möglich aber „unter kontrollierten Bedingungen“. Zum anderen hielt ich die Beschwörungen vom Dämon LSD für nichts als geschickte Regierungspropaganda, um es als harte illegale Droge deklarieren zu können.
Ich kannte durchaus die Fotos vom kollektiven Abtauchen der Achtund­sechziger, auch deren künstlerische Auswüchse, Schlachtlieder wie John Lennons „Lucy in the Sky with Diamonds“ oder Carlos ­Santanas Woodstock-Song „Bad Trip“. Oder die regenbogenbunte, verschlungene Op-Art von Victor Vasarely, Robert Crumbs Comics aus dieser Zeit und die rauschhaften ­Romane von William S. Burroughs, Hunter S. ­Thompson und Richard Brautigan, die aus einem einzigen Assoziationsgewitter hervorgegangen zu sein scheinen.

LSD als Medikament

Was ich bis dahin nicht wusste – wer schon alles auf einen Trip gegangen war und zu welch unterschiedlichen Zwecken. Steve Jobs, der sich über seinen Konkurrenten Bill Gates lustig machte, weil der daraus nicht, wie er, bahnbrechende Erkenntnisse für seine individuelle wie für die Entwicklung der digitalen Welt geschöpft habe. Im Internet zirkuliert sogar die Behauptung, für Francis Crick, der 1962 mit James ­Watson und Maurice Wilkins den Medizin­nobelpreis für die Entdeckung der DNA-
Struktur erhielt, habe die Doppelhelix bloß mittels LSD Gestalt angenommen.
Psychoanalytiker wie Stanislav Grof begannen damals, LSD einzusetzen, um verdrängte Kindheitstraumata ihrer Patienten aufzuspüren und sie ihre Geburt ein zweites Mal durchleben zu lassen. Von ihm stammt der Satz: „Was das Mikroskop für die Biologie ist oder das Teleskop für die Astronomie, das ist LSD für die Bewusstseinsforschung.“
Worauf Leute wie Anaïs Nin, Jack ­Nicholson, Stanley Kubrick wie verrückt Trips schmissen. Cary Grant, den ich aus seinen Filmen als gutmütigen Trottel kannte, sagte 1959 öffentlich, nach mehr als sechzig Trips fühle er sich „wiedergeboren“.
Als ich anfange, mich eingehend mit der Theorie zu LSD zu beschäftigen, erfahre ich, warum man heute von einer „Renaissance“ in der Wissenschaft spricht. Und gelange schnell an die europäischen ­Experten, die – nachdem der Basler ­Sandoz-­Chemiker ­Albert Hofmann ­Lyserg­säurediethylamid 1938 erstmalig aus dem Getreidepilz des Mutterkorns ­synthetisierte –, seine Forschung neu aufgenommen haben. Fünf Jahre nach seiner Entdeckung gab Hofmann dem Impuls nach, es könnte darin mehr als ein Kreislaufstimulans für Gebärende stecken, und stellte es abermals im Labor her. Dabei muss aus Versehen etwas LSD an seinen Fingerspitzen kleben geblieben sein, wie er in seinem Buch „LSD – mein Sorgenkind“ vermutete. Es drang über die Haut ein, wonach er „ungewöhnliche Empfindungen“ an sich bemerkte. Im selben Jahr, am 19. April 1943, wagte der 37-Jährige daher einen Selbstversuch mit 250 Mikrogramm LSD: Dieser Tag wurde als „Bicycle Day“ bekannt, weil Hofmann unter dem halluzinatorischen Einfluss wankend nach Hause geradelt war.
Ein anderer Pionier der Schweizer LSD-Forschung ist Peter Gasser. Der Solothurner Psychiater und Psychotherapeut mochte nach einzelnen, für den sogenan­nten „Compassionate Use“ bewilligten, Anwendungen bei Patienten und seinem persönlichen Trip Ende der Achtzigerjahre nicht davon lassen – für ihn barg der Stoff ein enormes Potenzial als Katalysator für Psychotherapien. Schon deswegen, weil er an sich erfuhr, dass „Emotionen etwas Körperlich-Sinnlich-Wahrnehmbares“ seien: LSD habe ihm Empathie für seine Patienten beigebracht.
Umso mehr missfiel ihm, dass der amerikanische „War on Drugs“ LSD zu einem der Hauptfeinde erklärt hatte, sagt der 59-Jährige: „Man hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, indem man vor fast fünfzig Jahren LSD als Medikament verbot – ohne hinreichende Begründung.“
Darum ist er froh, dass das Schweizer Bundesamt für Gesundheit und Swiss­medic ihm 2017 eine Vierjahresstudie in Zusammenarbeit mit dem Unispital Basel genehmigt haben: Seitdem darf er Angstpatienten über zwei Halbjahre hinweg nach vielen Vorgesprächen LSD geben.
Gassers Patienten fallen in zwei Untergruppen. Die einen sind lebensbedrohlich erkrankt und sollen sich mithilfe von LSD einen leichteren Umgang mit ihrer Angst vor dem nahenden Tod aneignen. Die anderen leiden unter „psychischen Angsterkrankungen“. Endgültige Resultate werden zwar erst gegen 2022 vorliegen, aber die bisherigen Ergebnisse lassen das Weiterforschen lohnend erscheinen. Ein Patient starb im Frieden mit sich und seiner Krankheit, nachdem er die LSD-typische Ichlosigkeit erfahren hatte.
Diese „Selbsttranszendenz“, die durch LSD fühlbar wird, das Loslassen des eigenen Egos und die Verwandlung seiner selbst in eine andere Daseinsform, kann einem die Angst vor dem Verfall des Körpers nehmen.
nichts verharmlosen
LSD sei ein fantastisches Medikament, praktisch ohne körperliche Nebenwirkungen, sagt Gasser, und ohne die Gefahr, physisch oder psychisch abhängig zu machen. In seine Stimme schleicht sich der Ton eines Fans. Aber er verliert sich nicht im Schwärmen: Verharmlosen dürfe man das Risiko, dass es eine schwere Psychose, ähnlich der Schizophrenie, auslösen könne, keinesfalls. Obschon, so schränkt er ein, Menschen mit dieser Veranlagung nicht mehr als ein Prozent der Bevölkerung ausmachten. Sonst würden von den schätzungsweise 10.000 Schweizern, die sich jeden Monat auf Partys und in Clubs Papierchen mit LSD auf der Zunge zergehen lassen, weitaus mehr gesundheitliche Schäden davontragen.
Nichtsdestotrotz sind die Erzählungen von Flashbacks, von Horrortrips, von Anfällen schwerer und anhaltender Paranoia bis heute ungemein mächtig. Kein Wunder, dass Peter Gasser von dem Pharmakologen Matthias Liechti, der seit 2013 ebenfalls mit LSD forscht, als „mutig“ spricht.
Gleich zu Beginn unseres Gesprächs im Universitätsspital Basel erzählt mir Professor Liechti, dass sein Team rund drei Jahre lang Medienanfragen zu seiner Forschung abgelehnt habe, um die Pferde nicht scheu zu machen. „Das Thema ist so besetzt, trotz der wissenschaftlichen Tradition bei uns in der Schweiz, dass wir unsere Forschung nicht gefährden wollten, bevor wir in Fachzeitschriften gute Resultate präsentieren konnten.“
Er gibt mir einen kurzen Abriss über den Forschungsstand: Am längsten in der Schweiz experimentiert der Psychiater Franz X. Vollenweider am Zürcher Burghölzli mit Psychedelika. In England arbeitet nach zwanzig Jahren Stillstand eine Gruppe um den Psychopharmakologen David Nutt daran, mit bildgebenden Verfahren die Regionen im Gehirn zu identifizieren, die bei Ich-Auflösung und Halluzinationen aktiviert sind.
Auch die Forschungsgruppe um Matthias Liechti hat Probanden auf dem Hoch des Trips in die MRT-Röhre geschoben; in mehreren Studien wurden zudem gesunde Probanden ausführlich zu ihrer LSD-­Erfahrung befragt. Weltweit liefen zurzeit aber vor allem Versuche mit der LSD-ähnlichen Substanz Psilocybin, sagt Liechti, da dessen Ruf weniger belastet sei.
Er sei durch und durch Pharmakologe, kein Psychologe, betont der 49-Jährige: Er verkläre LSD nicht als Wundermedikament, sondern wolle nüchtern prüfen, welche Dosis welche Wirkung erzeuge. Insofern könne er sich nicht vorstellen, dass die Verzückung im Silicon Valley, wo das Microdosing momentan sehr en vogue ist, durch mehr als einen Placeboeffekt zustande käme – aus pharmakologischer Sicht könnten derartige Mikrodosierungen eigentlich kaum etwas ausrichten. Zumal LSD in hohen Dosen die Konzentrationsfähigkeit deutlich herabsetze, warum sollte es in winzigen Mengen diese dann erhöhen? Selbstverständlich aber warte er die Ergebnisse der Kollegen zum Microdosing ab: ob die Tech-Nerds in Kalifornien ihre angekurbelte Fantasie nicht zu Recht auf die LSD-Kleinstdosierungen schöben.
MDMA (Ecstasy) und Ayahuasca sind weitere Forschungsgegenstände geworden; auch Liechtis Gruppe experimentiert mit MDMA. Ayahuasca, der bittere Sud aus dem Amazonasgebiet, hat aber auch Jünger fern der Wissenschaft gefunden, die ihn in Gruppen, mit Kotzeimern ausgestattet, als Achtsamkeitsritus zelebrieren.

Gegen Depressionen

Überall auf der Welt falle LSD heute unters Betäubungsmittelgesetz, sagt Liechti, dabei sei es eigentlich kein Betäubungsmittel. Es sei an der Zeit, dem „anekdotisch gefütterten Negativimage“ von LSD endlich wieder wissenschaftliche Sachlichkeit entgegen zu setzen. Schließlich zeichne sich schon jetzt ab, wie groß die therapeutische Bandbreite der Halluzinogene sei. Gegen die Volkskrankheit Depression zum Beispiel wurden sie mit sehr gutem Ergebnis getestet; eine einmalige Gabe Psilocybin führte bis zu einem halben Jahr lang zu einer starken Gemütsaufhellung.
Sowieso muss man kein Verehrer von Psychedelika sein, um sich vor Augen zu halten, dass sich an den Reze­pturen und der bei vielen Patienten geringen Wirksamkeit der millionenfach verschriebenen Antidepressiva seit den Fünfzigerjahren nichts grundlegend geändert hat – genauso wenig an deren oft schweren Nebenwirkungen. Aber die Pharmakonzerne verdienen sich an diesen Medikamenten eine goldene Nase, wogegen das Patent von LSD längst abgelaufen ist.
Matthias Liechti zählt mir in sachlichem Ton die Vorzüge von LSD auf: Eine körperlich schädliche Überdosierung sei quasi ausgeschlossen. Die akuten Nebenwirkungen seien sehr gering. Blutdruck, Puls und Körpertemperatur stiegen leicht; Kopfschmerzen und Übelkeit könnten auftreten. Man sei weiterhin zu den meisten Handlungen in der Lage, und nicht mal ein Kater folge dem Trip. Die psychische Wirkung sei potenziell sehr stark, könne aber auch unangenehm werden.
Aber wie ist es denn nun, will ich von ihm wissen, was ist dran an der großartigen mystischen Erfahrung?
Er beschreibe die Wirkung von LSD gern so: „Stellen Sie sich das wie ein Reset beim Computer vor, der sich aufgehängt hat – der wird nach einem Trip neu hochgefahren!“ Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein.
Auf einmal, mitten im Gespräch, wittere ich die Chance, irgendwann nicht mehr wie die Blinde von der Farbe reden zu müssen – und gestehe Matthias Liechti, wie gern ich einen Selbstversuch starten möchte. Lapidar erwidert der: „Kein Problem, Sie können an unserer laufenden Studie mit gesunden Probandinnen und Probanden teilnehmen.“
Ich schlucke; als ich dennoch nicke, scheint wiederum er überrascht – oh, wendet er ein, das sei aber „heavy“. Ich müsse mich sechsmal für jeweils 26 Stunden am Stück im Studienzentrum aufhalten, mir würden fünf verschiedene Dosierungen verabreicht – 25, 50, 100 und 200 Mikrogramm LSD sowie eine weitere 200-Mikrogramm-Dosis bei gleichzeitiger Gabe von Ketanserin, einem den Effekt von LSD hemmenden Medikament, und einmal ein Placebo. Zudem sei die Reihenfolge der Gaben zufällig und doppelt verblindet.
Bevor ich Angst vor meiner eigenen Courage bekomme, bitte ich ihn, mich auf die Probandenliste setzen zu lassen. Ja, sagt er zum Abschied, dann werde sich seine Mitarbeiterin wegen der Details demnächst bei mir melden.

Ein kaltes Grausen

Kaum zu Hause, kriege ich kalte Füße. Ich kann nicht umhin, Professor Liechti eine E-Mail zu schreiben: Natürlich hätte ich keine kalten Füße bekommen, und doch wolle ich noch mal nachhaken, was er denn mit „heavy“ gemeint habe?
In seiner Antwortmail beruft er sich auf den beachtlichen Zeitaufwand, den eine Studienteilnahme bedeute – dazu komme neben den sechs Studientagen in Basel auch noch das Aufnahmegespräch mit einem Psychiater, ebenso ein Austrittsgespräch mit diesem, und zwischen den einzelnen Studientagen müssten mindestens zehn Tage Abstand liegen. Aber jedem Probanden stehe es frei, jederzeit und ohne Begründung abzubrechen.
Wer A sagt, muss auch B sagen. Oder nicht? Eigentlich sieht mir das gar nicht ähnlich, ich fühlte mich zu Drogen nie hingezogen. Ich habe zu jener Generation Pubertierender gehört, der das Schicksal von Christiane F. leinwandgroß in die Knochen gefahren ist. Die toten Augen von Junkies küssen bis heute eine diffuse Furcht von mir wach. Aber ich bin auch neugierig, am neugierigsten auf Menschen und das, was das Menschsein ausmachen kann. Doch bislang haben mir die legalen Mittel völlig genügt: gute Literatur, gute Gespräche, gute Freundschaften. Und abgesehen von ein paar überschaubaren Versuchen mit Drogen in meiner frühen Erwachsenenzeit hat es mir meine verinnerlichte kleinmütige Aufpasserin untersagt, mich dem ausschweifenden Kontrollverlust hinzugeben.
Auch ich spüre das Gewicht der drei Buchstaben, bin befrachtet von der Geschichte und den Geschichten über LSD. Ich fange an, mich im Bekanntenkreis umzuhören. Da sind einige, die einen Trip geschmissen haben, von denen ich es nie vermutet hätte: Eine sah währenddessen, auf eine Alpwiese gebettet, die Sterne auf sich herunterregnen. Eine tanzte entfesselt über viele lustvolle Stunden. Eine überkam, durch eine gewöhnliche Schweizer Landschaft spazierend, ein kaltes Grausen: in einer entfremdeten, zerstörten Plastikwelt zu leben. Einer – der inzwischen ein therapeutisch bewilligter Sonderfall in der Praxis von Peter Gasser ist – nimmt bei Bedarf Mikrodosen und hat so seinen jahrelangen Cluster-Kopfschmerz bezwungen. Einer genoss LSD mit einem Kumpel, und über Stunden kugelten sich beide vor Lachen. Und ein Freund erlebte zweimal eine Ekstase, die – und an dieser Stelle seines Erlebnisberichts schaut er mich freundschaftlich-besorgt an – seine „Glücksskala“ für alle Zukunft verschoben habe. Seine leise Mahnung vor meinem Reiseantritt: Wenn er es eines Tages bereuen würde, LSD probiert zu haben, dann höchstens insofern, als die Absolutheit seiner LSD-Glückseligkeit alle anderen Glücksmomente aus dem hellsten Licht in eine etwas schattigere Ecke seines Gedächtnisspeichers verschiebe.
Ich schlage seine Warnung in den Wind, dämpfe meine Aufregung – Glückmomente lassen sich kaum gegeneinander aufrechnen. Lieber bin ich bereit, mich an das Fazit einer Kollegin zu halten, die mir aufgrund ihrer LSD-Erfahrung sagte, da käme nie etwas ans Licht, was nicht bereits in einem schlummere. Und, so schreitet meine Selbstbeschwichtigung voran, habe ich je Albträume? Na also – dann müsste ich doch ein halbwegs intakter Mensch sein.

Startrampe ins All

Dann gibt es eh zu tun; ich fahre nach Basel, damit der Psychiater nach unserem Gespräch und einer medizinischen Untersuchung bestätigt, dass ich teilnehmen darf: Niemand in meiner Familie ist an einer Psychose erkrankt, damit bin ich nicht erblich vorbelastet. Dafür bin ich die älteste Probandin, die anderen fünfzehn rekrutieren sich aus dem universitären Umfeld. Die Geschlechterverteilung ist halbe-halbe; ich werde unter den Letzten sein, die das Wagnis eingehen. Die meisten haben ihre Versuchsreihe schon hinter sich, ein, zwei Probanden sind nach dem ersten oder zweiten Studientag ausgestiegen. Die Spitalatmosphäre behagte ihnen nicht für solch ein Erlebnis.
Das leuchtet mir sofort ein, als ich das Zimmer sehe: Steriler kann es nicht aussehen. Ein höhenverstellbares Krankenhausbett, daneben ein medizinischer „Baum“ mit Infusionsflasche, damit einem während des Trips eine Kanüle gelegt werden kann – jede halbe Stunde wird die Konzentration im Blut gemessen werden. Ein Kasten mit hervorquellenden Spritzen, Nadeln, Tupfern, ein Büroschreibtisch, eine Waage, Messlatte, Uhr an der Wand. Ein Waschbecken (ohne Spiegel, vielleicht weil viele während des Trips ihr Spiegelbild schlecht vertragen). Vorm Fenster ein recht dürrer Baum und eine Baustelle.
Die Diskrepanz zwischen der Nüchternheit des Raumes und der Grenzüberschreitung, die mich erwartet, lässt mich grinsen. Und dann ist das Studienzentrum auch noch ausgerechnet in der Schanzenstraße untergebracht! Muss ein Zeichen von ganz oben sein, dass hier meine persönliche Startrampe ins All steht. Unten im Parterre aber bremst mich das Schild zur „psychiatrischen Notaufnahme“ sogleich wieder aus.
Die vielen Formulare, die ich für die Studienteilnahme unterschreiben muss, tragen ebenfalls nicht zu meiner Entkrampfung bei. Andererseits, muss man nicht schon vor jeder kleinen OP einem Haftungsausschluss des Spitals zustimmen? Auch muss ich unterschreiben, dass ich mich verpflichte, vor jedem Studientag ab Mitternacht keinen Alkohol, keinen Kaffee, schwarzen Tee, keine Schokolade zu mir zu nehmen, mit leerem Magen zu kommen, weil mein Trip standardisiert anlaufen soll. Na ja, immerhin sind das die kontrollierten Bedingungen, die ich mir ausgemalt hatte. Und während des zwölfstündigen Trips wird unentwegt eine Betreuerin im Raum sein. Außerdem würde vom frühen Abend bis zum nächsten Morgen eine Nachtwache darauf aufpassen, dass ich sicher wieder in meinem Alltagsbewusstsein lande. Sollte etwas kolossal schiefzugehen drohen, würde mir eine Ärztin ein Benzodiazepin verabreichen, und jede Panik schwände innerhalb von Minuten.
Ebendas scheint mir das Reizvollste an der Versuchsanordnung: dass die Dosis-Studie doppelt verblindet ist. Weder die medizinische Leitung noch ich als Probandin werden wissen, in welcher Reihenfolge ich die einzelnen Dosierungen erhalte. Erst am Ende, bei meinem Austrittsgespräch mit dem Psychiater, wird der einen Briefumschlag öffnen und verraten, welche LSD-Dosis ich wann bekommen habe.
Meine größte Angst vor jedem Trip: Dass das, was gut war, danach auf einmal nicht mehr gut sein könnte, im schlimmsten Fall die Kehrseite. Dass ich mich nicht länger für eine vernunftbegabte Enthusiastin halten kann.
Dann besuche ich Katrin Preller, die seit zehn Jahren zusammen mit Franz X. Vollenweider psycho­aktive Substanzen an der Psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich erforscht. Vor allem, um vor meinem ersten Mal auszuloten, ob ein spezieller Charakter anfälliger ist für Horrortrips. Gerade haben sie und ihre Kollegen eine Studie mit Psilocybin an sechzig Patienten begonnen, die unter mittelschweren Depressionen leiden. Auch sie erhoffen sich, dass sich Psychedelika für solche Patienten als probate Medikamente erweisen werden.

Playlist „LuckyTrip“

„Set und Setting“ seien die Schlüsselwörter für die Beschaffenheit eines Trips, sagt mir die 34-Jährige Katrin Preller. Entscheidend sei der Kontext, in dem man LSD nehme, das Setting. Ebenso ausschlaggebend die Verfassung, in der man sich auf den Trip begebe, das „Mindset“. Das heißt, die Vorerwartungen, der seelische Zustand – Ängstlichkeit oder Offenheit gegenüber der Erfahrung –, die gesamte Haltung bestimme, wie man es erlebe. Wenn sie mir einen Rat geben könnte, dann den, mich nicht gegen das, was mich an Eindrücken erreicht, zu wehren, sondern schlicht mitzugehen. Man habe nämlich festgestellt, dass der extrovertierte Persönlichkeitstyp öfter positive Erfahrungen unter LSD mache und die Menschen, die sehr kontrollbedürftig sind, die Ich-Auflösung bei hohen Dosierungen als schrecklich empfinden können.
Und worauf führt sie die offenbar enorm positiven Effekte zurück, die LSD auf schwer angeschlagene Gemüter hat? „Wir wissen noch nicht, welchen Anteil die Erfahrungsqualität des LSD-Trips hat und welchen Anteil die Pharmakologie“, sagt Katrin Preller, „ich persönlich glaube, es ist beides.“ Dadurch, dass der depressive Mensch durch den Trip Distanz zu sich gewinne, entferne er sich längerfristig ein Stück von seiner Dunkelheit. Die Gehirnpartie, das „Default Mode Network“ im Kortex, das für das „autobiografische Selbst“ zuständig ist und für das ständige Grübeln bei Depressionen, könnte neu vernetzt werden. Es sei wie ein Urlaub, bei dem man Abstand zu seinem regulären Leben bekomme und gleichzeitig die sensorische Leistung erhöhe, sodass sich in der Hirnchemie neue Abläufe vollziehen.
Die letzten Nächte vor dem ersten Studientag schlafe ich schlecht; in Basel erscheine ich am Morgen nervös, zugleich bemüht, meine Nervosität nicht über­­hand­­nehmen zu lassen, weil mich das sonst, so die Befürchtung, erst recht schnurstracks in einen „bad trip“ katapultieren wird.
Als mich Friederike Holze, Apothekerin und Leiterin der Basler Studie auf Doktorandinnenseite, in Empfang nimmt, ist mir gleich etwas leichter ums Herz: Sie wird die ganze Zeit an meiner Seite sein. Die 27-Jährige ist so hemdsärmelig-patent wie feinfühlig und nahbar. Friederike wird mir um halb zehn zwei Ampullen geben, in denen entweder Placebo ist oder aber in grässlich schmeckendem, hochprozentigem Alkohol gelöstes LSD, direkt aus dem Labor, das man so rein auf dem Schwarzmarkt nie kriegen würde. Alle darauffolgenden Stunden werde ich im Bett liegen, meine eigens zusammengestellte Playlist „Luckytrip“ über Kopfhörer in mich einsickern lassen – Lieder mit so sprechenden Titeln wie „Freudian Slippers“, „Dances of the Soul“ oder „Lush Life“.
Wie Kalenderkitsch

Und dann geht’s los.

Kaum etwas langweilt mich so, wie wenn mir jemand einen Traum schildert. Deshalb eine kurze Bilanz meiner sechs Versuchstage, sozusagen die Quintessenz meiner Erlebnisse.
1. Trip: Nach der Einnahme merke ich über fünf Stunden lang gar nichts. Bis ich die Bauarbeiten auf dem Spitalgelände, die schon seit morgens laufen, durchs geschlossene Fenster höre: Jeder Spatenstich klirrt plötzlich in meinem Ohr! Prüfend setze ich meine Kopfhörer auf, und zum allerersten Mal in meinem Leben nehme ich Töne dreidimensional, bildlich wahr – synästhetisch: Die Musik erscheint mir zu Schleiervorhängen und spitzenzarten Schichten gewebt, als Stoffe, die aus zum Greifen nah scheinenden Wohlklängen komponiert sind. Ich bin entspannt wie nie zuvor. Oder simpler: Es ist ein bis in den Abend währender immenser Genuss, der mich ergriffen und ehrfürchtig stimmt. Alles zeichnet sich durch Vollkommenheit aus. Nicht zum allerersten Mal, dafür in weit intensiverem Maße spüre ich, wie sehr ich vom Schicksal verhätschelt bin. Oder als Kalenderkitsch ausgedrückt: das unverschämte Glück, zu lieben und geliebt zu werden. Umso komischer, dass ich nach meiner ersten Nacht zu Hause vor Wut auf einen Kollegen, von dem ich geträumt habe, erwache; noch Tage danach bin ich auf Krawall gebürstet (was mich ins Grübeln bringt, ob die US-Regierung 1966 mit dem Gerede vom aufrührerischen LSD wirklich so falschlag).
2. Trip: Meine absolute Bruchlandung. Ich kehre niedergeschlagen davon zurück, weil ich in nichts als einer dumpfen, tauben, übelkeiterregenden Benommenheit zerschellt bin. Weder meine Gefühle noch meine Gedankensplitter haben irgendeine Trennschärfe – und lassen damit auch jedes Echo vermissen. Ich wache schweißgebadet wie aus einem viel zu langen Fiebertraum auf.
3. Trip: Haut mich derartig um, wie ich wahrlich nie zuvor umgehauen wurde, und das in der zweifachen Bedeutung des Wortes: Das LSD fällt in einer ungeahnten Heftigkeit über mich her und blendet mich mit seiner Strahlkraft. Hingerissen geht mir die magische Matrilinearität auf, die weibliche Linie von meiner Mutter über mich zu meiner Tochter. Weitere riesenhafte Einsicht: dass sich die Ewigkeit auf der Uhr zwischen 14 und 15 Uhr abspielt. Noch Wochen nach der Entgrenzung fühle ich mich wie in der Rekonvaleszenz, irrsinnig erschöpft, körperlich wie mental.
4. Nichttrip: Entpuppt sich auf der Stelle als Placebo-Tag. Was mich nervt, weil ich die obligaten 26 Stunden im Basler Spitalzimmer verbleiben muss. Was mich entspannt, weil es mir zusätzliche Karenzzeit zum nächsten echten Trip verschafft.
5. Trip: Ein einziger innerer Freudensprung. Der heiterste, weil vermutlich zweckfreieste Trip: so behaglich schnurrend wie eine Katze auf der Ofenbank. (Doch, daran könnte ich mich schon gewöhnen.) Haupterkenntnis: ab sofort viel häufiger mit Tochter und Mann durchs Wohnzimmer tanzen! Jede Einladung nutzen, das Leben zu feiern!
6. Trip: Sonderbar und verstörend in jeder Hinsicht. Albert Hofmann soll bis zu seinem späten Lebensende mit 102 Jahren immer wieder mit LSD experimentiert – und es dabei zu einer gewissen Meisterschaft gebracht – haben: Je geübter er war, desto schneller konnte er sein Bewusstsein an den Punkt führen, an dem er es haben wollte. Können vier LSD-Portionen schon einen „Trainingseffekt“ haben? Mehr eine Vorahnung als ein Wissen: Die Gewalt dieses Trips wird nachhallen, in welcher Form auch immer. Lauter Bilder von Horror­fratzen. Ich sehe mich und meinen Vater sterben. Wäre es ein Film und ich dessen Heldin wie Antiheldin in Personalunion, träfe es der Titel von Stanley Kubricks Film für mich am direktesten: EYES WIDE SHUT. Anders als beim dritten Mal, dem anderen hochdosierten Trip, aber bin ich hinterher nicht schrecklich kaputt, sondern fühle mich über Wochen belebt und überaktiv. Morgens werde ich ohne Weckerklingeln nach fünf Stunden Schlaf wach und bin tagsüber dennoch putzmunter.

Das muss die Ewigkeit sein

Und nun für alle anderen, an Psychonautik Interessierten, hier die long version zu meinen beiden „großen“ Trips mit 100 und 200 Mikrogramm: Bei den hohen Dosierungen schießt mir schon nach zwanzig Minuten das LSD ins Blut, meine Beine kribbeln wie verrückt. Zittern. Beim ersten Mal ist es anfangs verwirrend, das Licht, das durchs Fenster fällt, wird heller, die Dinge beginnen zu leuchten, die Baumstämme zu atmen, in einem ruhigen Puls.Das LSD hat mich in Brand gesteckt, etwas in mir lodert, alles zerschmilzt in einer Spirale, die in einen Glutkern mündet. Ich bin durchgeschwitzt, mich schaudert es unentwegt, nie war mir heißer. Ich falle aus der Zeit. Verirre mich in ihren Dimensionen. Wann immer ich auf die große Uhr an der Wand des Spitalzimmers blicke, ist es zehn nach zwei am Nachmittag. Zunächst denke ich noch, das kann nicht sein, der Zeiger muss doch vorrücken, dann lässt sich in mir ein kleiner Frieden nieder, nachdem ich für mich beschließe: Das muss die Ewigkeit sein. Und es geschieht ja sowieso alles von selbst, ohne Wollen, ohne Richtung, ohne Kontur. Keine Absicht führt noch irgendwohin, deshalb sage ich mir, dass die Zeit bloß ein Konstrukt meines Gehirns ist – eines, das sich jetzt verflüssigt hat, weggesickert in einen Gully meines Bewusstseins.
Als ich meine Betreuerin bitte, mir wegen meiner starken Übelkeit einen Eimer neben das Bett zu stellen, bin ich überrascht, dass sie es tut – baff darüber, dass ich die Absicht in Worte gepackt habe. Vergangenes, Gegenwärtiges, Zukünftiges strömen ineinander, fallen in eins zusammen, alles wird brüchig. Trotzdem kann ich mir nach wie vor im Handumdrehen ausrechnen, dass ich das LSD vor mehr als vier Stunden eingenommen habe.
Dreht meine Betreuerin am Schreibtisch ihren Kopf, sehe ich das abgehackt, in Einzelbewegungen zergliedert. Den Hubschrauber, der auf dem Dach vis-à-vis landet, dafür in einer Schärfe und wie in Technicolor, selbst die Rettungssanitäter mit der Trage, einige Hundert Luftmeter entfernt.
Und ich bilde mir auf einmal ein, meine Betreuerin ohne Maske zu sehen. Ohne jene Maske, die bei jedem Menschen unmerklich mit der Haut verwachsen ist – das denke ich, ohne zu denken. Und mich ergreift ein Mitgefühl mit ihrer Nacktheit, ohne dass es mir wehtut. Genauso wenig möchte ich das, was darunter freigelegt wurde, studieren – geschweige benennen: Meine sonstige Vorliebe, alles und jeden zu verstehen, mich inklusive, ist wie weggeblasen – egal wie sehr ich im Zeitraffer mit einem kindlich maßlosen Staunen durch die Enden meines Bewusstseins rase. Meine Innenansichten scheinen sich eh ohne mein Zutun einzustellen, kristallklar. Als Gedankenkaskaden, die mir mit unheimlicher Geschwindigkeit durch den Kopf sprudeln.
Wie schön, ich brauche die Erkenntnisse und Sprache nicht mehr für mein Wohlbefinden – alles kann wortlos und wortreich zugleich sein, wirklich und unwirklich, wahr und unwahr, schal und himmlisch, glücksgetränkt und erbärmlich in einem. Alles umfasst mich, alles löst sich auf, und für einen Wimpernschlag bin ich am Boden von etwas sehr Tiefem angelangt, schlage ich am Meeresgrund auf: dort Grabesstille. Geräuschlosigkeit. Leere.
Jetzt schwinde auch ich – zerspringe zu Sprühregentröpfchen. Ich, ohne meinen gewöhnlichen Körper, schaue von unten auf eine Fontäne, die aus einem Springbrunnen in hohem glitzerndem Bogen spritzt, und ich weiß in totaler Fraglosigkeit, dass dieser Sprühregen unverkennbar ich bin – mein Ich, zusammengesetzt aus Hunderten Wassertröpfchen. Eine Einsicht, die mich nicht selig macht, nur erleichtert – ah, ermuntere ich mich, das ist die berühmt-berüchtigte Ich-Auflösung bei den hohen Dosierungen: Die hast du ja schon mal glänzend überstanden. Danach der Gedanke: Du musst deine Gedanken nicht ernst nehmen, lass sie vorbeiziehen, jede Beständigkeit ist dahin.
Bei der zweiten hohen Dosis kann ich nicht mehr unterscheiden, ob ich meinen eigenen Erinnerungen erliege oder in denen meiner Mutter herumkurve. Die Bilder überkommen mich als ungebremste Empfindungen, mir schießt das Wort „übersinnlich“ durch den Kopf, in neuer Gültigkeit: Meine Sinne ragen wie Abertausende kleiner Antennen in die Atmosphäre, vom leichtesten Windhauch in Schwingungen versetzt, und jede einzelne kann ich körperlich spüren. Jedes Gefühl aber ist etwas ganz anderes. Meine eigene Geschichte stülpt sich kopfüber, implodiert und zerrt bei ihrem Bersten einiges mit sich, was mich immer gehalten hat. Andere Teile von ihr werden an die Decke geschleudert, wo sie sich als (Schein-)Einsichten festheften.

Strom von Todesbildern

Danach eine gefühlte Endlosigkeit lang: Todesbilder, in einem einzigen, nicht abreißenden Strom. Schaurige Anblicke, eine fortwährende Abfolge von Monstrosität und Kläglichkeit – vor Eiter triefende, blutende Augen, aufklaffende, fleischig rot wuchernde Wunden, schrundige Elendsgestalten wie aus dem Mittelalter mit zerlumpten Kleidern und verwelkten, ausgezehrten Gesichtern, Haut und Knochen, der Totenschädel eines Vogels mit spitzem Schnabel im Profil, das verdorrte, grätige Seeteufelmaul mit scharfen Zähnen, ausgeweidete Leiber, die Gerippe von Wüstentieren und Kakteen.
Was mich daran zutiefst verblüfft, ist: So sicher ich bin, dass mich die Bilder meinen, sie treffen mich nicht bis ins Mark. Es fühlt sich nicht an wie eine kalte Hölle, sosehr diese meinem Hirn entschlüpften Geschöpfe eine solche auch bewohnen könnten. Die Todessymbole bedrängen mich nicht, lassen mich vielmehr spüren, dass diese von mir mit gewissem Abstand betrachtete Kümmerlichkeit auch zu mir und meinem Wesen gehört.
Einerseits fühle ich mich untröstlich, andererseits genieße ich es, haltlos zu weinen. Es ist eine von vielen paradoxen Empfindungen und Vorstellungen, die ich unter LSD nicht als widerstreitend wahrnehme. Das verdanke ich meiner jetzt nervlich fein synchronisierten Geistesgegenwart und der Fähigkeit, mich von einer Außenposition zu betrachten und gleichzeitig mitten im Erleben, im Fühlen zu sein.
Vielleicht packt mich die Angst, auf einem schlechten Trip hängen zu bleiben, auch deswegen nicht, weil mir Friederikes Beruhigung im Ohr ist, dass der Wirkungspeak der Substanz nach rund drei Stunden überschritten ist und man von da an langsam, über weitere zwölf, dreizehn mildere Stunden, garantiert zurückfinden wird.
Vielleicht – und die Frage stelle ich mir erst Tage darauf – sind zumindest ein paar meiner Trip-Phänomene archetypische, die weniger meiner Biografie entspringen als der kollektiven Menschheitserfahrung. Ich habe keinen Schimmer von Jungs analytischer Psychologie, aber die Tatsache, dass sich manche Bilder in den LSD-Berichten gleichen – von Ernst Jünger bis zu Michel Foucault –, klingt für mich plötzlich schlüssig. Gibt es etwas Übergeordnetes, das uns alle einschließt? Ich bin nicht religiös, aber das Einssein mit dem Universum habe ja auch ich deutlich verspürt, wenn auch am stärksten auf meinem ersten, geringer dosierten Trip. Oder ist dieses quasireligiöse Gefühl auch wieder nur eine Schimäre des Geistes? Kollektives Bewusstsein, Ich, Über-Ich, Ego, all diese psychologischen Konzepte sind für mich jedenfalls auf einmal von Erfahrung gesättigt.
Das mächtigste Gefühl allerdings überfällt mich, als ich sterbe – das Segel, das nun mein Ich ist, steht mit einem Schlag still, und alle Farbe entweicht aus dem Bild. Bei meinem Verschwinden setzt sich eine orangeglimmende Unvergänglichkeit an meine Stelle. Das Bizarre ist, dass ich mich erneut aus einer Distanz beobachte und aus purem Gefühl bestehe.
Auf dem Höhepunkt der Wirkung bin ich zu nichts mehr imstande, obwohl Friederike sagt, ich würde es sicherlich allein auf die Toilette schaffen. Vollkommen in mich gekehrt halte ich ihr immer wieder meinen Arm hin zum Blutabnehmen und Pulsmessen, aber den Fragebogen vermag ich nicht mehr auszufüllen – auf Fragen wie „Fühlen Sie sich verwundbar?“ oder „Möchten Sie jemanden umarmen?“, selbst auf die Frage „Wie sehr scheint die Grenze zwischen Ihnen und Ihrer Umgebung zu verwischen?“ kann ich mir keinen Reim mehr machen. Die Grenze zwischen mir und meiner Umgebung ist nicht verschwommen, sie existiert nicht mehr. Zu sehr bin ich auf mich zurückgeworfen – das Setting, die Spital­atmosphäre, das stundenlange Daliegen, befeuert die Introspektion.

Ich bin gewachsen

Am Morgen nach meinem Finale (und einer traumlosen Nacht) nutze ich heimlich die Messlatte in meinem Spitalzimmer: Ich bin beinahe vier Zentimeter größer als am Tag zuvor!
Derart gewachsen, fühle ich mich beim Hinausgehen in die Basler Betriebsamkeit, als ob ich nach einer langen Reise in meine Wohnung zurückkehre: Die vertraute Umgebung – mein Alltag – erscheint mir merkwürdig fremd. Und es wird von da an noch eine ziemliche Weile dauern, bis ich wieder richtig zu Hause ankomme.
Eine Woche nach meinem Schlussbouquet wird das Rätsel der jeweiligen Dosierungen gelüftet. Bevor der Psychiater den Umschlag mit der Reihenfolge öffnet, fragt er mich nach meinen Einschätzungen.
Ich zähle auf:
1. Tag: 200 Mikrogramm plus hemmendes Ketanserin
2. Tag: 50 Mikrogramm
3. Tag: 200 Mikrogramm
4. Tag: Placebo
5. Tag: 25 Mikrogramm
6. Tag: 100 Mikrogramm
Und bin ein wenig stolz, als er sagt, dass ich mit jeder Dosis richtigliege, als erste seiner Probanden.
Jede einzelne Dosierung besaß für mich eine komplett eigentümliche, einzigartige Farbe – von daher kann ich nun nachempfinden, wie wichtig es ist, mit der Studie diejenige angemessene Dosis zu ermitteln, die im jeweiligen Therapiefall den stärksten Heilungseffekt erbringen wird. Meine Trips hatten nur gemein, dass das LSD (wie bei den meisten anderen Probanden) wie ein Appetitzügler wirkte. Schlimmer noch, mir war durchweg speiübel, glücklicherweise ohne dass ich mich erbrechen musste. Zwang ich mir aus Vernunft ein paar Cracker rein, schmeckten sie fad, und auch mein Geruchssinn schaltete keinen Turbo ein. In einer Hinsicht weiche ich aber ziemlich von meinen Mitstreitern ab; keinmal habe ich optische Halluzinationen, etwa wilde, grelle Farben und Muster gesehen.

Kein Vor-Sich-Hin-Leben

Ungefähr in der Halbzeit meines Experiments lerne ich den Mann kennen, der den Wunsch, diese Erfahrung zu machen, überhaupt erst in mir gepflanzt hat: Michael Pollan. Eine Stunde tauschen wir uns aus. Er gibt zu, mich um die Studienteilnahme zu beneiden – er selbst musste doppelt ins kalte Wasser springen und für seine Trips in den USA auf kriminelle Verbindungen bauen. Einig sind wir uns darin, dass wir nach unseren Erfahrungen einen gehörigen Respekt vor LSD bekommen haben, vor der Zäsur, die es ins Leben schneidet – und dass wir uns beide nicht mehr vorstellen können wie noch zu Beginn unserer Reisen, dass sich diese Art, aufgewühlt zu werden, für jeden gleichermaßen eignet.
Heute, Monate später, finde ich es reichlich unbedarft, wie ich mich auf diese Expedition eingelassen habe – und fühle mich an ihrem Ende trotzdem beschenkt. Mittels reinster Empfindung und unter Ausschluss meiner Ratio hat sie mich das unfassliche Abenteuer erkennen lassen, das dem Leben innewohnt. Man erkennt es, sobald man es wagt, in ungewohnter Flughöhe darüber zu kreisen, und sich über seine irdische Existenz erhebt: für die Dauer von nur wenigen Stunden einmal ans Unendliche rührt (es zumindest kurz antippt).
Mein Vorsatz, den ich für mein Wachbewusstsein fasse, ist Pollans nicht fern: nicht mehr nur so aufmerksam wie nötig durchs Leben gehen, sondern so aufmerksam wie mir möglich.
Ich bilde mir jetzt ein, ein bisschen genauer zu wissen, worauf es ankommt. Zwar klingt es etwas banal: möglichst viele Augenblicke in meinem Leben zu suchen und zu finden, in denen ich mich quicklebendig wähne. Aber das muss nicht zwangsläufig größtmöglichen Genuss bedeuten, ebenso wenig ein ständiges Auf und Ab, sondern vielleicht bloß, das Unangenehme nicht auf Teufel komm raus zu meiden. Immerhin vermag Schmerz einem auch zu veranschaulichen, dass man ein sehr lebendiger Organismus ist. Sicher aber meint es das Gegenteil von Stumpfwerden. Von Vor-sich-hin-Leben.
Die Chancen, glaube ich, stehen gut: Schließlich habe ich auf dem Trip die Bäume atmen sehen. Erstmals wahrgenommen, dass alles um mich herum von Leben erfüllt ist. Habe die Feinheiten, das Fragile unserer Existenz wie die Grob­heiten und Trümmer hautnah erfahren.
Da wäre es ja gelacht, wenn ich ­dieses „erstmals wahrnehmen“ nicht hinüber­retten könnte in mein Alltags­bewusstsein – mir war doch schon vorher, bei substanzungetrübtem Verstand, klar, dass jedes erste Mal vor allem deswegen einen so besonderen Zauber besitzt, weil es im wahrsten, freudvollsten Sinne einem Knick in der Optik gleicht: das erste Mal in Asien; das erste Lächeln meines Babys; der erste Sprung in den See in diesem Sommer.
Dann, in einem der Romane von Elizabeth Strout, lese ich den Satz: „Leben, denke ich manchmal, heißt Staunen.“ Und kapiere, wie recht sie hat. Das ist es! Innerhalb von Stunden zeigt einem das LSD, wie man das Staunen wieder erlernt.
Gewiss gibt es Dutzende andere, heute schon legale Wege – Fasten, Sport, Meditieren, Wandern –, seinen Blick glänzen zu lassen. Doch für all jene, denen diese funkelnde Frische von allein nicht glücken will, die krank und lebensmüde werden, für die enthält LSD deshalb ein großes Versprechen.
Wie hatte es Peter Gasser beschrieben in meinem ersten Gespräch mit ihm, als ich noch unbeleckt war von dieser Erfahrung? „Es verschafft einem einen umfassenderen Zugang zur eigenen Existenz. Dank LSD kann man sehr weit vorstoßen, aber trotz allem bleibt das Leben ein Geheimnis.“
Stimmt, ein ewiges Geheimnis, das einen mehr denn je staunen machen sollte.