Wenn man in die nordafrikanischen Länder reist, ist das gemeinhin immer noch sehr exotisch: Die Basare, die Suks, die Männer im Kaftan, der Ruf des Muezzins, die schaurige Schneckensuppe auf dem Markt von Marrakesch – das alles kann einem Mitteleuropäer immer noch recht fremd anmuten, auch wenn der Trip nach Kairo, Tunis oder Rabat mittlerweile in jedem Neckermann-Katalog beworben wird. Stichwort: Reisen wie in 1001 Nacht.
Um wie viel mehr aber muss der Reisende vor 120 Jahren gefremdelt haben. Verschont von globaler Gleichmacherei, waren diese Länder wie ein anderer Planet. Damals reisten kaum Europäer dorthin, und die, die da waren, beschränkten den Kontakt zur Außenwelt auf das Nötigste. Lieber saßen sie mit ihrem Gin Tonic in schweren Lederfauteuils und räsonierten über die politische Großwetterlage.
Max von Oppenheim war anders. Er hatte keine Lust auf das Leben, das ihm als Spross der Kölner Bankiersfamilie Oppenheim vorbestimmt war. Anstatt dass er sich mit Geldanlagen beschäftigte, zog es ihn um 1890 herum in den diplomatischen Dienst, am liebsten in den Orient. Sein entsprechendes Gesuch ließ Reichskanzler Otto von Bismarck recht schnöde von seinem Sohn beantworten. Und zwar abschlägig: Einen Judenbengel wie Oppenheim könne man dem schneidigen diplomatischen Korps des Deutschen Reiches nicht zumuten.
Der unverhohlene Antisemitismus konnte Oppenheim nicht aufhalten. Als er um 1896 nach Kairo zog, verschmähte er die Kreise der europäischen Expats und zog in das Gewimmel der Altstadt, lernte fleißig Arabisch und suchte sich eine ägyptische Geliebte. In manchen Büchern ist auch von mehreren die Rede.
Oppenheim bereiste in der Folge viele islamische Länder, er zog mit Beduinen durch die Wüste, besuchte Mesopotamien, gelangte nach Bagdad und Basra, Persien und Afghanistan. Fast überall wurde er freundlich aufgenommen, denn einen Europäer, der fließend Arabisch spricht, hatte man dort noch nie gesehen. So saß Oppenheim diskutierend in Zelten, erschoss zur Gaudi der Wüstensöhne Spinnen mit der Pistole und hörte sich die Klagen seiner neuen Freunde über die Kolonialisten aus England, Frankreich und Russland an. Der gewaltige Freiheitswille brachte Oppenheim schließlich auf die geopolitische Grille, für die sein Name bis heute steht: Wie wäre es denn mit einem Heiligen Krieg gegen den gemeinsamen Feind, die Mächte der Entente?
Nicht so toll wäre das, war die Antwort im deutschen Außenministerium in Berlin. Nicht etwa, weil Oppenheims Dschihad keine gute Idee gewesen wäre, sondern weil man von dem Amateurdiplomaten noch immer nichts hielt. Und die guten Ideen wollte man natürlich auch lieber selbst haben.
Nur der Kaiser, bekanntermaßen nicht das hellste Licht am Kronleuchter, konnte sich begeistern. Da hatte er sich schon wegen der anhaltenden Zurücksetzung durch seine britische Verwandtschaft zu dem Englandhasser gemausert, der er zeit seines Lebens sein sollte. „Die ganze mohammedanische Welt wird zum wilden Aufstande entflammt“, fantasierte er in seinem Schloss.
Und so reiste Oppenheim schließlich mit dem sonderlichen Titel „kaiserlicher Beobachter der gesamten islamischen Welt“ durch eben diese, aber so recht ernst nahmen die Mission wohl nur er selbst und ein paar seiner engsten Moslembrüder, die ihm feierlich den Spitznamen „Abu Dschihad“ verliehen.
Dass der Orient aber nicht so mir nichts, dir nichts zu vereinen war, musste Oppenheim schon bald erfahren: So stieß er in Afghanistan auf einen Emir, der zwar gern mit ihm an der Shisha saugte, dem aber die Deutschen ebenfalls ein Buch mit sieben Siegeln waren – jedenfalls keine verlässlichen Konfidenten für einen Dschihad oder was immer dieser sympathische Weiße vorhatte. Auch auf deutscher Seite gab es weiterhin Vorbehalte, sich mit den Muslimen zu verbünden. Die seien zwar immer noch besser als die Neger in den afrikanischen Kolonialgebieten, so die Meinung der Berliner Suprematisten, aber eben doch alles in allem eine minderwertige Bagage, deren Armee in „Uniformstücken aus dem Altkleiderhandel“ vor sich hin dilettiere. Eine absurde Unterschätzung, wie die späteren Kriege zeigten, in denen die Afghanen selbst dem britischen Giftgas trotzten. Die abschätzige Ferndiagnose betreffend der Kampfkraft traf zu Oppenheims Zeiten allerhöchstens auf die Perser zu – was ja schlimm genug war, denn auch die hätte man gut gebrauchen können.
Es stand also nicht allzu gut um Oppenheims Mission, zumal er auch noch von den allgegenwärtigen britischen Emissären argwöhnisch beobachtet wurde. Die kamen schließlich zu dem Schluss, dass es sich beim adligen Orientfan um einen waschechten Spion handele, oder wie es David Hogarth, Leiter des britischen Geheimdienstes in Kairo, wenig charmant ausdrückte: um einen „chattering egotistical Jew“. Und so drängte man den opportunistischen Kaiser, Oppenheim abzuberufen, der sich – Multitalent, das er war – auf den nordsyrischen Hügel Tell Halaf zurückzog, um quasi nebenbei einen der größten archäologischen Funde zu machen: die aramäisch-neusyrische Stadt Guzana, deren Reste heute noch im Pergamonmuseum in Berlin zu sehen sind.
Während also Oppenheim in einem selbst gebauten Wüstenschloss neben der Grabungsstätte für seinen Nachruhm sorgte, dräute der Erste Weltkrieg – und damit die Stunde, in der den Deutschen wirklich jedes Mittel recht wurde, um die Feinde zu besiegen, und das Schlagwort vom Heiligen Krieg plötzlich sehr verlockend klang. Es folgt die postwendende Berufung Oppenheims, der eine beeindruckende Denkschrift vorlegt über die „Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde“. Oppenheim wird zum Leiter der sogenannten „Nachrichtenstelle für den Orient“ berufen, die gar nicht mehr rauskommt aus dem Gründen von Exilgruppierungen: das „Indian Independence Committee“, das „Persische Komitee in Berlin“, das „Komitee für die Unabhängigkeit Georgiens“ – Berlin wird mit deutscher Gründlichkeit zur islamischen Satellitenstadt ausgebaut. Im sogenannten „Halbmondlager“ vor den Toren der Stadt wird für die muslimischen Kriegsgefangenen eine Moschee gebaut und halal gekocht. Zudem wird zu Agitationszwecken eine Zeitschrift in fünf Sprachen verteilt. Titel: „El Dschihad“.
Im Außenministerium klügelt man derweil den großen Masterplan aus: Dem zerfallenden Osmanischen Reich, dem man schon 1878 beim Berliner Kongress beigestanden hatte, wird Unterstützung im Falle eines russischen Angriffs zugesichert, wenn denn der geistliche Führer aller Muslime, der in Konstantinopel residierende Sultan Kalif Mehmed V, zum Heiligen Krieg gegen Großbritannien rufe, was dieser auch prompt erledigt.
Doch so richtig tut sich nichts im großen Reich der Muslime. Denn was die Deutschen nicht bedacht haben: Die Engländer sind den Arabern zwar verhasst, aber das gilt für die Osmanen, die sie noch viel länger unter der Knute gehalten haben, mindestens ebenso. Sie sehen eher die Chance gekommen, dem damals schon kranken Mann am Bosporus den Rest zu geben.
Eine Idee haben die blauäugigen Deutschen aber noch: Sie müssen den Sultan-Kalifen Scharif Hussein gewinnen, den Hüter der heiligen Stätten in Mekka und Medina. Der aber wird bereits von einem gewissen Thomas Edward Lawrence beackert, der später als Lawrence von Arabien zur sagenhaften Gestalt wird. Lawrence verspricht dem Sultan den Titel König von Arabien und ein geeintes Groß-Arabien, wenn er denn die Araber dazu bekommt, gemeinsam mit den Engländern gegen die Osmanen zu kämpfen. Es ist das Versprechen, das die Engländer später brechen, um sich mit den Franzosen im Rahmen des Sykes-Picot-Abkommens den ganzen Nahen Osten aufzuteilen. Und damit die Grundlage für den dauerhaften Unfrieden in diesem Teil der Erde schaffen.
Der scharfsinnige Scharif Hussein entscheidet sich schließlich zugunsten des Empires und lässt seine versierten Beduinenkrieger die germanisch-osmanische Truppe auseinandernehmen – das Ende der deutschen Dschihadträume.
Oder nicht ganz: Als die Nazis einen Weltkrieg später in Nordafrika herumgeistern, schickt Oppenheim im Sommer 1940 zur Unterstützung des deutschen Vormarsches in Nordafrika einen Brief ans Heer, darin ein paar allgemeine Gedanken zum Wesen der dortigen Völker. Von einer Revolutionierung der islamischen Bevölkerung ist in dem Brief nicht mehr die Rede, auch wenn das bis heute gern verbreitet wird. Die Geschichte vom deutschen Dschihad ist einfach zu schön.