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Die Guillotine: Ein Glanzstück deutscher Mechanik

Ob die Legende stimmt, weiß niemand, aber sie ist gut: Im Mai 1738 ging Madame Catherine Guillotin hochschwanger mit ihrem dritten Kind. Während einer nachmittäglichen Promenade im Städtchen Saintes stieß sie auf eine größere Ansammlung von Menschen: Schaulustige, die gerade einer Hinrichtung zuschauten. Ein Räuber wurde gerädert. Unter dem Ancien Régime war die Art der Exekution abhängig von der Tat und vom Stand des Täters: Die Enthauptung per Schwert war Adligen vorbehalten, nichtadlige Kapitalverbrecher traf die Axt. Diebe wurden gehenkt, Ketzer kamen auf den Scheiterhaufen, Wegelagerer wurden gerädert, Falschmünzer geteert, Königsmörder gevierteilt.

Geschockt von dem Spektakel fiel Madame Guillotin in Ohnmacht. Wenige Stunden später gebar sie zu Hause ihren Sohn Joseph-Ignace. Er sollte heranwachsen zu dem Mann, der Hinrichtungen vom Schmerz befreite.

Joseph-Ignace Guillotin studierte bei den Jesuiten in Bordeaux und ab 1763 Medizin in Paris. Nach Lehrjahren in Reims praktizierte er ab 1770 in der Hauptstadt, unterrichtete Pathologie, Anatomie und Philosophie. Er war ein Mann der Aufklärung, ein Skeptiker. 1784 ernannte König Ludwig XVI. ihn zum Mitglied einer neunköpfigen Expertenkommission, die den Mesmer’schen Magnetismus überprüfen sollte, die große medizinische Mode der Zeit. Nach sechs Monaten kam die Kommission zu dem Schluss, dass der Mesmerismus grober Unfug sei.

Ein Jahr vor dem Ausbruch der Revolution wurde Guillotin Politiker. Er saß in den États généraux, der Generalversammlung der drei Stände, und wurde 1789 als Vertreter des Dritten Standes zum Abgeordneten von Paris gewählt. Am Tag nach dem Sturm auf die Bastille war Guillotin einer von 88 Abgeordneten, die in der revolutionär aufgeladenen Stadt wieder für Ruhe sorgen sollten.

Bei seinem ersten größeren Auftritt vor der Versammlung am 10. Oktober 1789 forderte er zum ersten Mal eine Vereinheitlichung der Todesstrafe – unabhängig vom Stand des Täters und der Art der Tat. Denn Guillotin fand es ungerecht und unmenschlich, dass arme Verbrecher, die ihre Hinrichtung selbst bezahlen mussten, oft qualvoll mit einer abgewetzten Klinge gemetzelt wurden. Die Resonanz auf seinen Vorschlag war jedoch zunächst gering. Sechs Wochen später meldete sich Guillotin in der Assemblée erneut zu Wort. Es gebe einen idealen Mechanismus, um einen Menschen schmerzfrei vom Leben zum Tode zu befördern, sagte Guillotin und schob einen folgenschweren Satz nach: „Mit meiner Maschine werde ich den Kopf in einem Augenblick abhacken. Und man wird nicht leiden.“ „Meine Maschine“, hatte Guillotin gesagt und hinzugefügt: „Das Messer fällt, der Kopf wird in der Geschwindigkeit eines Augenblicks abgeschnitten, der Mensch ist nicht mehr. Er spürt nicht viel mehr als einen raschen kalten Hauch in seinem Nacken.“ Zwar quittierte die Versammlung laut Protokoll die blumige Umschreibung des Enthauptungsvorganges mit „Gelächter“, aber die beschriebene Maschine hieß fortan „machine à Guillotin“.

Der Vorschlag, die Tötungsmechanismen dem Ideal von Gleichheit und Brüderlichkeit anzupassen, kam allerdings erst einmal zu den Akten und wurde erst zwei Jahre später wieder aufgegriffen. Am 6. Oktober 1791 beschloss die Assemblée, dass künftig jedem „zum Tode Verurteilten der Kopf abzuschlagen“ sei. Aber es war nicht Guillotin, der die Maschine dafür entwerfen sollte, sondern ein anderer Mediziner: der berühmte Chirurg Antoine Louis. Mehr als 30 Jahre lang hatte der Franzose als Experte Exekutionen begleitet – sein Interesse galt dabei vor allem dem Hängen. Im Laufe seiner Feldforschungen stellte Doktor Louis fest, dass die Gehenkten oft den Kopf verrenkt bekämen, da die Pariser Henker das Dahinscheiden zu beschleunigen versuchten, indem sie auf die zusammengebundenen Hände des Hinzurichtenden stiegen. In Lyon hingegen zogen die Henker brutal am Kopf der Todgeweihten und zerrissen dabei Kehlkopf und Luftröhre. Nach Vorbildern aus dem 16. Jahrhundert lieferte der detailfreudige Louis im März 1792 einen Bauplan für einen Enthauptungsapparat. Allerdings legte er präzise fest, dass die Klinge nicht gerade, sondern trapezförmig zu sein hatte, um einen möglichst raschen Schnitt zu garantieren. Beschwert mit einem zusätzlichen Fallgewicht von 40 Kilogramm – „le mouton“ – fiel diese Klinge aus einer Höhe von 2,30 Meter in den Nacken des Verurteilten, dessen Kopf in einer hölzernen Ausbuchtung – der „lunette“ befestigt war. Der abgetrennte Kopf fiel nach vorne in einen Blecheimer, für den Rumpf war eine Blechwanne vorgesehen. Erste Testenthauptungen nahm der Arzt an Leichen im Hof des Krankenhauses Bicêtre vor. Den Einsatz seiner Tötungsmaschine erlebte Louis jedoch nicht mehr. Im Mai 1792 starb er mit 69 Jahren an einer Rippenfellentzündung.

Louis’ Entwurf durfte ein Mann umsetzen, der seine feinmechanischen Talente bis dahin auf einem ganz anderen Gebiet gezeigt hatte: Der in Paris ansässige preußische Klavierbauer Tobias Schmidt – zufälligerweise ein persönlicher Freund des Pariser Henkers Charles-Henri Sanson – wurde beauftragt, aus den Plänen Louis’ einen funktionierenden Apparat zu bauen. Schmidt machte seine Sache preußisch gründlich und erhielt dafür die Summe von 812 Livres.

Am 25. April 1792 wurde die Enthauptungsmaschine erstmals auf dem Place de la Grève (dem heutigen Place de l’Hôtel de Ville) in Paris eingesetzt. Exekutiert wurde ein Dieb namens Nicolas Jacques Pelleter. Und das war nur der Anfang. Am 21. Januar 1793 traf das Fallbeil auf seinen prominentesten Nacken: den von Ludwig XVI., den die Revolutionäre inzwischen bei seinem Familiennamen Louis Capet riefen. „Capet-Krawatte“ war fortan nur einer der Spitznamen der Guillotine. Es gab zahlreiche weitere, am treffendsten war wahrscheinlich „le rasoir national“. Der nationale Rasierer.

Guillotin selbst wurmte es zeit seines verbleibenden Lebens, dass der Apparat, der während der Terrorjahre der Revolution zum Inbegriff maßlosen Tötens wurde, seinen Namen trug. Entgegen einer weit verbreiteten Geschichte fiel ihr Promoter der Guillotine jedoch nicht selbst zum Opfer. Joseph-Ignace Guillotin starb 1814 an einer bakteriellen Infektion in der Schulter.