Gute Art
Der tschechische Schelm Jaroslav Hašek hat sich als Redakteur Schwejk wunderbare Tiere für eine Zeitschrift ausgedacht, zu deren Aussterben er fleißig beitrug

Text: Kilian Kirchgessner

Dass es in einer Katastrophe enden würde, hätte der Verleger eigentlich ahnen können: Für seine Zeitschrift „Die Welt der Tiere“ suchte er einen Redakteur – und stellte ausgerechnet Jaroslav Hašek ein, der schon damals im Jahr 1909 ein gefürchteter Humorist war. So saß Hašek also in einem Prager Arbeiterviertel in der Redaktion des Blattes, das vor allem Hundeliebhaber und Kleintierzüchter zu seinen Abonnenten zählte.
„Im Laufe der Jahre hatten die früheren Redakteure alles mögliche Material über Tiere herausgekramt“, erinnert sich Hašek einige Jahre später, „und als ich die Redaktion übernahm, erkannte ich, dass es kein Tier gab, über das man in der Zeitschrift noch nicht geschrieben hatte. Ich sah mich also gezwungen, mir Tiere auszudenken, was mir weniger Arbeit und Mühe bereitete, als über längst entdeckte Tiere zu schreiben.“
Die biedere Leserschaft der Zeitschrift wurde für Jaroslav Hašek zum Versuchskaninchen für seine wilden Erfindungen, die er natürlich als ernsthafte Entdeckungen in das Magazin schmuggelte. Zwischen Annoncen für Hundezwinger und Welpenzuchtbetriebe fand sich da eines Tages das Porträt des „Grausamen Vielfraßes“, das war sein erster Streich. Dieses Tier, so berichtete Hašek, werde von den Eingeborenen der Glücksinseln kurz Ajaroro genannt und lebe von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags im Meer. Den Rest des Tages verbringe es auf den Inseln, wo es die Kinder fange. Natürlich hatte Jaroslav Hašek seinen grausamen Vielfraß wissenschaftlich abgesichert – im Bericht beruft er sich auf den „Naturforscher Dr. Ewerich, einen bekannten Freund unseres Blattes“, der aus San Francisco eine genaue Beschreibung übersandt habe. Es folgt also der Bericht des Experten: „Er gehört, nach der Untersuchung der Knochen zu schließen, zu den Echsen. Ich vermute, dass dies die einzige Echsenart ist, die sich aus der Zeit der Großechsen wie der Ichthyosaurier bis in unsere Zeit erhalten hat. Auf der Bauchseite des Panzers befinden sich Deckflügel, die das Tier aneinanderreibt, wenn es erregt ist, wodurch ein auf zwei englische Meilen hörbares Getöse entsteht. Der Grausame Vielfraß hat große Augen. Die Gehirnhöhle ist mit Gehirn gefüllt. Auf welche Art er sich vermehrt, gelang mir nicht festzustellen.“
In Prag machte Hašeks neu entdecktes Tier gewaltige Furore: Ab der ersten Ausgabe, die er für die „Welt der Tiere“ betreute, schnellte die Auflage in die Höhe. Und natürlich enttäuschte Hašek die neuen Leser nicht, schon bald legte er nach. Er erfand den graubäuchigen Wal, der sich in den Meeren um Neugrönland herumtreibe, und schrieb zwischendurch („weil es begreiflicherweise sehr schwer ist, sich immer wieder neue Tiere auszudenken“) auch über längst bekannte mitteleuropäische Tierarten. Zum Beispiel erstellte er die Hitliste der größten Alkoholiker der Tierwelt: Bären, Katzen und Panther nahmen die Spitzenplätze ein. Und natürlich die Igel. Denn: „Was kaum einer weiß: Der Igel, dieses stille Tierchen, ist ein Gewohnheitstrinker von jeder Art von Alkohol.“
Und die „Welt der Tiere“? Die verkaufte sich immer besser nach diesen Hašek-Artikeln. In seiner Biografie heißt es, dass jede Menge Leser auf die Erfindungen hereinfielen: „Wissenschaftler verlangten Adressen und bibliografisches Material über die neuen Entdeckungen. Der Herausgeber bekam ernst gemeinte Briefe und Anfragen von Professoren, pensionierten Förstern, Postmeistern, Zoologen, Gerbern, Geflügel- und Kleintierzüchtern, Zirkusdirektoren, Fellhändlern und Varietékünstlern.“ Von diesem Zuspruch angespornt, lief Hašek zur Höchstform auf – und lieferte den Tierfreunden in der Leserschaft eine detaillierte Anleitung zur „einfachen, dabei jedoch sehr einträglichen häuslichen Aufzucht von Werwölfen“. Werwölfe, so schrieb er, seien zutraulich, treu und gut und den Hunden allemal überlegen. Die schnell erfundene Beschreibung lieferte er gleich mit: „Wir unterscheiden den Sibirischen Werwolf und den Mandschurischen Werwolf. Ersterer hat ein silbriges Fell, während das des letzteren eine goldene Tönung hat.“ Die Aufzucht bereite keinerlei Probleme: In den ersten sechs Monaten müsse man die Tiere mit Ochsenblut nähren, anschließend sei das Ochsenblut durch Treber zu ersetzen, den Rückstand beim Bierbrauen.
Fast zwei Jahre lang lief es gut zwischen Jaroslav Hašek und dem Verleger des Tierzüchter-Blattes, dann flogen seine Erfindungen auf. Die Zeitung ging bald darauf pleite. Jaroslav Hašek aber blieb den Tieren treu: Er verkaufte fortan gepflegte Hunde, die er kurz zuvor auf den Prager Straßen gefangen hatte.