«Wenn ich dich seh, dann denk ich an ein Auto.
Denn deine Hupen sind so wunderschön.»
Jörg und Dragan – die Autohändler

In der E-Mail eines Mädchens, mit dem ich eventuell mal ins Bett wollte, stand die Frage: «Wohin fliegst du denn in den Urlaub?» Ich schrieb einige Tage lang nicht zurück. Vielleicht kannte sie mich nicht gut genug, um richtig zu verstehen, wie ich das meinte, wenn ich ihr erzählte, dass ich mit zwei alten Freunden nach Mallorca fliege. Aber im Grunde wusste ich ja selbst nicht so genau, wie ich das meinte. Also schrieb ich einfach die Wahrheit. Das Mädchen antwortete, dass es dort sicher schön ist. Und danach haben wir uns nicht mehr geschrieben.

Als die Ryanair-Maschine am Flughafen von Palma landete, klatschten alle Passagiere. Ich hatte so einen Jubel lange nicht mehr erlebt, aber er war mir grundsätzlich sympathisch, also applaudierte ich stramm mit. Mein guter Freund Bastian* klatschte auch, und er lachte dabei, und dann lachten wir beide, denn es war ja von Anbeginn an schon alles zum Lachen gewesen. Nun also Mallorca. Zum allerersten Mal.

Bastian und ich kannten uns nun schon seit über zehn Jahren. Er war Musiker und hatte Physik studiert und arbeitete jetzt in einer Firma, die Solaranlagen entwickelte. Seit einem knappen Jahr ernährte er sich streng vegan. So kam es, dass wir sämtliche vegetarischen Restaurants von Palma de Mallorca besuchten. An diesen gut klimatisierten Orten gab es preiswerte, mehrgängige Menüs und von der Decke hingen Ventilatoren hinab. Einmal sagte Bastian, an seinem Ein-Euro-Espresso nippend, dass er bereit für seine Dreißiger sei. Bastian war noch 26, ich war noch 27. Wir unterhielten uns über unsere neuen Lebenssituationen in Berlin-Neukölln und Frankfurt-Bornheim und planten die weiteren Urlaubsstunden.

Und am Samstagabend dann –
fuhren wir zum Ballermann.

Es lag gar nicht so zugänglich da, dieses S’Arenal, wir mussten zuerst eine ganze Weile in einem Linienbus sitzen. Mallorca sah auf jener Strecke teils richtig karg aus. Eine Insel, auf der Menschen lebten und einem Gewerbe nachgingen. Straßen, Häuser, Automobile. Die Außentemperatur betrug 39 Grad. Nach gut vierzig Minuten endlich: Leuchtreklamen in der trockenen Hitze. Bastian verwies auf eine Straße, an die er sich aus RTL 2-Reportagen erinnerte. Als wir Kinder waren, gab es ja fast täglich Reportagen über Mallorca. Und tatsächlich hatten sich einige Bilder eingebrannt, schon Jahre vor diesem Besuch, wir kannten den Ballermann aus dem TV, so gut wie sonst vielleicht nur New York. An den Imbissbuden standen deutsche Namen, Grillmeister hieß es an mehreren Ecken, Grillmeister beherrschte diese Gegend, dort gab es Fritten und Frikadellenbrötchen und immense Bratwurstpeitschen.

www.grillmeister-mallorca.com

Wir kauften uns Becher voller Sangria und wanderten die Promenade entlang. Der Sandstrand, der uns hier fein und gesäubert vorkam, lag im Flutlicht gigantischer Straßenlaternen. Ein warmes, südeuropäisches Licht ging von diesen Laternen aus, eine Art gedämpftes Glühen. An den breiten Masten waren Verbotsschilder angebracht, die Eimer und Strohhalme zeigten. Nicht weit von diesen Schildern entfernt saßen Mädchengruppen um Eimer herum, mit Strohhalmen im Mund. Wir fotografierten manches mit unseren Telefonen, auch den Minigolfplatz, aus dessen Zentrum ein gewaltiger Raubsaurier aus Pappmaché herausragte. Eigentlich waren wir hier mit einem gemeinsame Freund verabredet, der ebenfalls Bastian* heißt, und den ich im weiteren Textverlauf BastianZwei nennen werde. BastianZwei war schon öfter auf Mallorca gewesen, um Strandurlaub und graphische Fotos vom nächtlichen Palma zu machen, aber er war noch nie hier, noch nie am Ballermann bei den Partydeutschen. Er wollte nicht so sein wie sie, er fürchtete sich. Und weil es nun schon nach Mitternacht war und BastianZwei kein Handy bei sich trug, rechneten wir kaum noch mit einer Zusammenkunft.

Bastian(Eins) und ich gingen mit unseren Sangriabechern an diversen Tanzlokalen vorbei. Wir bekamen viel Aufmerksamkeit. Ein derber Animateur sah uns und rief: «Trinkt den Scheiß aus und rein da mit euch! Heut müsst ihr Frauen abschleppen, ihr Harry Potters!» Bastian trug eine Brille und einen Seitenscheitel, dazu ein halb offenes Hemd und kurze Hosen. Lange Hosen wären undenkbar gewesen. Ich trug hohe Turnschuhe, in denen es eigentlich schon viel zu heiß war. Dazu ein geringeltes T-Shirt. Bastian hatte im Gegensatz zu mir keinen Bauchansatz – er war nicht nur Veganer, er absolvierte auch seit Jahren ein Kieser-Training. Und immerhin waren wir beide größer als 1,80, keine wirklich erbärmlichen Erscheinungen also, doch in den Augen dieses Animateurs wirkten wir wie Zauberlehrlinge. Und er hatte ja Recht. So relativ normal gebaute Jungs wie uns gab es sonst gar nicht. Am Ballermann waren die jungen Männer entweder muskulös und ausdefiniert oder tatsächlich dick. Es gab nichts dazwischen, es gab nur die Sportler und die Gescheiterten, also die Dicken, aber die Gescheiterten waren eindeutig in der Minderheit. Auch schienen die Dicken meist allein unterwegs zu sein und noch schwerer angesoffen als die anderen, aber vielleicht wollte ich das nur so düster sehen, wegen meines Bauchansatzes.

Wir sahen Vereinssportler, ganze Mannschaften, die braungebrannt und oberkörperfrei vor Open-Air-Theken standen, die klatschten und Lieder sangen. «Eisgekühlter Bommerlunder, Bommerlunder eisgekühlt!» Es war das Gejohle jugendlicher Sexmaschinen, ein Typ drahtiger als der andere. Glasige Blicke und heisere Stimmen, Männer oder Frauen, immer in Gruppen, selten gemischt. Zum Beispiel eine Gruppe von Jungs, in der alle dieselbe blondierte Frisur trugen, und immer wieder Frauen, die sich beieinander einhakten und sangen: «Aleeeee, Aleeeee, Aleeeee, Alleeeee, Aleeeee ... eine Straße mit vielen Bäumen ... ja, das ist eine Aleeeee». Dazu oft weite, schwarze T-Shirts mit Gemeinschaftsslogans wie: «Malle 2011! Gelsenkirchen-Tours! Lisa.» Und überall Fernsehschirme, in jeder Bar, an jedem Imbiss immerzu Bundesliga, die Highlights der Spiele vom Nachmittag, und im Anschluss wieder: die Highlights der Spiele vom Nachmittag. Die Bayern starteten souverän in die Saison. Ein dunkelhäutiger Mann drückte uns Flyer für das Riu-Palace in die Hand. Dort sollte deutscher Techno gespielt werden. Wir ließen uns von dem netten Mann, dessen Werbung für die Party im Riu-Palace angenehm defensiv ausgefallen war, eine kleine Portion Marihuana verkaufen. Das Rauchen von Gras hatte bei den Bastians und mir eine gewisse Tradition, das hatte uns schon viele Jahre zuvor manches Mal zusammengeschweißt. Wir zahlten zwanzig Euro für eine sehr kleine Tüte voll grüner Pollen und wir erwarteten uns wenig davon.

Wir zogen uns in eher schlecht besuchte Strandbars zurück und tranken. Als BastianZwei uns plötzlich von einer Telefonzelle aus anklingelte, er befinde sich nun direkt auf der Schinkenstraße, da merkten wir an unserer Euphorie, dass wir nun doch schon ein wenig alkoholisiert waren. Wir freuten uns riesig, als BastianZwei nur Minuten nach seinem Anruf in beigefarbenen Shorts auf uns zutänzelte. Wir schlugen ein, wir drückten uns und zogen dann weiter in den Bierkönig, was wohl ein sehr berühmter Ort war. Auch hier konnte man Mario Gomez auf mehreren Bildschirmen jubeln sehen, es war proppenvoll, und es lief ein Lied, das wir so schnell nicht wieder vergessen würden. Der Text ging so: «Wenn ich dich seh, dann denk ich an ein Auto, denn deine Hupen sind so wunderschön. Ich hoffe, du kommst bald zum Reparieren, dann könnte ich die Hupen mal studieren. Suuuuperhupen! … Suuuuperhupen!» Wir blieben nicht sehr lange im Bierkönig, aber diese Zeilen nahmen wir mit.

http://www.youtube.com/watch?v=Rr7izG7zHlk

Es war nun schon fast zwei Uhr in der Früh. Das bedeutete auch, dass sämtliche Open-Air-Getränkestände schließen mussten. Also fingen wir an uns Gedanken zu machen. Für den weiteren Verlauf der Nacht mussten wir uns entscheiden. Unsere Optionen waren:

1. OBERBAYERN: Jürgen aus der ersten BigBrother-Staffel singt. Eintritt: 15 Euro. Alle Getränke inklusive.
2. RIU-PALACE: ein Minimal-Techno-DJ aus Frankfurt am Main.
3. MEGARENA: Matze Knop als Super-Richie live on stage. Aussage einer brünetten Animateurin: «Ihr zahlt 15 Euro, kriegt dafür drei Long Drinks umsonst und noch einen Schnaps von mir.»

Für einen Moment hielten wir vor der eindrucksvollen Eventhalle Megarena inne und blickten durch die Scheiben: Unzählige Männer und Frauen auf massiven Tischen, überdimensionale Bierkrüge, meterlange Strohhalme, Menschen, die stampften und wippten, die ihre Hände in die Luft streckten, ihre Fäuste ballten oder einfach nur klatschten. Und all das in einem taghell beleuchteten Holzthekenambiente. Ich hatte so etwas zuvor noch nie live gesehen, und, um ehrlich zu sein, auch noch in keinem Film. Ich spürte eine gewisse Ehrfurcht. Wir standen hier schließlich nicht an irgendeinem Ort. Wir standen vor der größten Diskothek, die der Ballermann zu bieten hatte, gewissermaßen also vor der Mutter aller Saufpartys. Und weil wir ja mittlerweile selbst recht angetrunken waren, verbeugten wir uns.

www.megapark-mallorca.info/megapark/megarena.html

«Bei einem Gin Tonic weiß man nie, wie viel drin ist. Und im Oberbayern gibt es für denselben Preis alle Getränke for free...»
BastianEins und ich hatten eine ganz ähnliche Haltung zur Nacht, er sagte: «Ja. Und Jürgen aus dem BigBrother-Haus ist viel konsequenter als Matze Knop.»
«Genau. Keine halben Sachen jetzt!»
Nur BastianZwei sah es anders: «Ich geh da nicht rein. Egal, was ihr sagt. Auch nicht ins Oberbayern. Ihr könnt das ja gerne machen. Ich steige dann aber in den Bus und fahre zurück.»
Auch wenn ich das in diesem Moment etwas ärgerlich und schade fand, konnte ich seine policy doch gut verstehen. Also schlug ich etwas vor, das uns sicher wieder enger zusammenrücken würde: «Okay. Dann lasst uns erstmal smashen.»

Ich freute mich sehr über dieses Verb – smashen –, denn das hatte ich lange nicht benutzt. Es stellte eine fabelhafte Alternative zu den Vokabeln kiffen, harzen oder dübeln dar. Es war ein Wort für Gewinner. Wir waren keine filzigen Kiffer, wir waren legere Gelegenheits-Smasher, die diesen albern harmlosen, aber zugleich poetischen Rauschstoff effizient zu genießen wussten. Weil uns zum Jointbauen die langen Blättchen fehlten, gingen wir auf einige dunkelhäutige Männer zu, die vordergründig afrikanische Halsketten verkauften, deren Kerngeschäft aber im Handel mit Cannabis und Kokain lag. Es war etwas schade, dass die einzigen dunkelhäutigen Menschen, die sich am Ballermann aufhielten, tatsächlich als Dealer arbeiteten. Aber was sollte man tun? Wir zahlten vier Euro für drei lange Blättchen, wir waren in Geberlaune und genossen das kurze Gespräch. Abgesehen von der Begegnung mit einem muskulösen Jungen aus Koblenz hatten wir in all den Stunden ja ausschließlich mit Animateuren, mit Thekenpersonal und nun eben mit diesem zweiten Dealern gesprochen. Das war unsere gesamte Kommunikation gewesen. Und spätestens ab diesem Moment, als wir uns auf das Smashen vorbereiteten, erhoben wir unsere Nicht-Aktivität zu einer Art Prinzip. Unserer Aufgabe bestand darin, den Ballermann nicht zu stören.

Was uns in die Karten spielte: Dieses leicht dubiose Marihuana, das wir schon vor Stunden erworben hatten, stellte sich als ungewöhnlich stark heraus. Wir setzten uns in den Sand und blickten aufs Meer, wir rauchten und schwiegen. Um diese Nachtzeit kamen vor allem junge Paare hierher ans Wasser, um sich hinter den Strandkörben zu verschanzen. Und so geschah es, dass wir innerhalb kürzester Zeit zweimal Sex geboten bekamen, wenn auch keinen sonderlich interessanten, sondern bloß Sex, der unsere Sehgewohnheiten bediente. Denn diese deutschen Mallorcatouristen wussten ganz genau, wie ihr Beischlaf auszusehen hatte. Es war links wie rechts das gleiche Bild. Recht muskulöse Typen lehnten mit geöffneten Shorts am Strandkorb, sie bewegten sich kaum und ließen sich von agilen deutschen Mädchen reiten. Wir sahen Hüften auf- und abwippen, kreisen, Tempo steigern, Tempo drosseln, Tempo steigern, kreisen, steigern, drosseln. Junge deutsche Frauen, die im Sand von Mallorca wilden Sex hatten. Eine Art Emanzipationsgeste vielleicht. Aus der Sicht eines deutschen Mädchens musste man sich das schließlich in etwa so erklären:

«Ich kann diesen fremden Kerl gut und selbstbewusst am Strand reiten. Ich kann ihn lange und abwechslungsreich vögeln. Bis er kommt. Obwohl ihm das jetzt sicher schwer fällt, weil er ja ziemlich besoffen ist. Ich zeige mir und dem Meer und den Sternen über uns, dass ich heiß bin, und alles auslebe, was ich will. Und ich kann den Mädels später erzählen, dass ich es mir derbe besorgt habe. Und der Typ kann seinen Jungs erzählen, dass es ihm derbe besorgt wurde. Win-Win-Situation. Malle 2011.»

Wir lehnten stoisch fasziniert am Strandkorb. Unsere Augen mussten vom Gras gerötet sein, unsere Gesichter blass. Drei Gespenster am Meer. Plötzlich raunte BastianZwei: «Jetzt nimmt er sie von hinten!» Wir beugten uns vorn über, um bessere Sicht auf das zweite Pärchen zu haben, links von uns. War da jetzt plötzlich eine männliche Aktion auszumachen? Nicht unbedingt. Sie, die Großbrüstige, hatte sich ihm nun bloß in einer anderen Haltung dargeboten, ihn herausgefordert, indem sie sich vor ihn kniete, den Rücken durchdrückte und so für uns Zuschauer zu einer stark geschwungenen Damensilhouette wurde. Poser-Sex im Sternenlicht. Auch er: ein ausdauernder, virtuos das Tempo variierender Fucker, ein Profi-Rammler, ein Stecher vor dem Herrn. Einmal mussten wir lachen, wir dämlichen Smasher, dann nämlich, als der Typ sich scheinheilig umschaute, ob andere Strandgäste ihn womöglich beobachteten. Es war ein ganz und gar narzisstischer und demonstrativer Blick, zuerst nach links und dann nach rechts, und er hätte dabei eigentlich auch uns sehen müssen, wie wir da hockten und guckten: drei Hessen im Sand. Aber er sah uns nicht. Wir waren vermutlich zu weit entfernt.

Links und rechts von uns nun also dumpfer Sex. Und vor uns das Meer. Und vor diesem Meer: ein anderes Paar. Zwei junge Franzosen, vielleicht noch Teenies, er mit wuscheligen roten Haaren, in einem gestreiften T-Shirt, sie blond und sexy, im weißen Top. Ein fabelhaftes Paar, das sich gerade annäherte, das sich aneinander lehnte und in die Sterne blickte, das tatsächlich Sternenbilder las. Also plötzlich mal keine Grillwürste, mal keine Riesen-Longdrinks, keine grölenden Fans, kein rheinländischer, kein mittelhessischer, kein niederbayerischer Dialekt. Sondern zarter Indiepop. Sie, die blonde Schönheit, wartete darauf, dass er sie endlich küsste. Von außen war das ganz offensichtlich, aber er merkte es nicht, denn er war ja der unsichere Typ, der immer weiter versuchte charmante Sachen zu sagen, auch wenn sie schon längst genug gehört hatte. Sie wollte ihn dringend, und er wollte sie dringend, aber er traute sich nicht, und sie würde den ersten Schritt niemals machen, denn sie war das Mädchen, sie setzte nur die Signale. Dieses Rollenspiel war bitterer Ernst. Da musste dieser rothaarige Franzose jetzt durch, er musste sich überwinden. Es war die Romanze des Abends, allein schon, weil die beiden hier in dieser deutschen Körperwelt als Nicht-Deutsche herumflirteten, als gut gekleidete, französische Teenager. Wir lehnten uns zurück. Wir waren hingerissen. Wir warteten darauf, dass er sie endlich küsste. Denn mit diesem ersten Kuss würde ein weicher Erotikfilm beginnen und jäh abbrechen, weil diese beiden jungen Franzosen ihre sinnlich tastende Liebe nicht vor unseren Augen ausleben würden, sondern in ihrem muffigen Jugendhotel, etwas unbeholfen und fehlerhaft womöglich, so wie es sich gehörte.

Aber dann plötzlich wurde es kaputt gemacht. Zwei Deutsche tauchten auf, potentielle Handballer, sie trugen gegelte Igelfrisuren und ihre erste Frage war: «Knallst du die Alte heute noch?» Der hagere Junge antwortete auf Französisch. Die Handballer deuteten an, dass sie einige Wörter dieser Sprache verstanden. Das Mädchen rekelte sich vor ihnen im Sand und sagte: «Voulez vous...» Einer der Deutschen vollendet den Satz: «...coucher avec moi? Ce soir!?» Die Blondine streckte ihre Hand aus und zog den gegelten Jungen neben sich in den Sand. Wir konnten das zuerst gar nicht fassen. Was war aus der sinnlichen Indie-Schönheit geworden? Der rothaarige Junge, den sie in unseren Augen doch aus ganzem Herzen liebte, lag jetzt neben ihr und musste mit ansehen, wie seine potentielle Freundin, die er eben noch virtuos auf Sternenbilder hingewiesen hatte, anfing, mit einem dieser deutschen Handballer zu knutschen.

Bastian war außer sich: «Sollen wir da mal dazwischen gehen?» Nein, das taten wir nicht, denn wir blieben unseren Prinzipien treu. Wir griffen in das Geschehen nicht ein. Alles geschah, wie es geschehen sollte. Wir beobachteten das französische Mädchen und den französischen Jungen und die gegelten Deutschen. Bald wurde klar, dass das Mädchen ein perfides Spiel spielte. Sie forderte ihre beiden Verehrer heraus, ihr zu zeigen, wer von ihnen besser küssen konnte. Und es gelang. Sie küsste jetzt beide abwechselnd, rechts von sich den Deutschen, und links ihren französischen Freund, der sie dabei leidenschaftlich und enthemmt an sich presste. Und dann dauerte es zum Glück nicht mehr lang, bis das französische Paar Arm in Arm davon ging. Sie, die sinnliche Blonde, hatte den Eingriff der Deutschen in ihr Annäherungsspiel als Beschleuniger benutzt. Und letztlich hatte sie bekommen, was sie wollte. Und er, der rothaarige Junge, hatte auch bekommen, was er wollte. Und sogar der Deutsche mit der Igelfrisur hatte zumindest zum Teil bekommen, was er wollte. Win-Win-Win-Situation. Malle 2011.

Wir blieben noch eine ganze Weile im Sand sitzen. Als nächstes lauschten wir dem Streit eines deutschen Paars, das nackt im seichten Wasser stand und diskutierte. Er, der übergewichtige Typ, beklagte sich unter Tränen. Er hielt seine Freundin an den Händen fest und stammelte: «Schau mich an. Ich hab `nen scheiß Körper... Aber ich bin hier... Und warum tust du mir das an? ... Der erste Urlaub in acht Monaten... Und du tust mir das an!» Die Zusammenhänge erschlossen sich uns nicht ganz, aber es schien sich um eine Krise zu handeln, deren Grundlage die Eifersucht war. Als die beiden das seichte Wasser verließen und eigentlich gerade schon dabei waren, sich ihre Sommertextilien überzustreifen, schlug der dicke Deutsche plötzlich seine Freundin mit der flachen Hand zu Boden. Wir schreckten auf. Jetzt also würden wir doch eingreifen müssen, wie stoned wir auch sein mochten, jetzt musste gehandelt werden. Doch noch bevor wir uns halb aufgerichtet hatten, eilte eine halbe Fußballmannschaft junger Halbstarker heran, um den Streit des unförmigen Pärchens zu schlichten. Es wurde geschrien und geweint, aber die Situation entspannte sich. Jetzt endlich verließen wir den Strand. Wir waren hungrig. Aber nun, da der Morgen bereits graute, hatten sogar die Grillmeisterfilialen keine Pommes mehr für uns.

Nach einem zweiten Joint fuhr uns ein Taxi zurück nach Palma. Ein Teilstück mallorquinische Autobahn zog an uns vorbei. Im Hintergrund war meistens das Meer zu sehen. Wir hörten keine Musik. BastianZwei war eingeschlafen und Bastian blickte versonnen durch die Frontscheibe. Die Taxifahrten auf Mallorca waren etwas preiswerter als die Taxifahrten in Deutschland.

* Namen geändert