Wer wirklich Hunde isst
Nämlich keine haitianischen Einwanderer in Ohio, wie Donald Trump fantasiert, sondern unsere Autorin. Anlässlich des US-Wahlkampfs müssen wir diese Geschichte noch mal auftischen
Von Xifan Yang; Bild: Davide Spanelli; Aus: DUMMY Nr. 37 „Essen & Trinken“; neu editiert 9/24
Kim Yun-Yong muss die Bestellung unterbrechen, um Propagandalieder zu singen, so läuft das im Sozialismus. Der Gast hat die Kellnerin gerade gefragt, ob es einen König gibt in Nordkorea – die Karte wirbt irritierenderweise für einen Eintopf namens „Korean Royal Court Hotpot“. „Sorry, ich muss weg“, sagt Yun-Yong und huscht in einen Hinterraum. Momente später erscheint die 24-Jährige, eine schüchterne, puppengesichtige Schönheit, mit vier anderen Kolleginnen auf der Bühne. Ihre Arbeitsuniformen, hochgeschlossene koreanische Hanbok-Trachten, haben sie abgelegt, nun funkeln die Kellnerinnen in bonbonfarbenen Ballkleidern. Auf der Wandtapete branden Wellen gegen turmhohe Felsen. Eine Donna-Summer-artige Synthie-Melodie ertönt, Yun-Yong singt, den Arm mit Inbrunst in die Höhe gestreckt, zum Playback über das geliebte Vaterland.
Die halbstündige Gesangs- und Tanzeinlage ist ein fester Programmpunkt in Restaurants der nordkoreanischen „Pjöngjang“-Kette. Mehr als hundert Filialen, so wird geschätzt, betreibt der sozialistische Staat außerhalb seiner Landesgrenzen, die meisten davon in Asien: in China, Thailand, Vietnam, Kambodscha, Laos, Indonesien, Bangladesch und Nepal, Ableger gibt es auch in Dubai und Wladiwostok. Das erste „Pjöngjang“-Restaurant Europas wurde vor einigen Monaten in Amsterdam eröffnet. Yun-Yong arbeitet in einer der drei Filialen in der chinesischen 20-Millionen-Stadt Shanghai. Der Laden liegt in einer Shoppingmall, sechs Stockwerke über einem McDonald’s, die Einrichtung kann man als funktional-kitschige Tristesse beschreiben: falscher Marmor, abgewetzte Brokatbezüge, Plastikteller und -becher, Metallstäbchen. Im Fernseher laufen Massenchoreografien und schwarzweiße Arbeiteraufnahmen.
Das „Pjöngjang“ ist an diesem Donnerstagabend gut besucht. An den Nebentischen sitzen Männerrunden, Nordkoreaner, wie Yun-Yong sagt. Typische Erkennungszeichen der Geschäftsleute: schlechte Zähne, Polyesteranzüge und demonstrativ zur Schau gestellte Geldbatzen auf dem Tisch. Eine Gruppe solcher Gestalten sitzt gangsterfilmreif in Ballonseide und mit Sonnenbrille im Gesicht da – Regimeschergen, denkt man, oder solche, die es noch werden wollen. Was für Gesellschaften in den Privaträumen hinter Milchglasscheiben Zigarre rauchen, will man gar nicht wissen.
Blick in die Karte: ausführlich bebildert, viersprachig, man denkt international. Geboten werden bekannte koreanische Klassiker wie Kimchi, Bulgogi und Bibimbap, aber auch Herausforderungen wie gedämpfte Schildkröte und scharfe Spareribs vom Hund. Die Zubereitung unter sozialistischen Rahmenbedingungen kostet offenbar extra, jedenfalls sind nahezu alle Gerichte doppelt so teuer wie in vergleichbaren südkoreanischen Restaurants der Gegend.
Nun gut, erster Gang: der gemischte Kimchi-Teller. Guter Kimchi ist knackig, scharf und trotz seiner langen Gärung frisch. Der „Pjöngjang“-Kimchi allerdings liegt labbrig auf der Zunge und schmeckt nach verfaultem Knoblauch.
Erster Eindruck: Sieht aus wie Boeuf Bourguignon. „Was für ein Hund ist das?“ Yun-Yong macht eine ausladende Handbewegung. Großer Hund also
„Lasst euch Zeit beim Essen“, flötet Yun-Yong. Sie zündet den „Tool Zen Plusroaster“ an, einen gasbetriebenen Tischherd made in North Korea. Darauf blubbert nun der „Royal Court Hotpot“: Müdes Gemüse und verwesende Rindfleischklößchen treiben in einer Art Brühe, deren Farbe und Konsistenz an verdünntes Sperma erinnert. Das Bibimbap, ein Gericht, mit dem man sonst bei keinem Koreaner etwas falsch machen kann, entpuppt sich als geometrisch angerichteter Küchenabfall im Steintopf. Bleibt zum Schluss die Hundesuppe. Erster Eindruck: Sieht aus wie Boeuf Bourguignon. „Was für ein Hund ist das?“ Yun-Yong macht eine ausladende Handbewegung. Großer Hund also. Tiefgefroren aus Nordkorea importiert, fügt sie hinzu. Aha. Der geschmorte Köter an sich schockt geschmacklich gar nicht so sehr. Zart, zerfällt auf der Zunge, wie Boeuf eben. Die Hölle ist die Flüssigkeit drumherum, die den bestialischen Eigengeruch des Hundefleisches absorbiert hat. All das ist nur erträglich mit vielen Kurzen namens „Paektusan Tuljjuksul“, einem 40-prozentigen nordkoreanischen Schnaps aus Blaubeeren. Solider Hustensaft zum Herunterspülen.
„Schmeckt’s euch nicht?“ Yun-Yong blickt auf die kaum angerührten Teller, in ihr Gesicht ist ehrliches Erstaunen geschrieben. Sie kennt kein anderes Essen.
Seit eineinhalb Jahren arbeitet Yun-Yong in dieser „Pjöngjang“-Filiale in Shanghai, erzählt sie zögerlich, daheim in Nordkorea studiert sie Tourismus an der Friedensuniversität Pjöngjang. Die Arbeit im Restaurant sei ein dreijähriges „Praktikum“ im Rahmen ihres Studiums. Viele junge Nordkoreaner würden sich um diese Jobs im Ausland bewerben. Yun-Yong wurde wegen ihres Bühnentalents ausgewählt, vielleicht hatte sie gute Beziehungen in die Partei. Hier in Shanghai wohnt sie mit den Kollegen in einem Wohnheim, fünf Fußminuten vom Restaurant entfernt.
Es ist kurz vor 23 Uhr, das ganze Restaurant riecht inzwischen nach Essensfriedhof. Yun-Yong und ihre Kolleginnen haben Schichtende, sie tragen jetzt rosa Kapuzenpullis mit einem Hundekopfaufdruck. Eine patente Mittvierzigerin, Typ Gefängniswärterin, geht herum und räumt die Teller weg. Auf der Brusttasche ihres Kostüms trägt sie eine Brosche, auf der vage ein Führerkonterfei zu erkennen ist. Kim Jong-Il oder Kim Jong-Un? Die Frau versteht die Frage nicht. „Der Alte oder der Neue?“ Mit steinerner Miene antwortet sie: „Es gibt nur einen.“
Zum Heft