Ja, warum denn nicht mal Blunze und Flönz
Dirk Gieselmann hört einfach mal auf die Profis. Teil 2: der Fleischer seines Vertrauens
Ich esse nicht viel Fleisch, und wenn, dann immer das gleiche: mal drei Scheiben Salami zum Abendbrot, ab und zu ein Steak vom Grill. Ich bin nicht öfter beim Metzger als manche Leute beim Juwelier und kaufe dann auch noch recht wenig ein.
Jedes Mal wenn er mir das Tütchen über den Tresen reicht, in das er die Ware verpackt hat, habe ich ein seltsam schlechtes Gewissen. Habe ich ihn in seiner Berufsehre verletzt? Ist er beleidigt, weil ich mich für den Großteil seines Sortiments nicht interessiere? Sollte ich mal die Sülze probieren, die er mit so viel Liebe zubereitet hat? Den Hackepeter? Die Kutteln? Es gibt gute Gründe, warum ich das bislang unterlassen habe.
Und doch, trotz gemischter Gefühle, nahm ich mir eines Tages vor, mich in die Hände des „Metzgers meines Vertrauens“ zu begeben. Natürlich gehe ich davon aus, dass er die Herkunft seiner Produkte korrekt ausweist, dass er sich regelmäßig die Hände wäscht und die Kühlkette nicht unterbricht. Aber kann ich ihm auch vertrauen, wenn er mir etwas empfiehlt, was ich eigentlich nicht essen möchte?
Er selbst schien aus einer tranceartigen Routine zu erwachen, als ich seine Frage „Darf es noch etwas sein?“ zum ersten Mal mit „Ja“ beantwortete.
„Was würden Sie mir denn empfehlen?“, fragte ich.
Er sah mich an, als hätte ich ihn nach seiner Telefonnummer gefragt.
„Ja, gut“, sagte er. „Wir haben ja so einiges. Wie wäre es denn mal mit Blutwurst?“
Zu meiner großen Erleichterung schmeckte sie nicht, als hätte mir jemand auf die Schnauze geschlagen, also gar nicht nach Blut
Bei Blutwurst wird mir schlecht. Bei Blutwurst fallen mir die Synonyme Blunze und Flönz ein, und mir wird noch schlechter. Bei Blutwurst muss ich immer an diesen Häschen-Witz denken. Häschen kommt zum Metzger: „Hattu Blutwurst?“ – „Nein, die ist leider aus. Komm morgen wieder.“ Am nächsten Tag fragt Häschen wieder: „Hattu Blutwurst?“ – „Es tut mir leid, Häschen, das letzte Stück ist gerade weg.“ So geht das eine Woche, bis der Metzger schließlich sagt: „Ja, heute habe ich Blutwurst.“ Darauf Häschen: „Iiiiiiiiieh!“
„Nehm ich“, sagte ich, weniger aus Überzeugung als aus dem Wunsch heraus, mich aus der Situation zu befreien. „Hundert Gramm reichen erst mal.“ Ich lachte, der Metzger lachte nicht. Worüber auch? „Das war’s dann?“, fragte er. „Ja“, sagte ich. Jetzt klang es, als hätte ich Schluss gemacht.
Zu Hause angekommen, las ich Blutwurst-Rezepte. Ich lernte, dass die Blutwurst inzwischen in der Hochküche angekommen ist und dass wahre Gourmets sie, anders als noch meine Großeltern, nicht einfach nur auf eine Scheibe Graubrot legen, um den Hunger zu vernichten, sondern braten, mit Thymian würzen und etwa zu Jakobsmuscheln reichen.
In Ermangelung von Jakobsmuscheln aß ich sie ohne. Zu meiner großen Erleichterung schmeckte sie nicht, als hätte mir jemand auf die Schnauze geschlagen, also gar nicht nach Blut, sondern vor allem nach Thymian, was daran gelegen haben mag, dass ich mit dem Gewürz nicht gegeizt hatte. Trotzdem dachte ich die ganze Zeit an Blunze, Flönz und Häschen und hätte die Blutwurst wohl in den Mülleimer gewürgt, wenn mir das nicht allzu theatralisch vorgekommen wäre.
Was heißt all das nun für meine Beziehung zu meinem Metzger? Ich vertraue ihm weiterhin vollkommen, auch wenn ich ihm das nicht so zeigen kann, dass es uns beide glücklich macht.
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