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N° 85, Kindheit

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„Mach mir was drauf, was zu mir passt“

Dirk Gieselmann hört einfach mal auf die Profis. Teil 1: in den Armen eines Tätowierers

Als ich achtzehn war, alt genug, um selbst zu entscheiden, und jung genug, um dumme Entscheidungen zu treffen, vertraute ich einmal einem Mann namens Ziege. Ich fuhr, hundert Mark in der Tasche, mit dem Bus ins nächstgrößere Dorf, um mich von ihm tätowieren zu lassen. 

Damals waren Hautbilder von Indianerschmuck beliebt, ein paar meiner Freunde trugen sie auf dem Oberarm, die Federspitzen lugten ihnen unter dem T-Shirt hervor, als wären sie Statisten bei den Karl-May-Festspielen. Manche hatten sich Tribals stechen lassen, wieder andere chinesische Schriftzeichen, die etwas Heroisches bedeuten sollten, aufgrund eines Übersetzungsfehlers aber „Ente kross“ lauteten. 

Ich wollte eine Tätowierung, die auf der ganzen Welt sonst niemand trug. Und so sagte ich zu dem Tätowierer, von dem ich nicht mehr wusste, als dass man ihn Ziege nannte, weil er einer Ziege nicht unähnlich war: „Mach mir was drauf, was zu mir passt.“ 

„Cool“, sagte Ziege und drückte seine Zigarette aus. „Dann lass uns mal loslegen.“

Ich setzte mich auf einen Stuhl, legte den Arm auf einen Beistelltisch und schloss die Augen. Die Maschine begann zu surren, meine Haut zu schmerzen. Es war ein anfänglich entsetzlicher, bald erträglicher und schließlich erbaulicher Schmerz. Ich dachte: Wenn das hier fertig ist, bin ich ein echter Kerl, dann trage ich nur noch Unterhemd. Und alle werden glauben, ich sei schon mal im Knast gewesen. Was immer mir daran erstrebenswert vorkam – ich habe es vergessen.

Ich öffnete die Augen und sah zum ersten Mal, was ich von nun an immer sehen würde, wenn ich meinen Oberarm betrachtete

Irgendwann sagte Ziege, als hätte er uns Spiegeleier gebraten: „So, fertig!“ Ich öffnete die Augen und sah zum ersten Mal, was ich von nun an immer sehen würde, wenn ich meinen Oberarm betrachtete: das Bild eines Teddybären mit einem Joint in der Schnauze.

Sagte ich bereits, dass ich jung genug war, um dumme Entscheidungen zu treffen?

Für viele Jahre musste ich, wenn ich den kiffenden Teddybären zum Vorschein brachte, mit länglichen Erklärungen die gleiche Frage beantworten: „Was zum Teufel ist das?“ Dass so etwas die ohnehin brüchige Romantik gewisser Situationen zum Einsturz bringen kann, sei hier nur am Rande bemerkt.

Nun will ich nicht behaupten, Ziege habe mein Vertrauen missbraucht. Hätte er mich, jung, wie ich war, noch einmal darüber aufklären müssen, was ich ja ohnehin wusste, was jeder Idiot weiß: dass so eine Tätowierung sich nicht wieder abwaschen lässt? Hätte er, wenn ich ihm schon freie Hand ließ, ein Motiv wählen sollen, das nicht derart peinlich ist? Ich glaube, dass Ziege sein Bestes gegeben hat. Er selbst schien zufrieden mit dem Resultat: Er schoss mit der Sofortbildkamera ein Foto, um es im Schaufenster seines Ladens auszustellen. 

Er wäre wohl gekränkt, wenn er erführe, dass ich die Tätowierung habe abdecken lassen. Heute trage ich an dieser Stelle ein schwarzes Rechteck, eine Grabplatte, wenn man so will, unter der der lächerliche Teddybär beerdigt ist. Auch das sieht nicht sehr schön aus, aber immerhin lassen sich Fragen danach ganz gut wegwischen. „Bloß ein Rechteck“, sage ich dann. „Es bedeutet nichts.“

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