Mach mal heller
Von White-Supremacy-Idioten und Critical-Whiteness-Talibanen: Warum wir das Thema „Weiße“ machen mussten
Von Natascha Roshani und Oliver Gehrs; Foto: Pietro Ripaltese
Thema Weiße? Klingt erst mal komisch. Denn so sehr wir daran gewöhnt sind, Menschen mit Schwarzer* Hautfarbe auf eben dieses Merkmal zu reduzieren, so wenig lassen wir die Beschneidung unserer eigenen Identität zu. Eher schon definieren sich Menschen mit heller Haut über das Alter, das Geschlecht oder den Beruf. Insofern fanden wir es verlockend, das bei Schwarzen völlig übliche Schubladendenken mal den Weißen angedeihen zu lassen.
Viel ist in den vergangenen Jahren über das Privileg, Weiß zu sein, geredet worden. Die soziale Ächtung, die mit Schwarzer Haut noch oft einhergeht, wird mehr denn je thematisiert, ebenso die Vorteile, die ein heller Teint mit sich bringt – selbst in Gesellschaften, die überwiegend nicht Weiß sind.
Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat den Fokus auf die überbordende Gewalt gegen Schwarze gerichtet, die sogenannte Critical Whiteness Theory hat die deutschen Unis erobert. Und dennoch kann man nicht behaupten, dass es heute weniger Rassismus gibt als noch vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren. Eher ist es mehr geworden. Aber wieso ist das so?
Ein Grund ist sicherlich, dass sich die oft wohlmeinenden Diskussionen zu sehr in einem akademischen Rahmen abspielen und wenig Wert darauf legen, für größere Gesellschaftsschichten anschlussfähig zu sein. Zudem verschreckt ein gewisser Rigorismus: Wer sich als Weißer und Weiße nicht grundsätzlich schuldig fühlt, steht bei manchen selbst ernannten (und oft ziemlich Weißen) Kämpfern und Kämpferinnen für die Schwarze Sache bereits unter Rassismusverdacht. Mit geradezu preußischer Korrektheit wurde da ein Theorieimport aus den USA vollzogen – bei gleichzeitigem Desinteresse für originär deutsche Probleme wie Antisemitismus und Antislawismus. Manche glauben gar, wer als deutsche Kartoffel Dreadlocks trägt, versündige sich einmal mehr am kulturellen Erbe der einst millionenfach Versklavten.
Ein Bürgergeldbezieher, der ums Überleben kämpft, hört sich von gut versorgten Akademikerkindern ungern an, privilegiert zu sein
Dieser Moralismus, der zuweilen sogar ins Identitäre abdriftet, hat dem Kampf gegen den grassierenden Rassismus einen Bärendienst erwiesen. Kurz gesagt: Wer als Weißer Bürgergeldbezieher jeden Monat ums Überleben kämpft, hört sich nicht gern an, er sei ein privilegierter Mensch.
In diesem Heft geht es viel um die Strukturen, die Rassismus möglich machen, aber auch um Menschen, die trotz ihrer hellen Hautfarbe in der Scheiße sitzen –
und natürlich auch um den Irrwitz der Annahme, es gäbe eine superiore Weiße Rasse. Apropos: Wir haben es selbst erst gar nicht bemerkt, dass wir ausgerechnet unsere Ausgabe Nr. 88 dem Thema Weiße widmen. In Kreisen überzeugter Neonazis steht die Zahl 88 als Chiffre für „Heil Hitler“. Das nehmen wir aber gern mit. Denn ausgerechnet mit dieser Nummer den Versuch zu wagen, es in manch dunkel-dumpfen Köpfen ein wenig heller zu machen, ist uns Herausforderung und besonderes Vergnügen in einem.
*Wir schreiben „Schwarz“ und „Weiß“ groß, um zu verdeutlichen, dass es keine feste Eigenschaft ist, sondern eine gesellschaftspolitische Kategorie. Niemand ist wirklich schwarz oder weiß.
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