Braunes Pflaster
Im französischen Béziers sammelt die Polizei Scheißhaufen auf der Straße, um die Besitzer der kackenden Hunde per DNA-Datenbank zu überführen. Schade, dass man diesen Plot nicht mehr mit Louis de Funès verfilmen kann
Von Erik Hlacer; Bilder: Lea Ernst
„Der Haufen ist zu trocken“, sagt Jean-Luc, fummelt sein Handy aus der Brusttasche und wählt die Nummer vom Reinigungsdienst. „Mika? Wir haben einen, an der Promenade, gleich neben der Fontäne. Er ist zerquetscht, wahrscheinlich ist jemand reingetreten.“
Sein Handy verschwindet wieder in der tiefblauen Uniform, an der alles befestigt ist, was ein Kommunalpolizist in Béziers braucht. Stift, Schlüsselbund, Handschuhe, eine Pistole und einige Wattestäbchen. Mit denen nimmt Jean-Luc Abstriche vom Hundekot, der auf der Straße liegt. Allerdings nur dann, wenn der Kot noch frisch ist. „Er muss sich in einem prächtigen Zustand befinden. Wir sind da sehr anspruchsvoll“, sagt er ernst. Jean-Luc ist 62, groß, kräftig und trägt einen dieser schnörkellosen Kurzhaarschnitte. Polizist werden wollte er schon als Kind, weil er es mag, für Ordnung zu sorgen. Und genau das macht er heute in seiner Heimatstadt.
Béziers liegt in Südfrankreich, in Okzitanien, unweit des Mittelmeeres. Immer mehr Franzosen sind in den vergangenen Jahren hergezogen, um ihren Ruhestand zu genießen. Waren es 74.000 Einwohner im Jahr 2013, sind es inzwischen 82.000.
Robert Ménard ist Bürgermeister von Béziers und einer der kontroversesten Politiker Frankreichs. Er gründete 1985 „Reporter ohne Grenzen“ und galt lange als unbeirrbarer Streiter für Menschenrechte. Noch 2008 kletterte er vor den Olympischen Spielen in Peking auf die Pariser Kathedrale Notre-Dame und entrollte ein Banner, auf dem statt den Olympischen Ringen Handschellen zu sehen waren. „Freiheit für Tibet“, schrie er dabei.
Der Bürgermeister will auch nicht, dass seine Kinder schwul werden
Ein Provokateur mit Prinzipien, das ist er auch heute noch. Nur haben sich seine Prinzipien verschoben. 2011 sagte Ménard, er wolle nicht, dass seine Kinder schwul werden. 2014 forderte er, dass die Einwanderung von Muslimen gestoppt werden müsse. Und als er 2015 angab, die Zahl muslimischer Kinder in den Kindergärten und Schulen in Béziers ermittelt zu haben, distanzierte sich sogar die damalige Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, öffentlich von ihm.
Wer durch Béziers läuft, der sieht Ménards Handschrift. Oft heulen Polizeisirenen. Polizisten patrouillieren durch Parks. Harmlos anmutende Gassen werden videoüberwacht. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt hat Ménard das Polizeiaufgebot verdoppelt und peu à peu Regeln eingeführt, die frankreichweit für Schlagzeilen sorgten. Zum Beispiel dürfen Anwohner tagsüber ihre Wäsche nicht mehr nach draußen hängen. Das schadet angeblich dem Stadtbild. Und dann wäre da noch seine DNA-Datenbank für Hunde.
„Ich kann diesen ganzen Kot nicht mehr ertragen“, sagte Ménard im Sommer 2023 und erließ eine Vorschrift, wonach jeder Hundebesitzer die DNA-Daten seines Tieres erfassen lassen und in Form eines DNA-Passes mit sich führen muss. Wenn Polizisten wie Jean-Luc in den Straßen einen Haufen finden, kann die Stadt so den Kot zuordnen und den Hundebesitzer mit 130 Euro belangen.
Oberflächlich betrachtet klingt das nach einer ulkigen Geschichte aus einem südfranzösischen Städtchen. Polizisten, die Häufchen suchen, Hunde mit DNA-Pässen, ein Bürgermeister, der sich über Aa auf den Straßen ärgert. Doch tatsächlich geht es auch darum, wie ein rechtsextremer Bürgermeister um jeden Preis seinen Willen durchsetzt, die Grenzen der Rechtsprechung auslotet und auch ignoriert.

Da, ein Mann mit Hund! Jean-Luc und seine Kollegin Delphine gehen auf den älteren Herrn zu, der gerade mit seinem Cavalier-King-Charles-Spaniel im Stadtpark spazieren geht.
„Guten Tag, Monsieur“, sagt Delphine. „Wir müssen Sie kontrollieren. Haben Sie den DNA-Pass für Ihren Hund dabei?“
Der ältere Herr verneint und beginnt, sich zu rechtfertigen.
„Schon okay“, interveniert Jean-Luc. Er solle einfach beim nächsten Mal dran denken. „Einen schönen Tag, Monsieur.“
Immer wieder käme es vor, dass Leute den Pass nicht dabeihaben. Eigentlich kostet das 38 Euro. Aber Jean-Luc drückt häufiger mal ein Auge zu. So wie bei diesem Mann gerade. „Ich weiß ja, dass normalerweise seine Frau mit dem Hund rausgeht“, sagt er großväterlich.
Manche Hundebesitzer würden aber auch unfreundlich oder gar wütend auf die Kontrollen reagieren. Sie fragen, warum die Polizei nicht Drogendealer jage, sondern Hundebesitzer. Jean-Luc versucht dann, in Ruhe zu erklären, dass er die Kontrollen durchführen müsse und dass das eine Anweisung von ganz oben, aus dem Rathaus sei.
Seit zwei Jahren patrouilliert Jean-Luc inzwischen durch Béziers auf der Suche nach Hundebesitzern und -haufen. Jeden Tag. Früher, da habe er verwilderte Katzen von Friedhöfen vertrieben, Vandalen verjagt, illegal abgelagerten Müll dokumentiert. Dafür sei inzwischen keine Zeit mehr. „Die DNA“, wie er die Regel nennt, sei jetzt seine Hauptaufgabe.
Jean-Luc findet das mit der DNA gut. Ein unerträglicher Zustand sei das vorher gewesen. Man habe den Blick kaum vom Boden abwenden können, ohne gleich in einen Haufen zu treten. Es sei nicht wie in Deutschland. „Dort sind die Leute diszipliniert. Aber hier … Wir sind eben Südländer.“
Laut Daten der Stadt Béziers ist die Anzahl der Hundehaufen im Zentrum um neunzig Prozent zurückgegangen, seitdem die DNA-Regel gilt. Wurden im Oktober 2023 noch 1.661 Hundehaufen pro Monat gefunden, waren es zwei Jahre später nur noch 162. Mehr als drei Viertel der Hundebesitzer führten inzwischen einen Pass bei sich.
Und was sagen die Herrchen und Frauchen?
Der Besitzer von BeagleHündin Tara findet das ja im Grunde eine gute Sache. So sieht das auch der Besitzer von Nestor, einem kleinen Terrier-Mischling. Ein Pärchen aus London hat sich vor einem Jahr eine Ferienwohnung in Béziers gekauft. „Diese Regel ist das Beste überhaupt“, sagt der Mann, während die zwei identisch aussehenden Bulldoggen Ralf und Raggie beim Balgen miteinander zu verschmelzen scheinen. „Hier in Béziers ist es so sauber“, ergänzt seine Frau und zeigt mit dem Finger auf den Boden. Das sei alles das Verdienst von Robert Ménard.
42.000 Euro hat die Stadt Béziers im ersten Jahr für die Hundekot-Vorschrift ausgegeben. Allein für die Probenentnahmen steht ein Jahresbudget von 9.000 Euro zur Verfügung. Die Summe, die man früher für die Reinigung der Straßen von Hundehaufen ausgegeben hat, sei deutlich höher gewesen. Das Projekt rentiere sich also, versichert der Bürgermeister. Und diene anderen Kommunen in Frankreich als Vorbild. Béziers war die erste Stadt Frankreichs, inzwischen haben andere Gemeinden angekündigt, ebenfalls eine DNA-Datenbank für Hunde einführen zu wollen.
Kritiker der Kot-Nummer sehen eine „polizeiliche Kontrollgesellschaft“ heraufziehen
Die Hundekot-Regel von Robert Ménard scheint aber nicht nur Auswuchs einer fanatischen Ordnungspolitik zu sein. Sie erzählt auch die Geschichte eines Mannes, der es ungeachtet seiner teils kruden und rechtsextremen Äußerungen geschafft hat, die Probleme anzugehen, die die Bürger der Stadt wirklich beschäftigen. Wer es wohlwollend mit Ménard meint, könnte sagen, dass er die Menschen mit pragmatischer Sachpolitik hinter sich vereint. Und dass eine gute Idee eine gute Idee bleibt, auch wenn sie von einem Rechtsextremisten kommt.
Es könnte also eine wunderliche kleine Erfolgsgeschichte sein. Wenn nicht am 6. Mai 2025 das Verwaltungsgericht Montpellier Ménards DNA-Regel für nichtig erklärt hätte. Im Urteil steht, dass die Maßnahme weder notwendig noch verhältnismäßig sei. Die Stadt Béziers habe nicht bewiesen, dass die vielen Hundehaufen auf den Straßen die öffentliche Sicherheit und Gesundheit tatsächlich beeinträchtigen. Ménards auf zwei Jahre angelegte DNA-Regel, die eigentlich noch bis Juli Bestand gehabt hätte, verlor ihre Wirkung. Aber Ménard machte dennoch weiter.
Sophie Mazas heißt die Frau, die den Prozess gegen Ménard vor dem Verwaltungsgericht Montpellier gewonnen hat. Sie spricht gewählt, wissenschaftlich, und doch spürt man ihre Erschütterung. Ihr ist der juristische Kampf, den sie schon seit Jahren gegen die Stadt Béziers führt, anzumerken.
Seit 2004 ist Mazas Anwältin in Montpellier. Geboren wurde sie in Béziers, ihre Familie lebt seit Generationen in der Region. Auch deshalb berührt sie das alles besonders. Die Region sei traditionell immer sozialdemokratisch gewesen, erklärt Mazas. Heute aber werden die Rathäuser in der Region fast ausschließlich von rechten oder rechtsextremen Politikern regiert. Béziers sei das beste Beispiel. Bei den französischen Parlamentswahlen 2022 bekamen der Kandidat des Rassemblement National sowie die parteilose Rechtsextreme Emmanuelle Ménard, die Ehefrau des Bürgermeisters, insgesamt über siebzig Prozent der Stimmen. Aus dem sozialdemokratischen Béziers ist eine rechte Hochburg geworden.
Es habe nicht erst mit der DNA-Regel begonnen, sagt Mazas, die schon alle möglichen Erlasse Ménards angefochten hat. Aber an der DNA-Regel, sagt sie, zeige sich am besten, wie sich in Béziers zurzeit autoritäre Tendenzen manifestierten. „Wenn man Hundebesitzer kontrolliert, bedeutet das, dass man Polizeigewalt über die Menschen ausübt, die mit ihrem Hund spazieren gehen.“ Der Bürgermeister überschreite seine Befugnisse. „Er errichtet eine polizeiliche Kontrollgesellschaft.“
Die Stadt Béziers erwidert, dass die Klagen gegen Ménard politisch motiviert seien. Und dass das Verwaltungsgericht die DNA-Regel bloß wegen eines Verfahrensfehlers gekippt habe. Deshalb habe man Berufung eingelegt und parallel einen neuen Beschluss gefasst, um das Projekt fortzusetzen. Im Berufungsprozess könne die Stadt dann bestimmte Aspekte besser nachweisen. Aber dieser eine Verfahrensfehler dürfe nicht die ganze Regel beeinträchtigen, die ja nachweislich wirksam sei.
Im Urteil steht allerdings nichts von einem solchen Verfahrensfehler.

Der Haufen stinkt. Das deutet darauf hin, dass er noch frisch ist. Wobei es eigentlich eher eine Ansammlung von fünf kleinen braunen Würstchen ist, um die sich eine Fliegenschar gebildet hat. Es ist inzwischen Mittag, und über Béziers hängen dichte Wolken. Es muss jetzt schnell gehen, denn wenn es regnet, sind Kotabstriche kaum noch möglich.
Delphine zückt ihr Handy und tippt ein paar Eckdaten ein. Place de la Tour – ein Hotspot der Hundehaufen. Sie bückt sich und macht ein Foto, das sie zu den Tausenden anderen auf den Server stellen wird. Dann überlässt sie das Prachtstück Jean-Luc. Der nimmt ein Wattestäbchen und bückt sich zum Kot hinunter, so, dass seine Nase den größtmöglichen Sicherheitsabstand wahrt. Die Handschuhe lässt er inzwischen weg, er sei „zu erfahren, um mit dem Finger in die Kacke zu greifen“. Drei Sekunden lang führt er das Stäbchen über die Außenseite einer der fünf Würstchen. Tief rein muss er nicht. Gerade an der Oberfläche befinden sich noch Zellen von der Darmwand des Hundes, also das benötigte genetische Material. Jean-Luc knickt das Wattestäbchen, einmal, zweimal, die Probe wandert ins Röhrchen.
Gerade als Jean-Luc das Plastikröhrchen verstaut hat, kommt eine ältere Anwohnerin aus einem der Häuser. „Das da haben wir regelmäßig“, sagt sie verärgert und deutet auf die fünf Würstchen, auf denen sich inzwischen wieder Fliegen niedergelassen haben. „Wir kämpfen dagegen an. Wir stellen Strafzettel aus“, versucht Jean-Luc zu beschwichtigen. Die Frau findet die DNA-Regel gut. Aber sie helfe nun mal nicht überall, sagt sie. Zum Beispiel nicht hier, vor ihrem Haus. Die Ecke sei nicht videoüberwacht, und deshalb würden die Leute die Haufen einfach liegen lassen. Sie habe daher unten an der Treppe extra einen großen Stapel mit Altpapier. In das will sie den Haufen nun einwickeln und wegwerfen.
„Nein, Madame, wir kümmern uns“, sagt Delphine. Ob sie denn jemand Verdächtigen gesehen hätte, fragt Jean Luc. „Nein, ich kann ja auch nicht den ganzen Tag am Fenster stehen.“
Auf die Frage, ob Ménard nicht einen Punkt habe, wenn doch die Mehrheit der Bevölkerung seine Regel gut findet, zieht Anwältin Mazas die Augenbrauen hoch. „Es geht um mehr“, sagt sie. Es sei ein Grundrecht der Hundebesitzer, sich frei bewegen zu können, ohne mit Repressionen rechnen zu müssen. Und auch einfache Mehrheiten dürften Grundrechte nicht antasten. Das zeige schließlich auch das Gerichtsurteil.
Dass sich Ménard dem widersetzt, sei ein Bruch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung, der für die politische Rechte ganz typisch sei. „Er stellt sich über die Justiz, weil er denkt, dass er etwas Besseres ist. Es ist fatal, dass er damit durchkommt.“
Das größte Problem sei, dass das Verwaltungsgericht keine Schritte unternimmt, um ihm etwas entgegenzusetzen. Mazas habe einen Eilantrag gestellt, um gegen den neuen Erlass von Ménard zu klagen. Doch der Richter in Montpellier habe ihre Klage abgewiesen mit der Begründung, dass sie nicht dringlich genug sei.
Mazas kann schon nicht mehr an zwei Händen abzählen, wie viele Prozesse sie gegen Ménard und die Stadt Béziers gewonnen hat. „Aber was ist das wert, wenn eine Gerichtsentscheidung nicht befolgt wird und niemand darauf reagiert?“
Die Verantwortlichen in der Justiz seien in den vergangenen Jahren lethargisch geworden. Und Béziers sei kein Einzelfall. Die ganze Region sei voll mit rechtsextremen Rathäusern und passiven Verwaltungsrichtern. Der Rechtsruck habe sich in der südfranzösischen Justiz institutionalisiert.
Mazas seufzt und gewährt sich nach minutenlanger Rede eine kleine Atempause. Dann sagt sie: „Und das Schreckliche ist, dass die extreme Rechte an die Macht kommt, indem sie der älteren Dame lächelnd über die Straße hilft. Aber das ändert nichts daran, dass es sich um Rechtsextremismus handelt. Man kann lächeln und trotzdem schreckliche Dinge tun.“
Jean-Luc und Delphine sind zurück in ihrem „Büro“ – ein Raum, kaum größer als eine Abstellkammer. In der Ecke steht ein Ventilator, eingequetscht zwischen Wand und Schreibtisch ein Stuhl – nichts hier scheint für die Ewigkeit gedacht. „Das ist mein Tresor“, sagt Jean-Luc und zeigt auf einen mit Kartons umstellten Kühlschrank, der mit einem goldfarbenen Schloss verriegelt ist: ein vier Grad kalter Tresor für Bézierer Hundekot. Bislang liegt genau eine Probe im Kühlschrank, Jean-Luc legt sein Röhrchen dazu. Und einen Zettel, der alle wichtigen Daten zum Fund auflistet. Darunter auch den Zustand der Kacke: „FRAICHE“.
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