„Wie Crack, das man frisst“

Finger im Essen, Schwermetalle im Fisch und italienische Kinderküche:  Sternekoch Max Strohe über das, was auf unsere  Teller kommt – in der Gastronomie, aber eben auch zu Hause

Interview: Oliver Gehrs; Bilder: Max Slobodda und Nikita Teryoshin

Dass Max Strohe mal einer der besten Köche des Landes wird, war so nicht absehbar. Schule abgebrochen, Aus­bildungen hingeschmissen, Drogen genommen und Kar­toffel­brei aus der Tüte gegessen. Weiß man alles, weil Strohe nicht nur kochen, sondern auch schreiben kann. In seinem Buch „Kochen am offenen Herzen“ lässt er einen teilhaben an seinem Aufstieg zum Inhaber des Berliner Gourmetrestaurants Tulus Lotrek, das er zusammen mit seiner Partnerin Ilona Scholl führt. Dass Kochen auch politisch sein kann, zeigten die beiden zu Coronazeiten, als sie Impfzentren und Krankenhäuser gratis mit Essen versorgten. Oder neulich, als man im Tulus Lotrek gegen den Deportationshunger der AfD ankochte, mit Gerichten, „die es in hermetisch abgeriegelten Diktaturen garantiert nicht zu essen gibt“, wie Strohe sagt. Dazu wurde „Antifanta“ getrunken. Genau der richtige Mann also, um ein nahrhaftes Gespräch darüber zu führen, welchen Mist wir so zu uns nehmen.

DUMMY: In vielen Restaurants kann man in die Küche sehen und den Köchen beim Kochen zuschauen – oft auch dabei, wie sie das Essen probieren und sich genüsslich die Finger ablecken. Soll man sich freuen, dass es ihnen so gut schmeckt, oder doch ein bisschen ekeln? 

Max Strohe: Wenn ich’s nicht sehe, ist es mir eigentlich egal. Aber wenn man es weiß, wird’s komisch. In meiner Ausbildung gab es mal einen Koch, der immer mit dem Daumen durch die Grünkohlpfanne ging, ihn dann komplett in den Mund steckte und beim Rausziehen laut ­„lecker“ rief. Damals habe ich darauf verzichtet, mir übrig gebliebenes Essen mit nach Hause zu nehmen. Andererseits haben wir den Grünkohl drei Stunden kochen lassen, da war dann alles, was von dem Koch drin war, rausgekocht. Im Tulus Lotrek geben wir uns schon Mühe und tragen Handschuhe. Spätestens seit Corona ist auch allen klar, dass es nicht so toll ist, wenn sechs Leute von einem Löffel probieren.

Eine kleine Umfrage im Vorfeld unseres Gesprächs hat ergeben: Es gab schon alles. Salmonellen in Italien, Noro­virus in Schweizer Hotels, Spinatvergiftung beim Inder in Berlin …

Puh, alles nicht schön. Ich glaub dennoch, dass die Hygienestandards in deutschen Küchen ziemlich hoch sind. Wenn man sich durch die Garküchen Bangkoks oder Singapurs frisst, ist man anderes gewohnt. Allerdings habe ich neulich was beim Thailänder bestellt, und obwohl nicht zu erkennen war, dass irgendwas nicht in Ordnung war, hat es mir dermaßen den Magen zerfetzt. Ich finde, man muss in solchen Fällen das Restaurant informieren und nicht gleich das Gesundheitsamt. Damit die Leute es besser machen können.

Was bestellt du auf keinen Fall im Restaurant?

Suppe. Denn da fällt oft vieles rein, was nicht unbedingt reinmuss. Ich esse auch nicht in Restaurants, die alles anbieten – vom Schnitzel über Pizza bis Sushi. Und vorsichtig bin ich auch, wenn auf der Karte steht, dass etwas frisch ist. Wenn die Leute glauben, das hervorheben zu müssen, bist du definitiv am falschen Ort.

In dem Film „Betty Blue“ gibt es eine Szene, in der eine nervige Restaurantbesucherin eine Pizza mit Resten aus dem Mülleimer serviert bekommt. Gibt’s so was? Spuckt man mal aufs Essen, wenn ein Gast Probleme macht?

Das habe ich noch in keiner Küche erlebt, aber es gibt schon Läden, wo ich kurz vor Schluss nicht reingehe, weil ich weiß, dass alle frustriert und gestresst sind und ich womöglich den letzten Rotz bekomme. Es gab auch mal einen Fall, da war Sperma auf der Pizza … Als Chef muss man, finde ich, ein Umfeld schaffen, in dem die Leute nicht so frustriert sind, dass sie das nötig haben. 

Ist das nicht schwer in einem Arbeitsumfeld, das wie in der Gastronomie von Stress, Hierarchie und Übergriffigkeit geprägt ist?

In den vergangenen Jahren ist vieles besser geworden. Früher war es ein Job für all die, die sonst nichts auf die Reihe bekommen haben. Heute ist das eher ein Trendberuf, in dem sich Menschen kreativ verwirklichen wollen. Und in dem auch immer mehr Leute mit anderem Background arbeiten. Das hat auch mit der Wertschätzung d er Öffentlichkeit zu tun und mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung: Respekt und Achtsamkeit, das sind Tugenden, die mittlerweile auch in der Gastronomie eine große Rolle spielen.

„Die meisten merken nicht mal, was sie für einen Mist essen, weil die vielen Zuckerstoffe schon ihr Gehirn vernebelt haben“

Sprechen wir mal über den Mist, der nicht in der Gastronomie passiert, sondern schon in den Lebensmitteln steckt. In einigen, meist teuren Restaurants stehen Austern auf der Karte, Muscheln und jede Menge Meeresfisch. Schmeckt lecker, aber aufgrund der belasteten Meere stecken da mittlerweile jede Menge Schwermetalle drin, zum Beispiel Quecksilber und Cadmium. Wie gehst du als Koch damit um?

Am besten bei der Auswahl der Produkte gegensteuern und so versuchen, das Risiko zu minimieren. Bei Fisch heißt das: Nix aus dem Schleppnetz, gern Handgeangeltes oder Zuchtprodukte. Gerade beim Thunfisch gibt es gezüchtete Alternativen im Gegensatz zu den alten Fischen, die aus dem Meer gezogen werden. Aber was die Qualität des Essens angeht, lass mal nicht nur auf die Gastronomie gucken. Das fängt für mich zu Hause an. Ich fasse es nicht, was da alles auf den Teller kommt. Jetzt beginnt wieder die Grillsaison mit den schrecklichen Produkten voller Weichmacher und Konservierungsstoffen. Fleisch von Tieren, denen es nicht gut ging – und alles zum Spottpreis. Die meisten merken nicht mal, was sie für einen Mist essen, weil die vielen Zuckerstoffe schon ihr Gehirn vernebelt haben. 

Andere Länder scheinen da weiter. In Italien werden zunehmend alte Weizensorten angebaut, weil der In­dustrie­weizen, mit dem die meisten Nudeln gemacht werden, kurz vor der Ernte noch mal mit Glyphosat besprüht wird. Studien zeigen, dass dadurch Darm- und Autoimmunkrankheiten viel häufiger vorkommen. 

Und trotzdem kaufen viele in Deutschland die Industrie­nudeln im Supermarkt. Oder die Leute ballern sich morgens Croissants oder Toasts rein und wundern sich, dass sie nach drei Stunden schon wieder Hunger haben. Weil sie nicht verstehen, dass diese kurzkettigen Kohlenhydrate nichts anderes sind als Crack, das man frisst. Dabei sollte man ja denken, dass Italien eher für dolce vita und Sorglosigkeit steht und sich die ernsten Deutschen um die Qualität des Essens kümmern. Aber nein, in Deutschland muss der Teller vor allem schön voll sein – und der Preis muss stimmen. Wenn man sich die deutschen TripAdvisor-Bewertungen anguckt, geht’s ganz oft um das Preis-Leistungs-Verhältnis. Ich finde schon das Wort Mahlzeit schlimm. Das ist doch auch schon wieder eine zeitliche Begrenzung.

Wenn es um besseres, gesünderes Essen geht, wird man oft als bevormundend wahrgenommen. Als die Grünen vorschlugen, öfter mal vegetarisch zu essen, krakeelten Bild und FDP was von Verbot.

Klar, die gesellschaftliche Debatte ist völlig daneben. Ich finde es immer wieder erstaunlich, mit welcher Scheiße Kinder schon in der Schule gefüttert werden. Meine Tochter hat schon mit acht gemerkt, dass nicht mal die Kartoffeln in der Schulkantine was taugen. Entweder sind sie hart oder matschig, und dann werden sie mit einer Soße aus Guarkernmehl angemacht, damit alles eine schöne spermaartige Konsistenz bekommt

Das Aus für Glyphosat bis Ende 2023 auf deutschen Ackern, weniger Zucker, Fett und Salz im Essen, mehr Tierwohl: Die Ampel hatte sich viel vorgenommen und bis­lang wenig erreicht. Oft wird auch mit der sozialen Gerechtig­keit argumentiert. Dass sich also auch die Ärmeren jeden Tag Fleisch leisten sollen. Trotz aller Skandale um Wurstfabriken und Gammelfleisch bleibt also alles beim Alten.

Das ist wie bei Rammstein, da gibt’s trotzdem ein neues Album. Einen großen Teil der Lebensmittel müsste man einfach vom Markt nehmen, damit würde man unserer Gesundheit und dem Tierwohl einen großen Dienst erweisen. Momentan wird Essen für Entmündigte gemacht. Keine Aufklärung, kein Schutz vor Trash. 

„Mit Nudeln und Pizza sind wir alle aufgewachsen, deswegen fressen wir das die ganze Zeit“

Kennst du eigentlich das Lieblingsessen von Bundeskanzler Olaf Scholz?

Nö.

Was schätzt du?

Klopse.

Richtig geraten. Kennst du auch das von Angela Merkel?

Nee. Klopse?

Da war Helmut Kohl mit seinem Saumagen ganz vorn. Das war immerhin etwas, das nicht jeder zubereiten kann. Natürlich wollen die Politiker immer Volksnähe suggerieren und sich nicht nur in guten Restaurants sehen lassen. Die verstecken sich auch bei uns in der hintersten Ecke. Rate mal, was Tim Raue für Barack Obama gekocht hat, als der nach Deutschland kam?

Klopse?

Kein Witz. Der Asiate unter den deutschen Köchen hat Klopse gemacht.

Tim Raue erzählt oft, dass er sich nach der Arbeit gern eine Currywurst reinzieht. Ist dieser von einigen Chefköchen behauptete Jieper auf Soulfood reine Koketterie, oder ist da was dran?

Man will immer das, was man nicht hat. Wenn ich den ganzen Tag französische Gerichte koche, die immer ein wenig kontrastarm sind, will ich danach gern eine andere Geschmackswelt. Ich gehe dann scharf essen, gern asiatisch. 

Aber so richtigen Mist ziehst du dir nicht rein.

Ich hasse das Wort Soulfood, aber für mich ist das was, was mich auf eine Zeitreise mitnimmt, vielleicht in die seligen Tage, an denen man sich zum ersten Mal selbst was gekocht oder sagen wir: warm gemacht hat. Das hat was Tröstliches … 

Jetzt aber raus damit … 

Okay, die absolute Wohlfühlküche ist für mich die Ristorante Pizza Thunfisch. 

Gute Überleitung zur unfassbaren Liebe der Deutschen zur italienischen Küche. Wie erklärst du dir diese von Generation zu Generation weitergegebene Nibelungen­treue zu italienischen Restaurants, die zu 99 Prozent dasselbe auf der Karte haben?

Diese Art italienischer Küche ist für mich eine Kinderküche. Mit Nudeln und Pizza sind wir alle aufgewachsen, deswegen fressen wir das die ganze Zeit. Die meisten bestellen in italienischen Restaurants Spaghetti Bolognese oder Pizza Salami und eben nicht die gefüllte Zucchiniblüte oder die hausgemachten Ricottaravioli mit Salbeibutter. Die italienische Küche ist stellvertretend für diese großmütterliche Fürsorge, die wir uns wünschen. Und jeder und jede möchte einen Stammitaliener. Das ist der Hype der Mittelmäßigkeit.

Kleine Pointe zum Nachtisch: Als wir Max Strohe das Gespräch noch mal zum Gegenlesen schickten, dauerte es entgegen seinen prompten Mails zuvor erstaunlich lange, bis er sich meldete. Der Grund: Salmonellenvergiftung nach Solei-Genuss in einem Berliner Kaufhaus.

Die Bilder zu diesem Interview entstanden vor Jahren, als die Fotografen Max Slobodda und Nikita Teryoshin das Universum ihrer Dortmunder WG-Küche dokumentierten und verschimmelte, im Kühlschrank vergessene Lebensmittel als Fotomotiv entdeckten.

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