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N° 85, Kindheit

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Es kommt was ins Rutschen

Werden wir alle immer infantiler? Unser Reporter hat nach Antworten gesucht – auf einem Indoorspielplatz für Erwachsene. Ein Leidensbericht aus Hamburg

Von Christian Litz; Fotos: Alexandra Polina

In der Dämmerung einer Herbstnacht im Norden Hamburgs am vierspurigen Zubringer der Autobahn: abbiegen, links rein, vorbei an Tankstellen, Rewe, Aldi, Kik. Die Lichter in den Läden leuchten, noch haben sie geöffnet, aber sie wirken ziemlich leer. Auf den riesigen Parkplätzen drum herum stehen wenige Autos und einige achtlos stehen gelassene Einkaufswagen. Eine ruhige Nacht im Nirgendwo. Rechts rein, noch mal rechts die Rampe hoch auf das Parkdeck und plötzlich …

Es scheint doch keine ruhige Nacht zu werden.

Hunderte Frauen und Männer stehen in Gruppen herum, lachen laut und viel. Musik wummert durchs Parkdeck. Ein junger Mann tänzelt herum, eine kleine Boombox am Ohr. Die Freunde feixen lautstark, beklatschen ihn. Noch etwas dichter wird das Gedränge vor dem breiten Eingang ins Gebäude, etwas mehr Männer als Frauen, das Durchschnittsalter dürfte in den Mittzwanzigern liegen. Das ist die Schlange zum „Rabatzz“.

Nein, kein Club, das Rabatzz ist Hamburgs größter Indoorspielplatz, etwa zwei Fußballfelder groß. Es gibt ihn seit zwanzig Jahren, er hat damals einen Gründerpreis bekommen. Sieben Tage die Woche geöffnet, ist er tagsüber voller Kinder, Mütter und Väter, die an den Bistrotischen versuchen, sich zu unterhalten (und innezuhalten), während die Kleinen toben. So wie es die Website vollmundig verspricht: „Hier seid ihr richtig. Toben, rennen, klettern, krabbeln, rutschen, springen, hüpfen – rauf, runter, drüber, drunter – ein absolutes Kinderparadies: Spiel, Spaß und Abenteuer an jeder Ecke!“

Auch heute ist wieder Full House, trotz der relativ einfältigen Deko: An einer Wand hängen mehrere Plakate, alle mit einem Männchen drauf, das wie eine Kreuzung aus Pumuckl und dem alten Müller-Milch-Werbemännchen wirkt – scheinbar das Maskottchen vom Rabatzz. „Übernachtung (ab fünf Jahren) – Babysitter mal anders“, steht auf einem. „Geburtstage – Happy Birthday to you“ auf dem nächsten. Und dann gibt es ein Plakat, das allen, die es nicht noch nicht wissen, erklärt, was heute Nacht gerade passiert: „Ü18-Abend. Wo Erwachsene zu Kindern werden“. Das Rabatzz-Männchen hat eine Sprechblase. In der heißt es: „Unser Motto: Work hard, play hard“. Heute ist die Nacht für „große Kinder“. Statt Alltagsstress unendlicher Spaß.

Mehr Teambuilding gehts kaum: Megarutsche für Megagutgelaunte

Draußen war alles grau, dunkel und diesig, drinnen dagegen leuchten überall Scheinwerfer und Lichter, reflektieren im Glas. Verteilt über die Riesenhalle: Trampoline, Rodeobullen, Rutschen und Bällebäder. Alles hier verspricht Eskapismus pur. Großes Sich-gehen-Lassen in der Menschenmenge. Eine Welt des gepflegten Retardierens. Zum Glück in einem geschützten Raum mit vielen Regeln. Natürlich nur aus Sicherheitsgründen – und natürlich völlig anders als da draußen in der grauen, freudlosen Welt. „Spaß“ ist das meistbenutzte Wort heute Nacht.

Ab jetzt gibt es nur noch Lieder, die jeder kennt. Britney Spears, Kate Perry, Beyoncé, Madonna, die Black Eyed Peas mit „I got a feeling it’s gonna be a good good night“. Alles schon ein bisschen angestaubt, aber jedem wohlbekannt. Und schwer zu hören in der Kakofonie, die Hunderte von Menschen hier drinnen erschaffen. Ein über allem liegendes Grundgeräusch, garniert mit häufigen Spitzen von Gekreische, Gegackere und Gelächter.

Das Publikum, 600 bis 700 Menschen, besteht vor allem aus jungen Erwachsenen. Ab und zu taucht wer Älteres in der Menge auf, aber die Normalkunden scheinen spielende Menschen zwischen achtzehn und dreißig Jahren zu sein. Zwei etwa Vierzigjährige sind hier, weil sie schauen wollen, „ob das was wäre für das Team bei der Arbeit“. In die Schlange am Eingang hat sich auch eine Mutter mit ihrer Tochter eingereiht. Sie sind zum zweiten Mal da, „klar, ohne Männer, das ist unser Abend“. Sei besser als Kino, sagt die Tochter. Und ergänzt, wissend, dass es ein Klischee ist: „Mädels-abend.“ Ihre Mutter lächelt selig.

So eine Nacht hier kostet zwanzig Euro. Tickets müssen eigentlich vorher im Internet gekauft werden. Und doch geht die Einlassschlange nur langsam voran: Immer wieder hat jemand keine Karte. Ein anderer hat nicht genug Netz, um den Kauf am Eingang nachzuholen. Die Frauen hinter dem Tresen, alle im roten Rabatzz-Sweatshirt, fertigen die Menschenmassen stoisch ab, durchsuchen Hunderte von Taschen, wiederholen gebetsmühlenartig: Nichts zu essen und zu trinken mitbringen!

Und: Es herrscht Sockenpflicht. Schuhe, Rucksäcke, Jacken, alles muss in die Spinde. Wie alle Spinde sind sie zu klein und immer da, wo sich gerade die Massen drängeln. Getümmel, Gerempel, Geschubse, Gelächter, Gehopse auf einem Bein. Die Frauen tragen Leggins, Männer Jogginghosen. Die besonders Ehrgeizigen kurze Sporthosen. Weil alles so irre bunt ist, aber überall Plakate hängen, die etwas vorschreiben oder verbieten, wirkt das Rabatzz wie eine Mischung aus Kindergarten und Fitnessstudio. Nur viel größer und mit einer Cocktailbar, wo Sex on the Beach und Shots ausgeschenkt werden.

Die Halle ist riesig, zehn Meter hoch, größer als ein Fußballfeld, eine Zwischendecke ist eingezogen, und alles ist voll mit rund vierzig Spielgeräten. Am wildesten wirkt die angeblich höchste Freifallrutsche Deutschlands. Sie gilt hier bei allen als die Herausforderung des Abends: Mit exakt 7,30 Meter im „nahezu freien Fall“ wird man geködert. Gleichzeitig warnt ein Schild: Am besten nur langärmelig, nicht bremsen und aufpassen, dass das T-Shirt nicht hochrutscht, sonst gibt’s Brandstellen auf der Haut. Tatsächlich ähneln die Gespräche in der Schlange zur Rutsche einem Drittklässler-Talk, wenn es um eine Mutprobe geht.

Ein Käfig voller Narren

Wer allein hier ist, hat verloren, wird zum einsamsten Menschen der Welt. Ü18 im Rabatzz ist eine Veranstaltung für große Gemeinschaftserlebnisse. Man kommt in Gruppen zum After-Work, Bonding, Teambuilding, um Spaß zu haben mit Kumpels oder Mädels. Vielleicht wechselt man mit dem Einzelgänger ein paar Sätze beim Drängeln vor den Spinden oder beim gemeinsamen Schlangestehen oder natürlich im irgendwie doch intim wirkenden Bällebad. Und doch gilt hier das ungeschriebene Gesetz: Jeder hat seine Gruppe, sein Rudel, seine Herde.

Vor der Riesenwellenrutsche stehen fünf junge Frauen in der Schlange, die zusammen zur Uni gehen. Sie sind zum ersten Mal hier, „weil wir mal was anderes machen wollten“. Eine ruft in den ohrenbetäubenden Lärm: „Spaß, nur Spaß.“ Die Rutsche startet in sieben Meter Höhe, ist 32 Meter lang und hat vier Spuren. Laut Veranstalter ist sie das beliebteste Spielgerät bei Rabatzz, „auch bei Erwachsenen“. Die fünf Frauen haben sich geeinigt, welche vier von von ihnen rutschen. Sie kreischen, eine filmt die Fahrt mit ihrem Handy.

Nebenan fungieren acht Riesentrampoline als eine Art Einstiegsdroge für den Abend, je vier nebeneinander, durch Netze getrennt. Und doch darf auf jedes nur eine Person. „Du kannst da hinten rechts.“ Eine Mitarbeiterin weist die Leute ein. Der junge Mann links springt Salti, seine Freunde applaudieren bewundernd. Zwei Frauen weiter hinten hüpfen eher gemütlich, während sie sich durch das Netz unterhalten. Es scheint um einen Kollegen zu gehen, den beide nett finden. Neulich hat er geholfen bei dem … Doch ganz sicher lässt sich das nicht herauslauschen. 

Nicht ganz so gut kommt gerade die große Hüpfburg an, in der vier, fünf Leute gemeinsam springen dürfen. Manche rempeln sich an und schreien und kreischen und lachen. Der Lautstärkepegel steigt ins Unermessliche. Es gibt keine unterscheidbaren Geräusche mehr, sondern nur das große gejauchzte Gemeinschaftsgefühl. „Yeahhhhh!“ oder „Geiiiil!“ oder „Alter!“

Überhaupt die Gespräche zwischendurch beim Schlangestehen: Boah, die Steilrutsche! Wer hat schon und wer noch nicht? Ob man die noch versuchen soll? „Bist du verrückt, das ist nichts für mich.“ „Komm, schaffst du!“ Beim letzten Mal stand wer oben, der dann aber nicht wollte oder konnte. Nebenan ist die Rutsche in einer Nummer kleiner – das ist die Lösung.

Insgesamt gibt es vierzig verschiedene Spielgeräte, für jeden Geschmack, für einige muss man extra bezahlen. Es gibt einen erst leicht, dann heftig wackelnden Elektrobullen, eine Gokart-Bahn, eine Schlangenrutsche, einen Turm zum Hochklettern. Einiges, das man auch auf besseren Kinderspielplätzen findet. Der Andrang beim Hochseilgarten ist besonders groß, die Schlange scheinbar endlos, weil man hier doch Schuhe braucht, wenn man in acht Meter Höhe mit einem Gurt gesichert von Brett zu Brett trippelt und schwankt. Schuhe anhaben, sonst ist ja jeder auf Socken unterwegs, bedeutet: zurück zum Spind und noch mal anstellen.

Ach ja, die Spinde waren doch ganz nah am Ausgang. Ich will heim. Das ist die Chance. „Was, du gehst schon?“, fragt die Rabatzz-Frau am Tresen. Ja, muss leider sein, zwei Stunden, mehr geht einfach nicht. 

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