Refugees welcome
Wo ist man als Mensch mit Migrationshintergrund sicher vor der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit? Manche suchen ausgerechnet in einer rechtsextremen Partei Schutz. Zu Besuch bei den nettesten Menschen in der AfD
Von Oliver Gehrs; Bilder: Miriam Stanke
Rassismus in der AfD?
Orfeo Laudi schüttelt den Kopf. „Der überwältigende Teil der Mitglieder ist dem ausländische Mitbürger wohlgesonne“, sagt Laudi in breitem Südhessisch. „Ich hab immer gesagt: Wenn die AfD so rechtsradikal wird, wie von den Medien beschriebe, würd ich sofort austrete.“ Kurze Pause: „Aber das wird nich passiere.“
Laudi weiß also nicht nur Bescheid über die momentane Verfasstheit der Partei, sondern sogar über deren Zukunft, die ja nicht wenigen im Land größte Sorge bereitet. Noch ist es nicht lange her, dass die größten Demos aller Zeiten stattfanden, weil unter Beteiligung von AfD-Mitgliedern in einer Villa in Potsdam über die Deportation von Millionen Menschen gebrainstormt wurde. Auch im Wahlkampf der Partei machten völkische Parolen den Rechtsruck deutlich. Mal wurde erwogen, Asylbewerbern den Zutritt zu Volksfesten zu verbieten, mal die deutsche Nationalmannschaft als „durchmultikulturalisierte Söldnertruppe“ verunglimpft, mal vor der „unkontrollierten Ausbreitung kulturfremder Spezies“ gewarnt.
Aber Orfeo Laudi kann hier und jetzt bei einem Treffen im beschaulichen Weinheim, das in Baden-Württemberg an der Grenze zu Hessen liegt, Entwarnung geben: Die AfD ist harmlos und an einem funktionierenden Gemeinwesen interessiert. Wer sich als Zuwanderer redlich müht, die deutsche Sprache zu lernen, und sich frauen- und judenfeindliche Sprüche spart, bekommt keine Probleme. Als Goldstandard für die gelungene Integration – das wird sich an diesem Nachmittag im Fachwerkidyll herausstellen – darf der Eintritt in die AfD gelten.

„Mit Migrationshintergrund für Deutschland“ heißt der Verein, in dem Laudi Mitglied ist – er selbst hat einen italienischen Vater. Laut Aussage des Vereins machen sich rund 170 Menschen mit Einwanderungsgeschichte für die AfD und deren Ziele stark – also zum Beispiel für massenhafte Abschiebungen. Was nur auf den ersten Blick schizophren wirkt. Denn bei manchen Migranten und Migrantinnen der zweiten und der dritten Generation ist über die Jahre der Eindruck entstanden, dass es den heutigen Zuwanderern viel zu leicht gemacht wird, während die eigenen Eltern aus Anatolien oder Süditalien rund um die Uhr schuften mussten. Außerdem fürchten sie, dass sich die zunehmend fremdenfeindliche Stimmung im Land auch gegen sie richten könnte.
Manche suchen nun ausgerechnet bei der AfD Schutz, einer Partei, bei der sogar Bundestagsabgeordnete von ethnischer Reinheit und Eintracht in einer Abstammungsgesellschaft träumen. Unweigerlich fühlt man sich da an den „Verband nationaldeutscher Juden“ erinnert, dessen Mitglieder sich im Dritten Reich bei den Nazis anbiederten, um der eigenen Auslöschung zu entgehen. Was leider schrecklich schiefging.
Zuwanderer, die sich integrieren, bekommen keine Probleme. Als Goldstandard gelungener Integration gilt der Eintritt in die AfD
„Ich habe sofort gemerkt, dass die AfD mein Safe Space ist“, sagt Catherine Schmiedel, auch sie ist Mitglied im Verein. Geboren in Nigeria, kam sie 2013 nach Deutschland, wo sie gleich einen Sprachkurs besucht habe, den junge muslimische Männer massiv gestört hätten, was sie dauerhaft gegen arabische Zuwanderer aufbrachte – zumal ihr dasselbe sechs Jahre später noch mal passiert sei. Im Gegensatz zu ihr hätten die Männer den Kurs sogar bezahlt bekommen, was die bis heute leidlich Deutsch sprechende Schmiedel zur Überzeugung brachte, dass der Staat viel zu lax sei. „Wenn man bekommt alles geschenkt, dann hast du keine Wert für das.“
2015, das Jahr der „Willkommenskultur“ oder auch „massenhaften Einwanderung“, je nach politischer Couleur, war für sie dann der Gamechanger. „Damals“, so sagt Schmiedel, sei Deutschland „wegen der Masseneinwanderung complete geendet“. Die einzige Partei, die dem drohenden Verfall etwas entgegengesetzt habe, sei die AfD gewesen, in die Schmiedel 2021 eintrat. Seit sie Mitglied ist, wird sie schon mal im Internet als „schwarzer Nazi“ oder „dummer Affe“ beschimpft, manchmal setzen ganz Verwirrte auch nur eine Banane unter ihre Posts.

Entgeisterte Blicke, wenn sie von ihrer AfD-Mitgliedschaft erzählt, kennt auch Zakia Rappenberg, die in den Achtzigerjahren mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland kam – auf der Flucht vor den einmarschierenden Russen. Bei ihr war es weniger die Zuwanderung, die sie in die Arme der AfD trieb, sondern das andere Aufregerthema: Corona. „Ich kann das nicht vergessen. Das hat mich seelisch kaputtgemacht“, sagt Rappenberg. Weil sie sich nicht impfen lassen wollte, sei sie wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt worden. „Eine furchtbare Zeit.“ Und auch hier war die einzige Partei, die sich ihrer Sorgen annahm: die AfD. Bei der fand sie auch später Gehör, als sie plötzlich von afghanischen Flüchtlingen beschimpft wurde, weil sie einen zu kurzen Rock trug. Wer aber ein Problem mit der Emanzipation der Frau habe, der solle bitte wieder gehen.
In Rappenbergs Familie wird mittlerweile gar nicht mehr über Politik gesprochen. Mit ihrem Bruder, der in Berlin-Prenzlauer Berg lebt und die Linke wählt, hat sie eine Art Stillschweigeabkommen getroffen – auf Wunsch ihrer Mutter. So werden es dann doch immer schöne Familientreffen bei afghanischem Essen. „Die Herkunftskultur schüttelt man nicht ab, Deutschland ist meine zweite Heimat“, sagt Rappenberg.

Ein Safe Space, in dem Ausländern wohlgesonnene Menschen begegnen, die für Pluralität und Weltoffenheit eintreten: Den Erzählungen der AfD-Migranten nach scheint die Partei ein wahres Paradies für Menschen aus anderen Kulturkreisen zu sein. Der Verein lobt Weltoffenheit, Toleranz und Menschenfreundlichkeit – alles Tugenden, die im AfD-Kosmos sonst nichts gelten. Denn mal ehrlich: Sollte es dereinst zu der herbeigesehnten Remigration von Millionen Menschen kommen, die sich nicht anständig assimilieren, wären die Herzensafghanin Rappenberg, die Schwarze Schmiedel und der hessisch babbelnde Italiener Laudi auf jeden Fall unter den Unglückseligen. Denn sie erfüllen wohl kaum die von strengen AfD-Vordenkern geforderten Abstammungsregeln, ja, schlimmer noch: Laudi mangelt es sogar am deutschen Pass, obwohl er hier geboren und seine Mutter Deutsche ist. Bei seiner Geburt vor sechzig Jahren war er nach deutschem Recht Italiener. Später war ihm der Weg zum „Passdeutschen“ (so nennt es die AfD) schlichtweg zu viel Papierkram, und hundert Euro wollte er dafür auch nicht zahlen.
Also noch mal, liebe Leute vom Verein „Mit Migrationshintergrund für Deutschland“: Bekommt denn niemand Bauchschmerzen, wenn die AfD nach Kräften die Spaltung der Gesellschaft fördert und viele ihrer Mitglieder und Wählerinnen von einem Deutschland träumen, in dem Menschen wie sie keinen Platz mehr haben?
Womöglich ist das keine Frage für einfache Vereinsmitglieder, sondern eher für den Vorsitzenden und Gründer des Vereins, der auffällig bescheiden mit am Tisch sitzt und das Gespräch bislang nur mimisch begleitet. Auftritt von Athanasios Robert Lambrou.
Der 57-jährige Lambrou hat einen griechischen Vater und eine deutsche Mutter, wählte in den Achtzigerjahren die Grünen und war in den Neunzigern in der SPD. 2013 wurde er dann Gründungsmitglied der AfD, vor allem, weil ihm d ie Rettung des Euro auf Kosten der deutschen Wirtschaft Sorgen bereitete. Er gehört also der Spezies der Wirtschaftsliberalen an, von denen bereits viele wegen der Radikalisierung der AfD das Weite gesucht haben. Aber keine Holocaustverharmlosung, kein Lob für SS-Männer, keine pauschale Verunglimpfung von Migranten als Messermänner, Kopftuchmädchen oder Taugenichtse haben Lambrou aus der AfD treiben können – im Gegensatz zu früheren prominenten Mitstreitern wie Bernd Lucke, Frauke Petry oder zuletzt Jörg Meuthen.
„Ich verstehe jeden, der in Deutschland ein besseres Leben sucht“, sagt Lambrou, aber „Gemeinschaften funktionieren dann am besten, wenn sie homogen sind. Das meine ich nicht ethnisch, sondern kulturell. Ich möchte nicht mit jemandem streiten, der antisemitisch ist.“ Mit diesem rhetorisch moderaten Kurs hat Lambrou die hessische AfD als Mitvorsitzender bei der letzten Landtagswahl auf über achtzehn Prozent gehievt. Im Vergleich zu den ostdeutschen Fraktionen lächerlich, im alten Westdeutschland ein Rekord.
Bundesweit fungiert Lambrou als bürgerliches Feigenblatt. Wobei nicht ganz klar ist, ob er sich dessen erstens voll bewusst ist, ob er zweitens vielleicht tatsächlich bürgerlich ist oder ob er drittens wegen seiner tadellosen Umgangsformen nicht viel gefährlicher ist als all die Grobiane in den ostdeutschen Landesverbänden. Im Gegensatz zu ihnen hebt Lambrou nie die Stimme, nicht mal in Talkshows, in denen er Markus Lanz und die Eingeladenen gegen sich hat. Und während sich Eiferer wie Timo Chrupalla oder Alice Weidel in Diskussionsrunden gern als Opfer einer Cancel Culture inszenieren, erklärt Lambrou doch lieber ausführlich, warum die „unkontrollierte Masseneinwanderung“ in Deutschland zu massiven Problemen führt. Und dass jeder Zugewanderte, der die deutsche Sprache lernt und kein Problem mit Frauen und Juden hat, willkommen sei. Wobei Lambrou – und das kann eigentlich nur wissentlich geschehen – zweierlei ausblendet: dass es nämlich in der AfD etliche gibt, die Frauen aus dem Arbeitsleben verbannen wollen, an eine jüdische Weltverschwörung glauben und „Passbeschenkte“ mangels germanischer Ahnen zu Menschen zweiter Klasse degradieren.
Nie hebt er die Stimme, immer ist er moderat – aber ist der Politiker Lambrou deshalb womöglich noch gefährlicher als die Grobiane in den ostdeutschen Bundesländern?
Wenn man Robert Lambrou mit solchen aktenkundigen Äußerungen seiner Parteifreunde konfrontiert, wendet er die übliche AfD-Taktik an. Entweder wurden die Zitate von missgünstigen Medien aus dem Zusammenhang gerissen, später zurückgenommen (wie Alexander Gaulands Verharmlosung des Nationalsozialismus als „Vogelschiss“) – oder aber sie sind im rhetorischen Überschwang gefallen. „Gehen Sie bitte davon aus, dass wir alle ehrliche Sorgen um Deutschland haben“, sagt Lambrou. Und falls jemand aus seiner Partei besonders populistisch herumschwafelt, dann rufe er schon mal an und mahne zu mehr Trennschärfe. „Da merken Sie dann schnell, dass das alles nicht so gemeint ist.“

Lambrou ist ein Meister der Nebelkerzen, und mit dem Verein „Migrationshintergrund für Deutschland“ hat er ein mächtiges Instrument geschaffen. Das zeigte sich im vergangenen Jahr bei einer Verhandlung des Oberverwaltungsgerichts Münster, in der es darum ging, ob der Verfassungsschutz die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall führen darf. Als lebende Beweise, dass man keine völkische Agenda verfolge, schickte die Partei Robert Lambrou, die Schwarze Catherine Schmiedel und ein iranischstämmiges Vereinsmitglied in den Zeugenstand. Als „nicht mehr nachvollziehbare Verharmlosung“ bezeichnet einer der Anwälte des Verfassungsschutzes den denkwürdigen Auftritt des Trios.
Lambrou sieht es eher so, dass jede Klartext-Äußerung der AfD zum Skandal hochgejazzt wird. „Der Korridor des Sagbaren hat sich deutlich verengt.“ Was CDU-Politiker in den Neunzigerjahren noch problemlos sagen konnten, wäre jetzt ein Fall für den Staatsanwalt. Als jüngster Beweis für diese These gilt ihm und vielen AfDlern der im Mai publik gewordene Verfassungsschutzbericht. Der kommt zu dem Schluss, dass die Bundes-AfD eine gesichert rechtsextreme Partei ist.
In rechtspopulistischen Medien wie „Cicero“, „Nius“ oder „Tichys Einblicke“ wird der über tausend Seiten lange Bericht als Riesen-Hoax abgetan, und in der Tat finden sich Passagen darin, die dieses Urteil nahelegen. Eine betrifft Robert Lambrou. Der Verfassungsschutz zitiert einen Satz aus einer Rede von ihm. Dort heißt es, dass sich „Migranten in Deutschland integrieren, ja, assimilieren und keine Parallelgesellschaften aufbauen sollen“. Das Wort „assimilieren“ stelle einen „Anhaltspunkt für ein ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis dar“, so das Urteil des Verfassungsschutzes. Solche überspannten Einschätzungen machen es der AfD leicht, den Bericht in Gänze als Quatsch abzutun, obwohl sich darin auch jede Menge Zitate befinden, die direkt aus Hitlers „Mein Kampf“ stammen könnten. Selbst in der AfD sagen manche hinter vorgehaltener Hand, dass zwanzig Prozent des Berichts ein echtes Problem für die Partei seien – was ja immerhin 200 Seiten völkische Logorrhö wären.
Lambrou will gegen die „ehrabschneidende“ Erwähnung im Verfassungsschutzbericht vorgehen, seine migrantischen Parteikollegen weiß er dabei fest an seiner Seite. Orfeo Laudi und Zakia Rappenberg haben den Bericht zwar nur in Auszügen gelesen – wissen aber ebenfalls, dass er nur dazu dienen soll, die AfD schlechtzumachen.
Was bleibt also nach so einem Tag mit den nettesten Menschen in der AfD? Denn das sind sie ja, der Signore Laudi, der griechischstämmige Spitzenfunktionär Lambrou und die säkulare Muslimin Rappenberg.
Auch wenn es verlockend ist, mag man Migranten, die berechtigte Angst vor Rassismus haben, dann doch nicht empfehlen, sich in der AfD in Sicherheit zu bringen. Zu groß ist die Sorge um Orfeo Laudi, Catherine Schmiedel und Zakia Rappenberg, dass sie irgendwann böse erwachen werden. Wenn man sie nämlich nicht mehr braucht in der Partei und endlich die fremdenfeindliche Regierungssau rauslässt. Und Menschen so behandeln kann, wie es das große Vorbild Donald Trump in den USA vormacht: Terrorisierung von Andersdenkenden, Festnahmen auf der Straße und Deportationen ohne Rechtsgrundlage.
Aber was macht dann AfD-Urgestein Lambrou? Wird er seine Multikulti-Freunde vor dem Schmuddelmenschen Björn Höcke retten können, der ja zweifellos in der AfD den Ton vorgibt? Manchmal hört es sich fast an, als fürchte Lambrou selbst, dass seine Partei irgendwann wirklich das Sagen hat. „Ich bin nicht in der Politik, damit die AfD stark wird“, sagt er, für ihn gelte: „Erst das Land, dann die Partei, dann die Person.“ Vielleicht sollte er lieber sich selbst an erste Stelle setzen.
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