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N° 85, Kindheit

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Immer auf die Kleinen

Von Natascha Roshani & Oliver Gehrs; Foto von Sian Davey

Es ist schon zum Heulen. Wenn man den Alltag deutscher Kinder vor Augen hat, denkt man vor allem an Gängelei: Hausaufgaben, Lernen, Nachhilfeunterricht und obendrauf bei den privilegierten Mittelschichtskids noch ein Musikinstrument und ein Sportverein. In der Kindheit geht es viel ums Funktionieren und Anpassen – und wenig um Freiheit. Sinnlos Zeit verplempern? Auf Bäume klettern? Mit seinen Freunden und Freundinnen durch die Gegend stromern? Alles ziemlich lang her. Heute installieren Helikoptereltern Tracking-Apps auf den Handys ihres Nachwuchses.

Was Kinder dürfen und sollen, definieren Erwachsene, Kinder werden dazu nicht befragt. Auch die Politik interessiert nicht wirk-lich, wie es ihnen geht; ihre Zukunftsängste werden auf jeden Fall nicht ernst genommen. Lieber kümmert man sich um die Millionen wählender Rentner. 

Kein Wunder, dass Kinder diesem überalterten und ignoranten Umfeld die digitale Welt vorziehen. Schon die Zehn- bis Zwölfjährigen verbringen fast zwei Stunden am Tag auf Instagram, TikTok & Co. (später mit sechzehn bis achtzehn sind sie vier Stunden auf Social-Media-Diensten). Das Smartphone bestimmt Kindheit und Jugend: 92 Prozent zwischen sechs und achtzehn Jahren haben eins.

Die Folgen dieser digitalen Kindheit zeigen sich zurzeit besonders deutlich. Ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen leidet an psychischen Problemen. Die Ursachen dafür liegen unter anderem in der sozialen Vereinzelung, einem immer geringeren körperlichen Erleben, dem steigenden Konkurrenzdruck, einem Mangel an Schlaf und Bewegung. In Australien ist gerade ein Gesetz verabschiedet worden, das Kindern unter sechzehn Jahren den Zugang zu Social Media verunmöglichen soll. Gelingt das den Konzernen nicht, können sie zu zweistelligen Millionenstrafen verdonnert werden. 

Wahrscheinlich kann das Missverhältnis zwischen den Generationen nur durch ein permanentes Aushandeln und Miteinander-reden verändert werden – über die Zukunft auf dieser Erde, über gesellschaftliche Teilhabe. Ein Wahlrecht ab der Geburt klingt für viele erst mal nach einer Schnapsidee, wenn man sich aber vor Augen hält, wie viele alte Menschen mit Demenz oder anderen kognitiven Einschränkungen ganz selbstverständlich wählen dürfen, klingt es schon zwingender. Denn mal ehrlich: So viel, wie die sogenannten Erwachsenen versaubeuteln, sollte man den Laden doch lieber den Kindern überlassen.

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