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N° 84, Nerven

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Ein rasend gutes Geschäft

In der Provinz bei Freiburg baut ein Familienunternehmen seit über hundert Jahren Achterbahnen für die ganze Welt. Besuch bei denen, die aus unseren Nerven das Geld rauskitzeln wollen

Von Christian Litz; Fotos von Lena Giovanazzi

Der Mann sitzt, ständig in Bewegung, in seinem kleinen Büro auf einem Drehstuhl, dessen Federn bei jeder Bewegung um Hilfe quietschen. Das Rollo am Fenster ist unten, eine Leuchte an. Film-noir-Atmosphäre. Auf dem Bildschirm des Mannes tut sich was. Rot und gelb sind die meisten Linien, die er mit Maus und Tastatur zeichnet.

Das Regal an der Wand quillt über von 3-D-Brillen und Helmen mit Sichtfenstern. Der Mann ist Ingenieur, heißt hier: Head of Layout Development and Simulation. Er arbeitet bei Mack Rides, einem Achterbahnbauer in der deutschen Provinz, und seine Aufgabe ist die „Bahngenerierung“. Bedeutet: Er entwirft neue Achterbahnen, überlegt, was es so noch nicht gibt und die Menschen auf der ständigen Suche nach dem Adrenalinkick abholen könnte. Gordt, heute 41, hat 2008 bei Mack Rides angefangen, inzwischen leitet er ein sechsköpfiges Team, das nichts anderes macht, als Achterbahnen und andere Entertainment-Anlagen zu erfinden. 

Wie entsteht so was? Wer hat die Idee? Wie wird sie umgesetzt? Genau die Fragen hat sich Dennis Gordt gestellt, damals während seines Studiums in Mannheim. Als Maschinenbauer habe man ja viele Möglichkeiten, viele aber auch etwas langweilig. „Amusement war ein kleiner Hoffnungsschimmer.“ Es hat geklappt: Heute sind Rollercoaster seine Welt. „Wenn man einmal in der Branche ist, bleibt man.“

Dennis Gordt wird also der Mann sein, der uns zeigt, wie so eine Jahrmarktsattraktion aus dem Nichts entsteht, am Reißbrett, am Bildschirm, im Kopf. Während er seine Arbeit beschreibt – und wie alle kreativen Prozesse ist das nicht so schnell zu erklären –, gibt er viel über die Branche preis.

Zuerst Mack Rides. Die Firma sitzt in Waldkirch bei Freiburg, in einem grünen Tal mit Burgruine am Hang, Weinbergen, Obstbäumen entlang dem Fluss Elz. Mack Rides hat riesengroße Hallen im Industriegebiet. Deren metallene Schiebetore sind gerade alle offen, denn es ist schwül und heiß im Breisgau. Drinnen wird Metall verarbeitet von Schweißern, Fräsern, von Robotern und Spezialmaschinen. Es riecht nach Maschinenbau, es herrscht, trotz einiger Farbtupfer, Schwarz-Weiß-Atmosphäre. Überall liegen Metallteile, beschichtet, unbeschichtet, matt, glänzend, fertig verarbeitet, noch nicht im Endzustand. Viele Rohre, viele, viele Teile. Eine Achterbahn bestehe aus mehreren Millionen einzelner Stücke, sagt Gordt. Die meisten werden hergestellt mit Maschinen, die sich Mack Rides selber baut, weil sie nun mal arg speziell sind.

Mack Rides hat noch ein zweites Werk, in Herbolzheim, nicht weit entfernt. Dort baut die Firma die Achterbahn-Fahrzeuge zusammen, die in Waldkirch entworfen werden. Der Platz hier, und der ist riesig, hat nicht mehr ausgereicht. Achterbahn-Bauen braucht Fläche.

1921 schuf man „die wilde Maus“, der Kirmesklassiker von Mack, so etwas wie der VW Käfer unter den Fahrgeschäften

Hinter der größten Halle in Waldkirch steht ein großes Wasserbecken. Denn: Computer können rechnen und rechnen, vieles simulieren. Aber wenn so ein „Rockin’ Boat“ aufs Wasser trifft, dann passiert etwas, das kann der Computer nicht vorausberechnen. Der Scooter-Aufprall im Wasser muss mit Prototypen getestet werden. Vor zehn Jahren hatte Mack Rides mit dem „Twist & Splash“, einer Bahn, die auch ins Wasser rast und wieder raus, eine Eingebung und dann einen Prototyp, „für den es keinen Auftrag gab, aber es war nun mal ’ne coole Idee“, so Gordt. Die Splashs haben sich gut verkauft und verkaufen sich noch immer gut. 

Die allererste Fahrt macht immer der Firmenpatriarch: Teststrecke hinter der Fabrik

Das Unternehmen gehört der Familie Mack. Schon 1780 hatte ein Vorfahr begonnen, Karren aus Holz herzustellen. Vor mehr als hundert Jahren baute die Firma ihre erste Achterbahn, das Hauptgeschäft aber waren Wohnwagen für die Schausteller auf den Jahrmärkten. „Bis vor dreißig Jahren war ein Mack-Wohnwagen für Schausteller das Prestigeding schlechthin. Wem es gut ging und wer das zeigen wollte, hatte einen Mack“, sagt Gordt. Dazu kam 1921 „die wilde Maus“, der Kirmesklassiker von Mack, so etwas wie der VW Käfer unter den Fahrgeschäften. Die wilde Maus war überall, wo Jahrmarkt war – und ist es heute immer noch. Und damals wie heute gilt: Die erste Fahrt jeder Mack-Anlage macht der Firmenpatriarch. Nur ein Sitz wird montiert, dann rast Roland Mack durch Kurven, über steile Abfahrten, hinein in Loopings.

Der Familie Mack gehört praktischerweise auch der Europa-Park Rust, ein riesiger Freizeitpark mit vielen extravaganten Anlagen und mehreren Millionen Besuchern pro Jahr, ein Leuchtturm der Adrenalin-Branche. Die Kombination aus eigenem Entertainment- Betrieb und Fahrgeschäft-Export in die ganze Welt, zum Beispiel für Disney oder Universal, hat sich bewährt. In der Branche gilt „Made in Germany“ noch sehr viel. Es gibt einige Konkurrenten in Deutschland, welche in der Schweiz, ein paar in den USA und neue in China. „Ja, die Chinesen machen jetzt auch mit und können es mittlerweile ganz gut“, sagt Gordt.

„Life is a rollercoaster – you just have to ride it.“

Früher hat Mack Rides vor allem Anlagen für Schausteller auf der Kirmes hergestellt. Aber die bestellen inzwischen kaum noch, die Investments sind für die reisende Branche zu hoch. Eine Achterbahn kann bis zu 100 Millionen Euro kosten. „Life is a rollercoaster – you just have to ride it.“ Mit diesem Motto entkam das Familienunternehmen dem Sog des schrumpfenden Rummelgeschäfts, weil es rechtzeitig auf die großen Freizeitparks dieser Welt setzte. Die von Dennis Gordt gelayoutete „Helix“ im Liseberg-Park in Göteborg – eine 1,3 Kilometer lange sogenannte Inversionsbahn, bei der sich die Fahrenden überschlagen – war vor fünfzehn Jahren so was wie der Start ins große Freizeitparkgeschäft. „Wir haben gezeigt, dass wir auch Teenage-Thrill-Achterbahnen können.“ 

Verkauft werden Rollercoaster auf Messen, das heißt: Entwürfe davon. Es gibt jedes Jahr zwei – eine in den USA, meist in Orlando, Florida, in der Nachbarschaft der Disney-, der Universal- und der SeaWorld-Parks. Die andere, in Europa, wandert jährlich. Die Messen sind das alles Entscheidende: Jeder kennt jeden, alle reden miteinander, alle kopieren sich, und alle sind Konkurrenten. „Da hat jeder seinen ‚Wir sind die Besten‘-, ‚Wir sind die Coolsten‘- Auftritt. Und jeder schreit: ‚Kauft bei uns‘“, so Gordt.

Das bedeutet für Mack: „Wir entwickeln Ideen und Konzepte für die Messen. Wir bauen Modelle, machen Renderings, Animationen, Simulationen und suchen damit Kunden. Erst wenn der Kunde bestellt, wird der Prototyp gebaut.“ Der Entwurf wird also auf eigenes Risiko erstellt. Das Controlling rechnet es dann durch, nennt den Preis, und damit geht es auf die Messen. Der jährliche Takt sei sehr kurz. „Man versucht jedes Jahr was Neues“, Gordt macht eine Spannungspause, hängt ein „eigentlich“ dran.

Achterbahnen wie Gordt sie schuf: der Entwicklungsingenieur will nie wieder einen anderen Job

Mit einem Auftraggeber wird der Entwurf zum Projekt. Die Auftraggeber nennen die Rahmenbedingungen des Areals, sagen, „wie hoch, welche Sichtachsen“ und, klar, das Budget. Mit den Rahmenbedingungen müssen „wir dann arbeiten“, sagt Gordt. Es gebe viele Grenzwerte, je nach Land, in das die Anlage gehen soll. Rahmenbedingungen zählt Gordt in der Folge viele auf, und es scheint, dass er das ohne Ende machen könnte. Jede Achterbahn ist ein Unikat, ein Prototyp, den es so nicht noch einmal gibt. Die Statik wird von externen Büros gemacht, die Daten für die Produktion unten in den Hallen werden vorab in der Entwicklung generiert. Die PTU, die Prüfung der technischen Unterlagen, macht der TÜV, in den USA ein freiberuflicher Technical Director, in China ein Gutachter.

Vor und während der Produktion gilt das Vieraugenprinzip. Und es gibt noch ein Prinzip: „In der Verkaufsphase geht es da-rum, dass alles toll und spektakulär aussieht, in der Detaillierungsphase geht es viel genauer zu, es wird mehr kontrolliert.“ Jeder Ingenieur ist für seine Bahn zuständig. „Derjenige, der das Layout gemacht hat, dessen Anlage ist das dann. Er hat viel reingesteckt.“ Die anderen arbeiten zu.

Der Markt wächst noch heute – und er verändert sich: Vor zehn Jahren gab es die große Dubai-Blase. Dort entstanden viele neue Bahnen, und jede musste schneller, größer, wilder sein. Zurzeit werden in Saudi-Arabien mehrere neue Entertainment-Parks in die Wüste gestellt. Dagegen werden in Europa seit Jahren keine mehr eröffnet. In den USA auch nicht. „Die Kosten sind gigantisch hoch, das sind Milliardeninvestments.“

Aber auch ohne Neueröffnungen gibt es Aufträge, denn jeder Themenpark braucht Neuheiten, ständig soll eine neue Sensation daherkommen. „Diese Anlage geht in die USA zu Universal“, sagt Gordt und zeigt auf gestapelte Schienen in einer der Hallen. Sechs bis acht große Achterbahnen baue man pro Jahr und fünf bis sechs kleinere. Einige mit Disney und Universal zusammen. Die großen amerikanischen Player hätten „Superprofis“ mit viel Berufserfahrung, von denen man sich noch was abschauen könne. Bei gemeinsamen Projekten gibt es mehrmals die Woche Meetings am Schirm. Die Projektzeiten seien sehr kurz, zwei bis drei Jahre, „was es herausfordernd macht“. 

In der nächsten Halle liegt und steht viel Metall, viel Kunststoff, sind wenige Menschen. Die zwei Schweißer, die gerade Stahlrohre auf Arbeitsbühnen heben, kommen aus Vietnam. Es herrscht Fackräftemangel in der Branche. In der Entwick-lungsabteilung dagegen gibt es keinerlei Nachwuchsmangel. Sechs Ingenieure, die alle Bahnen entwerfen. Alle Stellen besetzt.

Der Kreative, das sei in dem Fall der Ingenieur. „Für einen bestimmten Typus Ingenieur ist diese Branche sehr interessant.“ Es bedürfe nur des Fingerspitzengefühls, die Leute zu finden, die nicht nur Ingenieure sind, „Leute, die auch noch die richtige Kreativität mitbringen“. Sind die mal da, gehen sie nicht mehr. Höchstens zur Konkurrenz. Die Entertainment-Branche verlasse keiner.

Ach ja, gefährlich seien Achterbahnen wirklich nicht, schon ganz lange nicht mehr. Wieder seine Pause. „Waren sie wahrscheinlich nie wirklich.“ 

Wie also wird eine Achterbahn oder ein Splash kreiert? Oh, jetzt wird es ganz, mhhhh … langweilig: Dennis Gordt führt am Rechner in seinem dunklen Büro das Tool vor. Klar, das Tool ist patentiert, nur in der Achterbahn-Entwicklungsabteilung von Mack Rides darf es benutzt werden. Stephan Alt hat es entwickelt, einer der Mack-Ingenieure.

Als der noch Student war, hat er in einem Internetforum für Achterbahn-Enthusiasten Softwaremodule gepostet. Ganz normal, open source, Zugriff für alle. Dennis Gordt hat die gesehen und, Gedankenblitz, erkannt: „Wow, das ist ein Künstler.“ Sofort hat er den Programmierer headhunten lassen und verpflichtet. Seit 2015 hat Mack das fertige Tool exklusiv. Aber: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass alle Konkurrenten diese Add-ons nutzen.“ Stephan Alt war ja bekannt in der Community und seine Softwareerweiterungen öffentlich zugänglich. 

Alle mal festhalten: Die Voltron ist Mack Rides Flaggschiff

Die Software erschafft also Achterbahnen, sorgt für harmonische Kurven, Kicks und Thrills. Gordt erklärt: „Die Elemente werden eher wilder, aber nicht so hoch belastend für den Körper.“ Vor allem die Nackenmuskulatur würde heute weniger strapaziert. Ach ja, gefährlich seien Achterbahnen wirklich nicht, schon ganz lange nicht mehr. Wieder seine Pause. „Waren sie wahrscheinlich nie wirklich.“ 

Vor zwei Jahren geriet die Branche kurz und heftig in die Medien, als erst eine 57 Jahre alte Frau aus einer Achterbahn in einem Freizeitpark in Klotten an der Mosel stürzte und starb. Fünf Tage später wurden im Legoland 31 Menschen verletzt, als ein Wagen der Achterbahn „Feuerdrache“ auf einen vorausfahrenden Zug auffuhr. Eine Sprecherin des internationalen Freizeitpark-Dachverbands IAAPA beruhigte damals mit der Info, dass es im Jahr 2020 im Schnitt 4,4 Verletzungen in Fahrgeschäften pro einer Million Besucher gegeben habe. Was, so Gordt, Achterbahnfahren zur sichersten Art der Fortbewegung überhaupt mache.

Zurück zum Entwurf: Das Tool sagt dann, was geht und was nicht geht, und die Ingenieure können mit der Maus Schienen verlegen, Kurven gestalten, Steigungen und Gefälle erschaffen. Alles mit ein paar Klicks, so einfach ist das. Aber was ist, wenn die Menschen irgendwann keine Lust mehr haben, für einen Adrenalinkick in eine Achterbahn zu steigen, weil es ihnen zu aufwendig und teuer ist?

Schon vor Jahren hat Mack Rides eine Tochterfirma gegründet, die Welten für 3-D-Brillen erschafft, mit denen man den Kick „Achterbahnfahren“ erweitern kann. „Als Ergänzung“, sagt der Ingenieur. Da stellt sich doch die Frage, die Dennis Gordt gleich verneinen wird, von selbst: Werden in Zukunft die Achterbahnfahrten des Lebens nur noch zu Hause auf der Couch mit dicker Brille stattfinden? „Nein, nein, auf keinen Fall“, sagt Nervenkitzelspezialist Gordt, „das wär doch ’ne traurige Zukunft.“ Und ergänzt nach einer seiner typischen Spannungspausen: „Es geht doch um echtes Adrenalin.“

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