„Das wäre ein Riesenscoop“
Madonna träumt davon, das Weiße Haus in die Luft zu sprengen, aber wie wahrscheinlich ist ein Attentat auf Trump wirklich? Ein Gespräch mit dem Terrorismusexperten Peter Neumann*
Interview: Oliver Gehrs
DUMMY: Herr Neumann, täuscht der Eindruck, oder hat sich der islamistische Terror von den USA nach Europa verlagert?
Peter Neumann: Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen in den vergangenen Jahren aus Europa nach Syrien zum IS gegangen sind, muss man das bejahen. Allein aus Westeuropa waren es 5.000, aus den USA vielleicht 100. Die derzeit stattfindende Radikalisierung betrifft Europa viel mehr als Amerika. Die amerikanischen Muslime sind im Großen und Ganzen weniger wütend und viel besser integriert als europäische.
DUMMY: Ist es dann nicht umso fahrlässiger von Donald Trump, die Muslime – etwa mit einem Einreisestopp für bestimmte muslimische Länder – gegen sich aufzubringen?
Neumann: Das ist ein ganz großer Fehler. Trump trägt damit zu einer Radikalisierung sowohl im Inneren als auch im Äußeren bei. Dadurch wird es für den IS einfacher, in den USA, aber auch weltweit Kämpfer zu rekrutieren. Trump steht für eine Art Karikatur von Amerika, die der IS als Feindbild seit Jahren aufgebaut hat. Amerika führt Krieg gegen dich, also musst du gegen den Westen kämpfen – das ist das gängige Narrativ.
DUMMY: Mehr als 15 Jahre nach dem 11. September könnte der Terror also in die USA zurückkehren?
Neumann: Man muss nun abwarten, was Trumps Pläne für die eigene muslimische Bevölkerung sind, aber die Zeichen stehen nicht positiv. Seine Berater sprechen ja sogar von Internierungscamps. Da graut es einem wirklich.
DUMMY: Besorgt Trump also das Geschäft des IS, indem er nicht nur die Radikalisierung vorantreibt, sondern auch die Demokratie als solche destabilisiert, dadurch, dass er ihre Institutionen in Frage stellt?
Neumann: Das sieht man auch anhand der Kommunikation des IS seit seinem Amtsantritt. Trump wird in den sozialen Medien vom IS als gesegneter Präsident bezeichnet. Man ist sehr dankbar, dass man jemanden hat, der genau die Vorurteile bedient, die man seit Jahren propagiert.
DUMMY: Ist also ein IS-Anschlag auf Trump eher unwahrscheinlich?
Neumann: Die würden so etwas wahrscheinlich schon gern machen. Es wäre ja ein Riesenscoop, den man ganz gut gebrauchen könnte, um von einer negativen Entwicklung abzulenken. Entgegen seinem Motto „Remaining and expanding“ expandiert der IS ja seit anderthalb Jahren nicht mehr im Nahen Osten. Ganz im Gegenteil: Er weicht zurück. Und das muss man mit anderen Aktionen überkompensieren. Wenn man also einen Anschlag wie den am 11. September 2001 durchführen oder gar den amerikanischen Präsidenten ermorden würde, könnte man zeigen: Wir sind nach wie vor die Größten. Ich glaube aber nicht, dass der IS dazu die Mittel hat, weil in den USA keine entsprechenden Strukturen existieren.
DUMMY: Zuweilen hat es ja schon etwas Verzweifeltes, wie der IS jede Aktion eines durchgeknallten Einzeltäters für sich reklamiert.
Neumann: In den USA ist der IS auf sogenannte einsame Wölfe wie den Attentäter von Orlando angewiesen, der im vergangenen Jahr in einem Schwulenclub ein Massaker anrichtete. Wenn man aber den Präsidenten der USA umbringen will, braucht man eine Struktur und nicht nur irgendeinen Idioten, der sich eine Waffe schnappt. Auf solche sind die Amis ganz gut vorbereitet.
DUMMY: Dass eine Drohne in den Trump-Tower fliegt, ist also eher unwahrscheinlich?
Neumann: Wenn ich jetzt sage, so etwas kann nicht passieren, und es passiert doch, stehe ich doof da. Es ist aber so, dass es im Umfeld sensibler Gebäude wie dem Trump-Tower Systeme gibt, die den Funkkontakt unterbrechen. Eine Drohne wird es deshalb schwer haben, sich zu nähern.
DUMMY: Ein Gebäude wie der Trump-Tower entspricht aber sonst nicht gerade den heutigen Sicherheitsstandards. Als Schutz vor Autobomben parken zurzeit mit Sand beladene Müllfahrzeuge davor. Klingt recht dilettantisch.
Neumann: Das ist wahrscheinlich nur ein Provisorium, aber selbst das ist besser als die Maßnahmen auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Diese Gebäude müssen erst einmal umgerüstet werden. Langfristig sind die Häuser, in denen sich Präsidenten aufhalten, immer recht gut geschützt. Die bessere Möglichkeit, einen Präsidenten anzugreifen, existiert bei öffentlichen Veranstaltungen. Das sind immer die heikelsten Momente für alle, die für dessen Schutz zuständig sind.
DUMMY: Das gilt dann wohl auch für das Ausland. Muss Trump nicht angesichts des Hasses, den er weltweit sät, mit Attentaten bei Staatsbesuchen rechnen?
Neumann: Dass ein Staatsoberhaupt nur sehr begrenzte Auftrittsmöglichkeiten bekommt, ist ja nichts Neues. Nach dem Irakkrieg 2004 und 2005 war George Bush in einer ähnlichen Situation. Als er Deutschland besuchte, hat er irgendwo im Wahlkreis von Frau Merkel zusammen mit 20 ausgesuchten Leuten gegrillt. Das war eine recht überschaubare Situation. Die Idee, dass Trump in einer offenen Kutsche durch London fährt und vor Millionen Menschen ein potenzielles Anschlagsziel darstellt, ist abwegig. Das wird so nicht stattfinden.
DUMMY: Wie das beim Anschlag auf John F. Kennedy der Fall war …
Neumann: Theresa May hat Trump ja unvorsichtigerweise zu einem Staatsbesuch eingeladen, und jetzt überlegt man, wie dieser Besuch quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Bühne gehen kann und Trump gleichzeitig das Gefühl gegeben wird, dass er mit dem Land in Kontakt kommt. Das ist eine große Herausforderung.
DUMMY: Muss der US-Präsident Angst vor Geheimdienstoperationen des Irans oder vor Nordkorea haben?
Neumann: Es ist schwer einzuschätzen, was Nordkorea plant. Der Iran wiederum ist nicht so dumm, so etwas zu tun. Wenn man einen Anschlag auf Präsident Trump durchführen oder auch nur planen würde, wäre das letztlich eine Kriegserklärung. Das würde den Amis erlauben, zu machen, was sie wollen. Es würde den Iran auch viele Sympathien in Europa kosten, das sich dann mit den USA solidarisieren müsste. Man kann nicht einfach Staatsoberhäupter umbringen, jedenfalls nicht mehr heutzutage.
DUMMY: Aber die Amerikaner haben es doch früher in Südamerika oder Afrika auch getan.
Neumann: Der Iran hat keine Geschichte der Ermordung von Staatsoberhäuptern anderer Länder, wie sie die USA haben. Die Anschläge richteten sich stattdessen immer gegen eigene Landsleute, zum Beispiel gegen Oppositionelle. So ist es auch bei den Russen: Wenn, wie im Fall des Kremlkritikers Alexander Litwinenko, jemand umgebracht wird, sind das Abrechnungen mit Abtrünnigen, mit Verrätern. So etwas machen auch Länder wie der Iran oder Nordkorea. Ausländische Staatsoberhäupter umzubringen ist aber noch mal ein ganz großer Schritt. Das ist de facto eine Kriegserklärung, die ich für fast ausgeschlossen halte.
DUMMY: Trägt Trump auch dazu bei, dass sich Islamhasser zu Aktionen gegen Menschen hinreißen lassen?
Neumann: Trump ist sowohl Ursache als auch Konsequenz der tiefen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, in der viele Menschen nichts mehr miteinander zu tun haben. Sie sind in allen Fragen – ob es nun wirtschaftliche, kulturelle oder soziale sind – diametraler Ansicht. Diese Situation wird in den nächsten vier Jahren in den USA zu Gewaltakten führen, Gewalt gegen Andersdenkende und Gewalt gegen den Staat.
DUMMY: Glauben Sie, dass es bereits Anschläge auf Trump gegeben hat?
Neumann: Es gab während des Wahlkampfs einen Zwischenfall in Las Vegas. Da tauchte ein in England geborener Mann mit einer Pistole in einer Trump-Veranstaltung auf, wohl mit der Absicht, ihn zu erschießen. Von Anschlägen auf den Präsidenten erfährt man aber nicht zwangsläufig. Es liegt nicht im Interesse des Secret Service, darüber zu informieren, weil man womöglich Nachahmer ermutigt. Aber ich denke schon, dass es Attentatsversuche geben wird, sowohl von politischen Gegnern als auch von Geisteskranken.
DUMMY: Was ist mit Menschenrechtsaktivisten, die sich moralisch verpflichtet fühlen?
Neumann: Im Fall des dschihadistischen Terrorismus sieht man, dass es eine große Zahl einsamer Wölfe gibt mit einer Mischung aus politischen Wahnvorstellungen und mentalen Problemen. Das Positive ist, dass diese Leute meist nicht diejenigen sind, die sich ganz professionell vorbereiten. Häufig können ihre Aktionen gestoppt werden.
DUMMY: Die nordirische Terrorgruppe IRA hat nach einem fehlgeschlagenen Anschlag auf Margaret Thatcher 1984 ein Statement abgegeben, in dem es hieß: „Ihr müsst jeden Tag Glück haben, wir nur ein einziges Mal.“
Neumann: So ist es auch hier. Es wird wahrscheinlich verschiedenste Anschläge auf Trump geben, und viele davon werden verhindert werden. Aber ein einziger, der nicht verhindert wird, reicht ja.
*Der promovierte Politologe Peter Neumann ist seit 2008 Direktor des International Centre for the Study of Radicalisation am renommierten Londoner King’s College. Er gilt als Experte für islamistischen Terror und wertete für seine Forschung unter anderem die Facebook-, Twitter- und Instagram-Profile von Briten aus, die als Dschihadisten in Syrien und dem Irak kämpfen. So sammelte er einen Datensatz mit 700 europäischen Dschihadisten, von denen 85 Prozent für den „Islamischen Staat“ kämpfen.
Kasten dazu:
Vier US-Präsidenten wurden bislang umgebracht: Abraham Lincoln besuchte am Karfreitag 1865 ein Theater in Washington, als ihn der Südstaatler John Wilkes Booth erschoss. James A. Garfield wurde an der Pennsylvania Station in Washington am 2. Juli 1881 von Charles J. Guiteau angeschossen, der sich als Konsul in Paris beworben hatte, jedoch wegen psychischer Störungen abgelehnt worden war. Er erlag später einer Infektion. William McKinley wurde am 5. September 1901 von dem Anarchisten Leon Czolgosz beim Besuch der Pan-America Exposition in Buffalo angeschossen. Seine Leibwachen sahen das Attentat nicht kommen, weil Czolgosz die Waffe mit einem weißen Taschentuch bedeckt gehalten hatte. McKinley starb am 14. September 1901 an den Folgen seiner Verwundung. John F. Kennedy wurde am 22. November 1963 auf einer Wahlkampfreise an der Dealey Plaza in Dallas, Texas, mit mehreren Gewehrschüssen während einer Fahrt im offenen Wagen durch die Innenstadt ermordet.
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