Bis zur letzten Akte

Ein Windrad aufstellen? Das hielt Ulrich Biermann für eine gute Idee. Dann begann der Kampf gegen die Windmühlen der Bürokratie

Von Oliver Gehrs

Dass etwas nicht stimmte, hatte Ulrich Biermann gleich bei seiner Ankunft im Amtsgericht Potsdam gemerkt. Denn vor den Richtern saß ein ziemlich beleibter Mann, den Biermann bis heute „den Dicken“ nennt – wobei da ein gerüttelt Maß Anerkennung mitschwingt. Denn – man muss es so sagen – „der Dicke“ hat Biermann damals das Geschäft versaut.

Eigentlich war Biermann, 58, Typ ewiger BWL-Student in heller Jeans und Daunenjacke, im März 2014 aus dem fernen Paderborn angereist, um hier in aller Stille ein Stückchen Brandenburger Wald zu ­ersteigern. Genauer gesagt: neun Hektar mit dünnen Kiefern, westlich der Spargelstadt Beelitz, eingezwängt zwischen Autobahn und Eisenbahntrasse. Für den Laien eine ­Allerweltsparzelle in der Sandbüchse Brandenburg, für Biermann damals Teil der wirtschaftlichen Zukunft; ­seiner und der des Landes. 

Vielleicht kann man sich kaum noch erinnern, aber vor zehn Jahren gab’s einen riesigen Hype. Damals galt die Windkraft als das Mittel im Kampf für gutes Klima und Treiber eines neuen Beschäftigungswunders. Allen, die in Windkraft investierten, winkte zudem die ­garantierte Abnahme des Stroms zu subventionierten Preisen. Die Zeichen standen gleichsam auf Wind-Wind und ­Win-win.

Da wollte auch Biermann nicht abseitsstehen. Seit Jahren pflegt er ein recht diverses Immobilien­portfolio: hier eine Ladenzeile in Lippstadt, da ein ­ehemaliges Militärgelände in Thüringen, das sich für Fotovoltaik eignete. Und schon kurz nach der Wende war er als Makler nach Dresden gezogen, als den meisten noch die Fantasie fehlte, was aus den grauen Städten der DDR mal werden könnte.

Nur bei der Windkraft hatte Biermann zunächst den Zug verpasst, obwohl sich rund um seine Heimatstadt Paderborn mit jedem Jahr mehr Windräder zu drehen schienen und in seinem Bekanntenkreis Geschichten von irren Verdienstmöglichkeiten auf dem Strommarkt die Runde machten. Allerdings auch schaurige Schnurren über die gnadenlos rückständige deutsche Bürokratie. Einer von Biermanns Kumpels hatte extra eine Sackkarre angeschafft, um die Aktenordner mit den Genehmigungs­unterlagen ins Rathaus zu schaffen. Egal, Biermann ­entschied, sein Ein-Mann-Investmentunternehmen um die Sparte Wind zu erweitern. Monatelang saß er nun vor Landkarten, auf denen kleine Flecken als mögliche Standorte für Windräder ­ausgewiesen waren, und landete schließlich einen Treffer: jenes Waldstück bei Beelitz, das zwangsversteigert werden sollte. 89.000 Quadratmeter für knapp 90.000 Euro, ­rechnete Biermann, ein absolut üblicher Preis. 

Doch dann war da am Tag der Entscheidung der ­beleibte Mitbewerber im Gerichtssaal – wohl mit einem ganz ähnlichen Plan – und zockte ordentlich mit. Am Ende der Auktion ging das Waldstück schließlich für satte 315.000 Euro an Biermann. „Damals hatte ich anscheinend genug Geld“, wundert er sich noch heute über den Deal. Aber trotz des hohen Preises schien es ihm ein gutes Geschäft zu sein. Zwar kann so ein Windrad mit Errichtung, Genehmigung und Anschluss bis zu zehn Millionen Euro kosten, setzt dann aber pro Jahr bis zu einer Million um – und das zwanzig Jahre lang. Da ­machen 315.000 Euro den Braten nicht wirklich fett. ­Vorausgesetzt, es gibt irgendwann mal ein Windrad. Was bei Biermann bis heute nicht der Fall ist.

In Biermanns Heimat Paderborn werden fleißig Windräder gebaut

„In Deutschland kann man leichter eine Munitionsfabrik errichten als eine Windkraftanlage“, sagte der Energieexperte Volker Quaschning, Professor an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, im Mai vergangenen Jahres und brachte damit die Überregulierung auf den Punkt, mit der die Große Koalition die Windkraft ausgebremst hat. Lieber setzte die damalige Regierung auf billige fossile Energie, Gas aus Russland oder ­sogar neue Kohlemeiler. Und sie sorgte auch dafür, dass Windkraftgegner wie Bayerns Ministerpräsident Söder oder sein sächsischer Amtskollege bis heute auf allen politischen Ebenen genügend Wege finden, das Aufstellen von Windrädern hinauszuzögern.

Da sind zunächst mal die Regionalpläne, die jedes Bundesland vorlegen muss, um taugliche Gebiete auszuweisen. Das kann natürlich dauern, und wenn die Karten irgendwann im Rathaus ausliegen, kann jeder Mensch dagegen klagen. Da geht es um die Verschandelung der Landschaft, um Artenschutz und Abstandsregeln, oft aber auch um pure Ideologie.

Gibt es endlich eine taugliche Regionalkarte, geht es um die Genehmigung – für die etliche Gutachten vorgelegt werden müssen. Wobei viele der staatlichen Vorgaben durchaus Sinn machen, wie zum Beispiel ein Gutachten zum Eiswurf im Winter. Wer will schon beim Spaziergang von einer 200 Stundenkilometer schnellen Eisscholle erschlagen werden? Oder die Gutachten zur Lärmbelästigung. Es gibt Menschen, denen das ständige Sirren in der Luft den Verstand raubt. Oder die Schutzmaßnahmen für Zugvögel. Doch gerade beim Artenschutz kann man auch sehen, wie eine gut gemeinte Sache völlig aus dem Ruder läuft. Für ein Vogelschutz-Gutachten etwa läuft ein Ornithologe bis zu drei Jahre durch den Wald. Dabei geht es um das Wohlergehen jedes einzelnen Tiers, selbst wenn es genug von der Art gibt. Aber auch wenn der Vogelkundler letztlich Entwarnung gibt, könnte schon am nächsten Tag ein Spaziergänger beim Naturschutzamt die Sichtung eines seltenen Käuzchens melden, und sofort würden weitere Nachuntersuchungen gestartet.

Das ornithologische Gutachten für den Wald, in den ­Ulrich Biermann investierte, kostete über 100.000 Euro, seine Erstellung dauerte drei Jahre. Immerhin konnte sich Biermann die Rechnung mit einigen Unternehmern teilen, die in anderen Bereichen des Waldes bis zu zwölf Windräder errichten wollen. 

Mittlerweile hatte der ­bodenständige Ostwestfale alles für die Genehmigung zusammen. Man kann es so ­sagen: Wäre Biermanns Kampf für das Windrad ein ­Computerspiel, dann hätte er im Jahr 2016 ungefähr vier von fünf Leveln geschafft. Er hätte nicht nur „den ­Dicken“ ausgestochen, er hätte auch das Infraschall­gespenst vertrieben, den Schwarzstorch gerettet, das ­Turbulenzenproblem gelöst und den bösen Schattenwurf besiegt. Er wäre kurz vor dem Ziel gewesen, wenn nicht plötzlich eine ganz neue Superkraft aufgetaucht wäre: der Bürgermeister von Beelitz.

Bernhard Knuth ist parteilos und seit 2018 im Amt. Seitdem liegt ihm sehr an der Verschönerung der Stadt. Im Jahr 2022 fand in Beelitz die Landesgartenschau statt, für die mehrere Hundert Bäume gesetzt wurden, dazu schöne Staudenbeete mit vielen Blumen. „Hier wachsen verschiedenste Pflanzen und bieten Lebensraum für Insekten, Amphibien oder Wasservögel“, schwärmte Knuth damals. Den Lebensraum für Tiere, Insekten und Vögel möchte Knuth auch weitab der Stadt schützen, beispielsweise in dem Wald, in dem Biermanns Windrad stehen soll. Da passt es gut, dass das zuständige Forstamt einen Teil des kargen Waldes kurzerhand zum Erholungsgebiet erklärte. Damit war für den Großteil der bereits genehmigten Windanlagen quasi über Nacht Schluss. Biermann selbst hatte noch mal Glück, sein Waldstück entging ganz knapp der Umwidmung. Um im Bild zu bleiben: Er war nun von Level 4 auf ­Level 5 geklettert. Doch dann zog der Bürgermeister seinen letzten Trumpf: Er sperrte einfach alle Zufahrtswege in den Wald, sodass Lkw und Baumaschinen nicht hineinfahren konnten. Ohne die geht’s natürlich nicht.

Im Streit um die Zufahrten wurde das Verwaltungsgericht angerufen und das entschied schließlich gegen die Stadt Beelitz. Denn seit einiger Zeit weht ein ganz anderer Wind im Land, und der kommt ausgerechnet aus Berlin. Im Frühjahr hatte die Ampel eine ­Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verab­schiedet, wonach der Anteil grünen Stroms von aktuell 48 Prozent auf 80 Prozent im Jahr 2030 steigen soll. Beim heutigen Tempo ein fast aussichtsloses Vorhaben. Denn dafür müssten jeden Tag zwischen fünf und sechs Windräder ans Netz gehen – momentan sind es gerade mal 1,5. Um die Umsetzung zu beschleunigen, trafen sich auf zwei „Windgipfeln“ Minister mit Vertretern von Kommunen und Industrie. Sie verkündeten, dass die Windkraft von „überragendem öffentlichen Interesse“ sei – und tatsächlich hat der nach üblicher Politik-Plattitüde klingende Terminus das Zeug, den Ämtern Beine zu machen.In Zukunft müssen alle Bundesländer zwei Prozent ihrer Landesfläche als windkrafttauglich ausweisen. Die Abstandsregeln werden flexibler gehandhabt, eine ­Genehmigung gilt auch für das nachfolgende Windrad­modell, die Klagemöglichkeiten werden geringer. Gleichzeitig soll darüber nachgedacht werden, wie Kommunen stärker an den Gewinnen der Windenergie beteiligt ­werden und ob es beim Artenschutz in Zukunft nicht eher um die ganze Art als um jedes einzelne Tier gehen ­sollte. 

Doch in manchen Bundesländern sind die Berliner Klimaziele weiterhin herzlich egal. Erst Anfang Dezember brachten CDU und FDP gemeinsam mit der thüringischen AfD ein Gesetz durch den thüringischen Landtag, das den Bau von Windräder in Zukunft quasi unmöglich machen wird. Fortan müssen Investoren brache Waldfläche finden, auf denen sich keine Bäume mehr aufforsten lassen. Wenn es darum geht, Windkraft zu vermeiden, ist die Brandmauer gegen die AfD, die die CDU gern beschwört, nicht mal ein Mäuerchen.

So wird Ulrich Biermann als geerdeter Ostwestfale trotz der verhältnismäßig guten Nachrichten aus Beelitz nicht gleich euphorisch. Glücklicherweise hat er noch ein anderes Waldstück in der Nähe von Wittstock gekauft, wo er gern ein Windrad aufstellen würde. Und da läuft es bedeutend besser. Dort wartet er erst seit acht Jahren auf die Genehmigung. 

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