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Amazon Pride

Die Ureinwohner Brasiliens wollen sich nicht alles gefallen lassen – und protestieren lautstark für ihre Rechte. Der Fotograf Joel Redman hat sie begleitet

Sie sind viele, unglaublich viele: mehr als 8.000 Männer, Frauen, Kinder. Ihre Gesichter und Körper sind bemalt, sie tragen Federschmuck auf dem Kopf, riesige Ketten um den Hals. Doch es ist kein Festival, das der US-Fotograf Joel Redman gemeinsam mit seinem Kollegen Genilson Guajajára im April 2024 in der brasilianischen Hauptstadt Brasília aufgenommen hat. Es ist ein Aufstand. Ein beharrlicher, würdevoller Protest – hinter dem sich eine alte Geschichte verbirgt.

Als die portugiesischen Seefahrer vor einem halben Jahrtausend glaubten, sie hätten neues Land entdeckt, lebten die Ureinwohner des brasilianischen Kontinents bereits dort. Es folgte, was immer folgt im Kolonialismus: Ausbeutung, Vertreibung und Tod. Heute ist Brasilien ein demokratischer Staat, gegründet auf einer Verfassung von 1988, die den Indigenen politische Rechte und Gebiete zuspricht. Doch das Versprechen ist hohl. Denn das Land, auf dem diese Rechte gelten sollten, wurde nie vollständig anerkannt. Von 761 indigenen Gebieten sind nur 477 tatsächlich registriert – die übrigen bis heute rechtlos.

„Wir waren schon immer hier“, steht auf einem der Plakate der Demonstrierenden. Was wie eine Trotzbehauptung klingt, ist eine Tatsache. Der Protest begann vor zwanzig Jahren mit der Besetzung eines Sitzungssaals des Nationalkongresses. Heute ist daraus eine politische Kraft geworden, die sich einen Namen gegeben, Strukturen und Bündnisse geschaffen hat. Aus fünfzig indigenen Menschen sind Tausende geworden, die sich in der Organisation „Articulação dos Povos Indígenas do Brasil“ zusammengetan haben. Mittlerweile hat die Bewegung viel erreicht: einen nationalen Rat für Indigenenpolitik, ein Sondersekretariat für indigene Gesundheit, Sitze in politischen Gremien. 

Doch vor allem die Regierungszeit des vorherigen Präsidenten Jair Bolsonaro hatte katastrophale Konsequenzen für sie. Das Amazonasgebiet, in dem viele Indigene leben, wurde zu einem rechtlosen Gebiet, in das Holzfäller, Viehzüchter und Goldsucher ohne Rücksicht auf Natur und Menschen einfallen durften. Umweltkontrollen wurden eingestellt, auf dem Amazonas schwamm Öl, im Flussbett lag Quecksilber. Die Fische starben, Menschen auch. 

Seit 2023 ist Silva da Lula zum zweiten Mal Präsident: Er nimmt die Anliegen der Indigenen ernster. „Aber auch wenn die jetzige Regierung sich für indigene Völker einsetzt, werden Indigene geköpft, verbrannt, erschossen. Und die Polizei sieht oft einfach zu“, sagt die Aktivistin Marilda Lira de Oliveira, die das Protestcamp mit dem verheißungsvollen Namen Terra Libre (Freies Land) mitorganisiert. Sie ist vom Volk der Guaraní, ihr indigener Name Kaluana Apoena – Kriegerin mit Weitblick. 

Jedes Jahr wieder kommen die Menschen hierher. Mit Trommeln, mit Liedern, mit politischen Forderungen zeigen sie ihren Unmut. Es ist die größte Versammlung indigener Völker und Organisationen Brasiliens. Fotograf Redman begleitet sie seit mehr als zehn Jahren. Gemeinsam mit seinem Bruder hat er eine von Indigenen geführte Wohltätigkeitsorganisation mitgegründet: „If not us, then who?“. Eine Frage, aber eigentlich eine Kampfansage.

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