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N° 86, Müde

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Über kein Geld spricht man nicht

Am Ende des Monats ist bei vielen Menschen das Konto leer – aber man kann ja mal schauen, ob der Bankautomat noch was ausspuckt. Eine Investigativrecherche in der Sparkasse

Von Tanja Mokosch; Illu: Frank Höhne

Wer noch nie vor einem Bankautomaten stand und es kam kein Geld mehr raus, werfe den ersten Schein! Sofort und zum nächstgelegenen Fenster hinaus. Ich für meinen Teil, habe schon des Öfteren drei schweißtreibende Wörter auf dem Display gelesen: Auszahlung nicht möglich. Und ich vermute, ich bin damit nicht allein. 

Die Hälfte der Deutschen nämlich hat gerade keinen Cent zum Sparen, so melden es die Schlagzeilen. Gegen Ende jedes Monats sei auf ihrem Konto: nichts. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Auf den meisten Konten ist das Gegenteil von Etwas-Haben nicht Nichts-Haben, sondern Minus-etwas-Haben. Schulden! Weil bei diesem Wort das Sparerherz aussetzt, haben sich die Kreditinstitute für das teuerste aller Darlehen eine emotional neutrale Bezeichnung überlegt: Dispo, wie Disposition. Immer und überall zu Ihrer freien Verfügung. Ganz ohne Schuld! Von diesem gemein getarnten Angebot macht jeder zehnte Deutsche Gebrauch. Der Dispo ist, ich weiß es doch, als eine Art Puffer gedacht. Falls es mal eng wird, aber der Stromanbieter noch abbuchen will. Wie viele Menschen in Deutschland ihren Dispo so ausreizen, dass sich Ende des Monats kein Schein mehr aus dem silbernen Bankschlitz schiebt, dazu gibt es noch keine Zahlen und Erkenntnisse.

Kein ratterndes Spulgeräusch, wie es normalerweise ertönt. Und der Kartenschlitz spuckt – klack! – die Karte direkt wieder aus

Ich positioniere mich an einem Donnerstagabend, dem 28. Tag des laufenden Monats, gegenüber einem Kölner Geldautomaten. Erhebungszeitpunkt: 18 Uhr, früher Feierabend. Erhebungsort: Sparkasse am „Baba“, öffentlicher Verkehrsknotenpunkt Barbarossaplatz. Überraschenderweise wollte kein Geldinstitut Auskunft geben darüber, welcher Automat der Stadt täglich die meisten Scheine aus den gepanzerten Kassetten ins Freie befördert. Eine offene, nichtrandomisierte Umfrage mit Stichprobe n=7 (WhatsApp-Gruppe mit Kölner Freunden) ergab diesen Automaten am Baba. Ich halte das für valide. Hier kommen alle ständig vorbei: Cash holen –  bevor das Vergnügen nach Feierabend beginnt. Wenn es denn noch was zu holen gibt.           

An dem Stromkasten, an dem ich wie ein Gauner lehne und immer wieder in Richtung Bankgebäude blicke, klebt ein Plakat: „Dein Lachen steht dir.“ Guter Hinweis! Gauner lächeln nicht. Ich grinse fortan auf die Schuhe derer, die sich dem Automaten nähern. Kommen die Schuhe zum Stehen, schiele ich von unten in Richtung Terminal. Das scheint mir unauffällig. 

So vergehen wenige Minuten, bis um 18.09 Uhr ein Paar Adiletten und ein Paar Birkenstocks am Zielobjekt verharren. Die vier Schuhe bilden ein junges Paar. Die beiden müssen schon lange zusammen sein, denn sie hält weder Abstand, noch tut sie so, als würde sie nicht auf die PIN-Tastatur glotzen. Sie reden, er führt die Karte ein. Warten. Die Karte kommt wieder raus. Warten. Nichts. Ich kann’s kaum glauben, schon nach so kurzer Zeit ein erster Treffer für meine Statistik. Er offenbar auch nicht. Dass endgültig finito ist, erkennen erfahrene Dispo-Ausreizer und -Ausreizerinnen  wie ich, noch bevor es auf dem Display steht. An der Stille. Kein ratterndes Spulgeräusch, wie es normalerweise ertönt. Und der Kartenschlitz spuckt – klack! – die Karte direkt wieder aus.

Der Boomer schiebt die Karte in den Schlitz und tippt die Zahlen auf dem Display. Nichts, nada, niente

Dieser Mensch ist offenbar kein erfahrener Dispo-Desperado. Er steckt die Karte noch mal rein. Mach dir keine Hoffnungen, Junge, der Automat irrt nicht. Kein Schein wird kommen. Die Freundin lehnt mit verschränkten Armen an der Sparkassenwand. Er zückt entgeistert das Handy, tippt darauf herum, blickt vom Display auf die Freundin und wieder aufs Display. Dann gleitet das Handy in die hintere Hosentasche, und die beiden ziehen los – ich hinterher. Denn bloße Zahlen, das ist klar, sind ohne Einordnung nichts wert: Wie konnte es dazu kommen?, will ich erfahren. Passiert das oft? Und was nun? Mit Rheinländern kommt man leicht ins Gespräch, heißt es. Offen seien sie, schicksalsergeben, aber dabei stets optimistisch und mit unerschütterlichem Frohsinn gesegnet. Wenn ich mir irgendwo Chancen ausmale, dass jemand Auskunft erteilt über die Hintergründe der bedrohlichen Leere seines Kontos, dann hier in Köln.

„’tschuldigung“, sage ich zögerlich. 

„Sorry“, sagt er entschlossen. 

Sie schlappen ohne Halt von dannen. 

Kaum habe ich mich wieder an meinem Stromkasten positioniert, sind schon drei, vier, fünf Schuhpaare gekommen und ihre Besitzer mit jeweils einem braunen Schein wieder gegangen. Da nähern sich um 18 Uhr 14 diese Exemplare: Marke „On“, Modell „Cloud Men“, Farbgebung „Blue & Denim“. Ich erschiele dazu dunkelbeige Cargohosen und eine hellbeige Jacke. Der Boomer schiebt die Karte in den Schlitz und tippt die Zahlen auf dem Display. Nichts, nada, niente. Doch das scheint ihn nicht weiter zu irritieren. Er steckt die Karte zurück ins Portemonnaie und läuft so beschwingt davon, dass ich mich nicht mal rühren kann, ehe er schon verschwunden ist.

Wie kann das sein? Boomer-Credo Nummer eins lautet doch: Ohne Moos nix los! Wollte er nur seinen Kontostand checken? Das Girokonto – die Matratze des Kryptozeitalters. Hier liegt das Geld einfach nur rum. Es wird nicht mehr, aber immerhin auch nicht weniger, und das reicht dem ängstlichen Sparer. Vielleicht also hat dieser Boomer ein feines Pölsterchen, so wie unter seinen Füßen. Oder ihm ist alles egal. Klimakrise, komm du nur. Jetzt, wo die Rente in der Inflation mit den Polkappen um die Wette schmilzt und einem der Jetset-Lebensabend eh versagt bleibt, was soll’s? 

Dann passiert lange nichts. Menschen kommen, stecken ihre Karten in den Bankautomaten und halten ihre Hände vor den Schlitz. Sie schnappen damit zu wie mit kleinen Krokodilmäulern, verstauen die Beute hektisch in diesem kurzen Moment vermeintlicher Gefahr und ziehen weiter. Gegen Viertel vor sieben halten vor dem Geldautomaten zwei robuste, markenlose Turnschuhe und zwei Reifen. Ein Postbote stellt sein beladenes Fahrrad ab. Portemonnaie raus, Karte rein, warten, Karte raus, warten. Kein Geld. Ich schleiche hin. 

„Entschuldigung, darf ich Sie was fragen?“, frage ich.

„Nein“, antwortet er. 

Was soll man da noch sagen? Es ist ja eigentlich klar: Über Geld spricht man nicht. Über kein Geld erst recht nicht. 

Ich ziehe nach einer Stunde Resümee: 31 Leute haben 32-mal ihre Karten in den Automaten gesteckt. 28 sind mit Geld gegangen. Drei ohne, aber trotzdem ganz gefasst. Wahrscheinlich haben sie noch Hoffnung. Auf der anderen Seite meines Stromkastens wirbt eine Bank mit dem Slogan: „Morgen kann kommen.“ Morgen ist Freitag, der 29. Keine Chance, dass vor dem Wochenende noch Lohn auf dem Konto landet. Es sei denn, ein Schein flattert vom Himmel.

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