Immer das Herz
Über einen Hund, der auf dem Tierfriedhof liegt
Von Oliver Gehrs
Flaxi war ein Parson-Jack-Russell-Terrier. Er sah also ungefähr so aus wie der Hund in dem Comic „Tim und Struppi“. Als ihn der Züchter vor 20 Jahren für 1000 Mark an ein Berliner Ehepaar verkaufte, hat er ein wenig geschwindelt. Jedenfalls hat er den neuen Besitzern nichts von Flaxis Problemen erzählt: dem schlimmen Bein hinten rechts, dem nervösen Magen, dem Herzfehler. Flaxi hatte eine Insuffizienz. Der Körper schaffte es nicht, die benötigte Blutmenge ohne Druckanstieg zu transportieren. Menschen nehmen dagegen sogenannte ACE-Hemmer, die hat Flaxi auch bekommen. Überhaupt ist er medizinisch gut versorgt worden. Vielleicht ist er deshalb für einen kranken Hund ziemlich alt geworden. Flaxi starb im Sommer 2011 mit siebzehneinhalb Jahren.
Monica und Jörg Jungwirth sind immer noch traurig. Man weiß nicht, ob sie deswegen immer Schwarz tragen oder ob das ein Zufall ist, aber wenn sie so am Grab stehen, dann sieht es aus, als wäre Flaxi noch nicht lange tot. Die Jungwirths haben keine Kinder, sie hatten nur diesen kranken Hund, der gar nicht krank wirkte. Ganz quirlig sei er gewesen, sagt Frau Jungwirth, und mutig – selbst auf größere Hunde habe er sich gestürzt. Viermal ist Herr Jungwirth am Tag mit ihm raus, er war in jedem Urlaub dabei, und weil die Jungwirths immer in sehr guten Hotels abgestiegen sind, war das nie ein Problem. Je besser das Hotel, desto weniger Ärger mit Hunden. Im Atlantic in Hamburg haben sie sogar Flaxis Spezialreis gekocht, sie kannten die Jungwirths schon.
Als Flaxi starb, war nur Frau Jungwirth bei ihm. Ihr Mann war gerade zur Kur, er musste sich von einem Herzinfarkt erholen. Er rief jeden Tag an und erkundigte sich nach dem Hund. Dem gehe es gut, hat seine Frau gesagt, und dass er gerade schlafe.
Für die Jungwirths war klar, dass sie Flaxi ordentlich beerdigen. Und der Betreiber des Friedhofs hat ihnen für 400 Euro eine schöne Feier arrangiert.
Einen neuen Hund wollen sie nicht mehr haben, weil der ja möglicherweise älter würde als sie selbst. Die Jungwirths sind schon 70. Und außerdem ging ihnen Flaxis Tod so nahe, dass sie so etwas nicht noch einmal erleben wollen.
Einmal in der Woche kommen sie auf den Friedhof. Dann scheint es so eine Art Arbeitsteilung zu geben: Frau Jungwirth sitzt in der Laube und raucht, während ihr Mann sich um das Grab kümmert. Er zupft die Pflanzen, gießt und harkt. Ihm scheint es ein bisschen leichter zu fallen, dass es Flaxi nicht mehr gibt. Jedenfalls erzählt er auch mal was Lustiges, zum Beispiel, dass er nach Flaxis Tod dessen Herztabletten nehmen konnte, weil er ein ganz ähnliches Leiden hat. „Die habe ich alle aufgefressen“, sagt Herr Jungwirth.
Auf vielen Gräbern auf dem Berliner Tierfriedhof stehen Bilder von Katzen und Hunden – dazu haben die Menschen Grablichter, selbst getöpferte Herzen und Lichterketten gefügt. Flaxis Grab ist dagegen sehr schlicht. Ein wenig Buchsbaum, ein steinerner Engel, ein Herz mit seinem Namen. Neben Flaxis Ruhestelle ist das Grab von Hopsi Löffelherz, Paula und Sternchen. Das waren drei Kaninchen. Dass man Kaninchen in einer Art Familiengrab beisetzt, kann man komisch finden. Dass Flaxi auf dem Berliner Tierfriedhof liegt, aber nicht.