Genau das war sein Flair
Er brachte sich selbst im römischen Ballsaal zur Welt, experimentierte vor allen anderen mit Wet-Gel und hatte den Ich-Sound wie kein anderer drauf. Aber entgegen der eigenen Vermutung war Falco dann doch nicht größer als das Leben
Von Joachim Hentschel; aus: DUMMY „Ich“, Herbst 2007; neu editiert am 5.2.2024
Als der Sänger Hans Hölzel, genannt Falco, mit 21
Jahren die Hälfte seines Lebens hinter sich gebracht hatte –
was er damals nicht wissen konnte –, da muss es ein ganz
furchtbares Gefühl für ihn gewesen sein, wenn er in den
Straßen seiner Heimatstadt Wien an den Kinoplakaten
vorbeilief und zum Beispiel den tollen Travolta in seinem
Saturday-Night-Anzug sah. Eine Angst, doch am falschen
Ort oder im falschen Jahrzehnt gelandet zu sein, oder beides.
Oder ein entscheidendes Stichwort verpasst zu haben,
auf das er bloß ganz einfach hätte antworten müssen und
zack!
Falco verdiente damals, 1978, sein Geld als Bassist und Sänger
einer Tanzkapelle, einer Kommerzpartie, wie Wiener
Musiker das nennen, fuhr nebenher unter anderem
Haarprodukte aus und experimentierte mit Wet-Gel.
Zusätzlich war er noch bei der stadtberüchtigten Rock ’n’
Roll-Blut-Kotze-Schockgruppe Drahdiwaberl eingestiegen,
und als er einmal in der gebügelten weißen Hose zum
Auftritt kam, fragte ihn der Chef von Drahdiwaberl in der
Garderobe: „So willst auf die Bühne?“ Falco: „Ja!“ – „Bist
deppert? Du schaust ja aus wie ein Student, der grad zur
Messe geht!“
Wie er mit hingeschmierten Haaren die Nase rümpft, ja eigentlich das ganze Gesicht rümpft
Das Falco-Bild, das heute den meisten als erstes in den
Kopf kommt, ist dagegen wohl die Anfangsszene des
berühmten „Rock Me Amadeus“-Videos von Rudolf
Dolezal und Hannes Rossacher: wie die Kutsche vor dem
Palais Schwarzenberg vorfährt, wie Falco wahnsinnig dünn
im schwarzen Anzug und mit Fliege und hingeschmierten
Haaren aussteigt, die Nase rümpft, eigentlich sein gesamtes
Gesicht rümpft, langsam das Spalier von Rokoko-
Leuten durchschreitet, als sei ihm der Empfang arg lästig.
Wie er zu rappen anfängt – „Er war ein Punker, und er
lebte in der großen Stadt“ – und sich mit gestreckten
Zeigefingern nach links und rechts selbst dirigiert. Falco
war überall oben, über allen anderen im langen, irren
Sommer 1985, der für ihn nonstop bis zum Frühjahr 1986
ging: Da kam er sogar in Großbritannien und den USA auf
Nummer eins.
Es war sein großer Coup, sein Grand Slam, seine Sieger- und
Arschloch-Faust. Hätte das nicht geklappt, also hätten
sich die Leute beispielsweise totgelacht über den Mann
mit der Mozart-Perücke, was ja auch möglich gewesen
wäre – dann wäre Falco aus Wien seitabwärts in die
Popgeschichte geflutscht als der Typ mit dem kuriosen
Neue-Deutsche-Welle-Hit „Der Kommissar“ und sonst
nichts, aha. Das wusste er. Das muss Falco vor Augen
gehabt haben, als sie im Palais das Video drehten. Manche
behaupten, er habe nie ernsthaft daran gezweifelt, irgendwann
reich zu werden, und als Kind soll er auf die Frage
der Lehrerin, was er später werden wolle, „Popstar!“
geantwortet haben. Aber Kinder haben leicht reden.
„Vor allem die Österreicher haben alle darauf gewartet,
mich sterben zu sehen, nach dem Motto: mit wehenden
Fahnen auf den Zentralfriedhof“, sagte Falco im Dezember
1986 in einem Interview mit dem „Musikexpress“. Aber
wenn einer schon den Star spielt, dann muss der Tod logischerweise
sein Buddy sein. Als Falco im Februar 1998 in
der Dominikanischen Republik im Mitsubishi mit einem
Bus zusammenstieß, war das ja auch kein großer Abgang,
sondern mehr das, was in Polizeiberichten „Disco-Unfall“
genannt wird.
Und auf dem Wiener Zentralfriedhof paradiert man erst
mal zartbitter vorbei am coolen Prominentenviertel mit
Beethoven, Schönberg, Curd Jürgens und dem Mozart-
Denkmal. Bei den Künstlern war halt kein Platz mehr.
Falco liegt im neu angefangenen Ehrenhain mit
Kapellmeistern, Volksschauspielern und Wienerlieder-
Interpreten, begraben unter einem seltsamen Ensemble:
der hohe, blank polierte Obelisk mit dem Falco-Schriftzug,
daneben der kleine, hutzelige Stein mit Lebensdaten und
Taufnamen, dazwischen eine riesige halbrunde
Plexiglasscheibe mit dem Batman-Umhangfoto vom
„Nachtflug“-Plattencover. Wenn man sich dann flapsig
fragt, wie viele verschiedene Menschen hier eigentlich
begraben sind, dann hat man die Message dieses
Arrangements wohl schon getroffen. Hier liegt der
Charakter Falco, hier liegt der Mensch Hans Hölzel, und
in der Mitte liegt, tja, die Schnittmenge. Die abgedroschene
popkulturelle Dialektik, die im Grunde so triviale
Unterscheidung zwischen Künstlerperson und Kunstfigur:
Exakt auf diese Spaltung kommen hundertprozentig zielsicher
alle Freunde und Mitarbeiter zu sprechen, sobald sie
sich auch nur ein bisschen an Falco erinnern.
„Er hat sich nicht ständig verwandelt wie Bowie“, sagt
Falcos ehemaliger Plattenboss Markus Spiegel beim
Topfenstrudel im Café Korb. „Er hatte für sich selbst eine
stringente Figur geschaffen, und dabei blieb er. Man muss
ja bedenken, dass Falco unter vier Augen ein unglaublich
sensitiver, normaler, charmanter Mensch war. Kaum war
ein drittes Augenpaar dabei, war dem nicht mehr so. Dann
hat er seine Figur gespielt, in unterschiedlicher prozentualer
Gewichtung. Die war eben so, wie er’s gern hatte.
Kaum fassbar.“
Im Frühjahr 1986, bei der improvisierten Feier zur US-Nummer-
eins, sei Falco – wie mehrfach verbürgt ist – auffallend
betrübt gewesen. Wie es denn jetzt weitergehen
solle, nachdem der Triumph nie mehr zu toppen sei, habe
er verzweifelt gefragt. Römisch eins könne man ja nicht
werden. Und fatalerweise hatte er recht. Danach kam
nichts Besseres mehr, nur Schlimmeres.
Es stellte sich schlicht heraus, dass Hans Falco Hölzel, entgegen der eigenen
Vermutung, gar nicht so sehr viel größer als das Leben
war – plötzlich war es umgekehrt, plötzlich war ihm das
Leben zu groß. War das ein Konstruktionsfehler?
„Das ist tatsächlich so. Das ist eine äußerst tragische
Geschichte“, sagt Bernhard Rabitsch. „Falco konnte schon
immer sehr dramatisch sein, wenn ihm etwas über die
Leber gelaufen war. Wenn ihn zum Beispiel eine Frau verlassen
hat, dann hat er gleich den totalen Weltschmerz
gehabt.“
KEIN LICHT IM FLUR,
ABER AUS DEN BOXEN KAM
„HEROES“
Schwierig waren der große Falco und der arme kleine
Hölzel aus jeweils unterschiedlichen Gründen. Der Star
lebte 1985 ja schon im grundnatürlichen Verfolgungswahn,
dass alle nur auf sein Geld spechteten. Er umgab
sich mit reichen Wiener Bürgersöhnen, denn die brauchten
bei ihm nicht zu schnorren. Er aß bei Oswald & Kalb, das
konnten die alten, vielleicht falschen Freunde sich nicht leisten.
Nach dem Konzert kam der Chauffeur und nahm ihn
ins Hotel mit. Und ob Falco dort ein Girl küsste, Kokain
schnupfte oder Schnaps trank, stand dann drei Tage später
in der Zeitung.
„Der Hans war das, was man einen Quartalssäufer nennt“,
sagt Thomas Rabitsch. „Drei Monate lang komplett trocken,
und wenn du dann einmal am Glas nippst, kippst du
um und hörst die nächsten zwei Wochen nicht mehr auf.
Und dann wieder nur Mineralwasser. Die Mineralwasserzeit
war immer höchst angenehm, weil er da ein
völlig klarer Mensch war, mit dem man irrsinnig gut arbeiten
konnte.“ Im blödesten Fall wurde er dann am Kiosk
zum Sekt eingeladen, von Leuten, die ihn erkannt hatten
und nicht wussten, dass Mineralwasserzeit war. Einmal
musste Rabitsch die Mutter Hölzel anrufen, weil der Sohn
nicht mehr allein nach Hause konnte.
Es ist erstaunlich, wie offen die alten Freunde – die Falco
garantiert nichts Böses wollen und spürbar stolz sind,
damals dabei gewesen zu sein – über solche Sachen sprechen.
Weil das halt Berufskrankheiten und Pendel–
ausschläge eines exzentrischen Wesens waren. Weil es ja
immer auch exzellente Zeiten gab, und vielleicht auch,
weil Falco seit dem „Kommissar“ sogar zu seinen aller
ersten Komplizen einen derartigen Sicherheitsabstand aufgebaut
hatte, dass bis auf ein, zwei Auserwählte sowieso
keiner mehr das Gefühl bekam, ihm besonders nahezustehen.
Trotzdem erinnert sich Thomas Rabitsch an so einen
Moment. Im Herbst 1988 war die Band auf Tour für das
abgestürzte „Wiener Blut“-Album, hatte gerade in
Oldenburg gespielt, als die Nachricht eintraf, dass der
Tour-Veranstalter alle restlichen Europa-Konzerte mangels
Vorverkauf abgeblasen hatte. Der erste Total-Nullpunkt,
zwei Jahre nach „Amadeus“.
„Wir saßen die ganze Nacht im Hotelzimmer“, erzählt
Rabitsch, „und das war das erste Mal nach fünf Jahren,
dass ich wieder normal mit ihm reden konnte. Vorher war
er in einer anderen Welt gewesen, ständig umringt. Er hat
zu mir gesagt: ,Ich weiß nicht, was ich machen soll – die
Leute erwarten von mir immer den Falco, und ich würde
doch so gerne ganz andere Sachen machen.‘ – ,Schau den
Peter Gabriel an‘, hab ich gesagt, und er: ,Nein, bei mir
geht das nicht.‘“ Kurz vor seinem Tod soll er tatsächlich
mit der Arbeit an einem neuen Live-Konzept sehr weit
gewesen sein, mit kleiner Band, Tänzern, Videokunst.
Möglicherweise wäre das ganz schrecklich geworden.
Vielleicht hätte sich Falco so aber auch von der Sucht
befreit, immer allen gefallen zu wollen, die für einen jung
alternden Künstler wie ihn am Ende viel fataler war
als alles Kokain und jeder Swimmingpool, aus dem er
winken konnte.
Selbst in den 80ern wirkte man wie ein Depp, wenn man wie Falco herumlief
Bei der weihnachtsähnlichen Begehung von Falcos 50.
Geburtstag im Februar 2007 wurde das alte Material
wieder in unwahrscheinlichen Mengen auf CD und DVD
verkauft, aber das darf nicht täuschen: Er hat praktisch
nichts hinterlassen, kein Werk, keinen Kunstmarkt-Wert.
Kein einziges Musikstück, das heute mehr bedeuten könnte
als den Zeitpunkt, die Tagesfarbe und die Hitze, unter
der es entstanden ist.
Obwohl es in den frühen Achtzigern, in der rustikalen
Idylle vor der großen Ankunft des Hip-Hop-Sampling und
den obligatorischen Coverversionen, den Hörern ganz
außerordentlich aufgefallen sein muss, dass der Großteil
von Falcos frühen Hits geklaut war. „Der Kommissar“ war
„Super Freak“ von Rick James, „Helden von heute“ war
David Bowies „Heroes“, „Junge Römer“ eine ganze
Bowie-Compilation, und den Anfang von „Rapper’s
Delight“ der Sugarhill Gang, ein Genuschel aus „boogie“
und „beat“, benutzte Falco noch Jahre später, wenn ihm
nichts anderes einfiel. Dann machten ihm die Brüder Rob
und Ferdi Bolland aus Amsterdam den Maßanzug- und
Ich-Sound, den musikalischen Eigenurin, vor allem die
Erkennungsmelodie „Rock Me Amadeus“, im Prinzip eine
speiüble Hip-Hop-Rock-Sirene, die den amerikanischen
„Rolling Stone“ 1986 dazu bewegte, verschärfte
Importgesetze zwischen Österreich und den USA zu
fordern.
Und ja, das alles muss so sein. Die Verklärung der 80er
Jahre als kühles, gelacktes und verkokstes Neon-Jahrzehnt
fand ja vor allem rückwirkend statt – in den echten
Achtzigern galt man primär als arroganter, gewissenloser
Depp, wenn man so wie Falco herumlief. Und trotzdem
war er so mit sich selbst identisch, ein solches Ausschlusskriterium
für alles Nicht-Falcoanische, dass auch die Musik
ohne seine Anwesenheit nicht mehr dieselbe ist.
Andersrum ging es ja auch: Unter den ungelogen 22 verschiedenen
Versionen, die die Bollands von „Rock Me
Amadeus“ für alle nationalen Radiohör-Marotten zurechtsäbelten,
war Falco mit dem „Salieri Mix“ besonders
unglücklich – man hörte seine Stimme kaum, die Rap-
Strophen fehlten, ein Frauenchor sang stattdessen. Genau
dieser „Amadeus“-Remix war es, der in England und den
USA Nummer eins wurde. Auf dem Hit, der ihn weltberühmt
machte, hatte Falco also praktisch nicht einmal
gesungen.
Was er privat für Musik hören würde, fragte die
Jugendzeitschrift „Popcorn“ im Sommer 1984. „Falco“,
sagte Falco. Und sonst? „Sonst nix.“
„Falcos größtes Glück und gleichzeitig größtes Malheur
war, dass die Amerikaner schneller da waren als die
Deutschen“, erinnert sich sein Ex-Plattenverleger Markus
Spiegel. „Schneller als die Österreicher sowieso, die Falco
bis heute nicht kapiert haben. A&M Records hatte in Paris
ja einen Europa-Beauftragten sitzen, Russ Curry, und deshalb
haben sie schon angefragt, bevor ,Der Kommissar‘
überhaupt in Deutschland in den Charts war. A&M war
das internationale Label schlechthin, ein höheres Level gab
es nicht.“ Spiegel verkaufte mit seiner Firma Gig Records
sieben Millionen „Kommissar“-Singles, weltweit drei
Millionen „Falco 3“-LPs. Als der Künstler wegwechselte,
weil er zu groß geworden war, verpasste Spiegel gar nicht
mehr so viel.
„Wenn einer in Amerika Nummer eins ist, dann hat er den
amerikanischen Markt zu beackern“, sagt Spiegel über die
Zeit nach „Amadeus“. „Und als Wiener wollte Falco das
nicht. Er kam nach Kalifornien und konnte mit dieser Mentalität gar nichts anfangen, mit der Pseudo-Höflichkeit und so weiter. Der Schmäh, den er hatte, den hatten die
nicht, und sie verstanden nicht im Geringsten, warum er
überhaupt erfolgreich war. Die wussten nur, dass man halt
irgendwie von den Crazy People lebt.“
Also doch: zu wienerisch! Immerhin trat Falco auf MTV
auf, interviewte per Bildtrick sein Alter Ego mit Mozart-
Perücke, in improvisiertem Austro-Englisch, und es war
lustig. Nun ja, lustig. Hätte Arnold Schwarzenegger das
wohl gemacht, oder hätte ihn das die Roboterrolle gekostet?
„Falco wirkte auf mich wie ein Heimatloser“, sagt Ferdi
Bolland, der Produzent der erfolgreichsten Platten. „Er war
gerne bei uns in Amsterdam, und es kam mir oft so vor,
als wolle er gar nicht mehr nach Wien zurück, weil da
eigentlich nichts war, zu dem er zurückkommen konnte.
Er hat uns auch von seinen Beziehungsproblemen erzählt,
wir haben die Tragödie aus der Ferne mitbekommen. Und
dann kam der Punkt, an dem er einfach komplett die
Kontrolle über sein Leben verlor.“
ENDE, TEIL 1: SEINE TOCHTER
WAR GAR NICHT VON IHM
Wenn man die Freunde und Kollegen fragt, was ihrer
Meinung nach die verheerendste Fehlentscheidung sei, die
Falco je getroffen habe, dann läuft es nie auf Musik oder
das Vertrauen zu ungeprüften Managertypen heraus, sondern
immer auf eine von zwei Möglichkeiten: die Sache
mit der Tochter. Oder die Sache mit der einsamen Insel.
Fehlentscheidung eins: nicht etwa das knappe Jahr Ehe,
das Falco 1988/89 mit der Grazer Ex-Schönheitskönigin
Isabella Vitkovic erlebte. Als die gemeinsame Tochter
Katharina Bianca größer wurde, bekam Falco schlimme
Zweifel daran, dass er der Vater sei. In Wirklichkeit war es
Vitkovic’ Ex-Mann, wie der Test im Herbst 1993 ergab.
Oft hat Falco gesagt, dass ihm diese Nachricht – als
Hammer nach vielen kleinen Kopfnüssen – die gute
Hoffnung endgültig zerstört habe.
„Da war ich wirklich angefressen“, sagt Bernhard
Rabitsch. „Er hat zu mir gesagt: ,Jetzt hab ich diesen
Vaterschaftstest gemacht, jetzt weiß ich, das Kind ist nicht
von mir. Und jetzt schmeiß ich eine Party, und morgen
wissen’s alle! Und dann schreiben sie’s auch!‘ War das notwendig?
Ich hätte das niemandem gesagt, allein schon
wegen dem Kind. Wieso war ihm das so wichtig, da wieder
in jeder Zeitung zu stehen?“ Die Pappenheimer von
der „News“-Illustrierten stürzten sich statt auf die Ehefrau
eh lieber auf ihn, den bereits Verletzten, den sie schließlich
selbst angeschossen hatten.
Fehlentscheidung zwei, zwei Jahre später: der Umzug in
die Dominikanische Republik, in ein Resort in der Nähe
von Puerto Plata, aus gemischten Gründen heraus: Wetter,
Steuern, allgemeine Trübsal, Einflüsterung. „Das war kein
Gang ins Exil, das war der Abgang“, sagt der Medienmanager
Hans Mahr, der damals eng mit Falco befreundet
war. „Falco wollte weg aus der Welt, die ihn so kritisiert
hatte, ohne die Konsequenzen zu ziehen, auf die Kritik
auch mal zu hören und sich zu ändern. Er hatte auch
schlechte Freunde, die ihm zugeredet haben, Leute, deren
Nähe er gesucht hat, weil die ihn nie kritisiert haben. Ein
Falco, der mit Haut und Haaren an seiner Stadt hängt, am
pulsierenden Wien und seinen Trends: Wenn der plötzlich
im Urwald lebt, ist doch künstlerisch nichts mehr drin.“
Wie Falcos Unfall am 6. Februar 1998 genau ablief, wurde
in so vielen Boulevardmagazinen nachgestellt, dass man
das Geheimnis besser kleinpusten sollte. Laut Obduktion
war er bekifft, bekokst und besoffen. „Aber man muss
dran denken, dass das dort eine ganz andere Welt ist“, sagt
Thomas Rabitsch. „Er ist einfach abgeschossen worden,
um vier Uhr nachmittags beim Rausfahren vom Parkplatz.
Das war schlicht ein depperter Autounfall.“
Und es hatte unzählige Zitate aus seinen Songs und
Interviews dazu gegeben. Am besten passte wieder mal
das „Rock Me Amadeus“-Video: So ähnlich, wie der
Falco-Mozart da von den Rockern durchs Palais
geschleppt wird, trugen die langhaarigen Outsiders-Kerle
den Sarg zur Gruppe 40 des Zentralfriedhofs. Echte
Rocker, keine blöden Statisten.
„Ich denke, dass es an der Zeit ist, emotional zu werden“,
sagt Falco in einen ORF-Fernsehporträt vom Herbst 1986,
und das Wort „emotional“ spricht er so englisch aus wie
den Titel seines gleichnamigen Songs. „Und ich werd jetzt
nicht heilig, und ich werd auch sicher nicht heiliggesprochen.
Und wenn sie mir jemals in Wien ein Kino bauen –
dann kommen auch nur Hunde hin und pinkeln es an.“
Um sinnloses Pathos zu vermeiden, wäre es nützlich, wenn
man Falcos Open-Air-Konzert beim Wiener Donauinsel-
Fest vom 27. Juni 1993 heute irgendwie noch einmal ansehen
könnte, ohne dabei von seinem Tod zu wissen. Nur so
könnte man testen, ob es nicht doch an diesem posthumen
Windhauch liegt, dass der Auftritt etwas so eigenartig
Würdevolles, Anrührendes, den Dämonen Trotzendes
an sich hat. Sachen, die man in der Regel öfter über Johnny
Cash sagt als über Falco.
Zu der Zeit hatte er in Österreich noch einmal ein spätes,
kurzes Hoch erlebt und für die „Nachtflug“-Platte Platin
bekommen, es waren 100.000 Leute da, die Falco mitten
im „Kommissar“ todernst und rhetorisch fragte: „Ist dieses
Wien noch mein Wien?“ Die Band entriss die besten
Lieder der hörgewohnten Eighties-Maschinenhaftigkeit,
und der Sänger, ganz in weit geschnittenem Schwarz, verzichtete
weise auf alle Gesten, die bei einem 36-Jährigen
leider nicht mehr so cool ausschauen wie bei einem 24-
jährigen Blitz Kid.
Und das Wetter tat ihm den Gefallen. Ein letztes Mal, dass
die Elemente den Handbewegungen Falcos gehorchten,
wie damals, als sich im „Amadeus“-Video die Menge teilte.
Ein unglaubliches Gewitter krachte los, aber die Leute
blieben da. Sie gingen nicht mal weg, als ein Blitz neben
der Bühne einschlug, die Anlage lahmlegte und die Musik
der unbeirrt durch die Monitorboxen weiterspielenden
Band praktisch unhörbar machte.
Dann, bis zu den italienischen Absätzen im Wasser, der
Regen lief ihm die Wangen hinunter, sang Falco „Helden
von heute“, seine Version von David Bowies „Heroes“,
dem Mann und dem Song, ohne die er nie den Mumm für
all das gekriegt hätte. „Wir ham den Fuß am Gas und die
Mode fest im Griff / Uns entgeht kein letzter Schrei, unser
Outfit hat den neuesten Schliff“, und an genau dieser Stelle
ging wie von Gruselhand die Anlage wieder an, und die
100.000 schrien alle gleichzeitig.
Mit dem, was Falco beabsichtigt hatte, als er sich damals
mit Arroganz und Akkuratesse im römischen Ballsaal
selbst zur Welt brachte, hatte das überhaupt nichts mehr
zu tun. Der definitive Falco-Moment war es trotzdem.