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N° 86, Müde

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Diese Frau

Man reibt sich die Augen, aber in manchen Staaten liebäugeln Politiker und Bürger wieder mit dem starken Mann. Zeit an ein paar Helden und Heldinnen im Widerstand gegen die Diktatur zu erinnern, die als Vorbilder dienen können. Teil 2: die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich

Von Oliver Gehrs

Umstürzlerische Flugblätter schreibt Ruth Andreas-Friedrich nicht, eher Mode- und Schminktipps. Seit 1939 arbeitet sie als Redakteurin für „Die junge Dame“, eine Frauenzeitschrift, die das Rollenideal der Zeit hochhält – und die später schmissig in „Kamerad Frau“ umbenannt wird. Zudem veröffentlicht Andreas-Friedrich ein Buch mit dem Titel „So benimmt sich die junge Dame“, in dem Fragen des richtigen Tischtuchs und der richtigen Haltung ventiliert werden. Womit natürlich nicht die innere Einstellung gemeint ist.

So unpolitisch Andreas-Friedrichs berufliches Wirken nach außen ist, so politisch agiert sie im Privaten, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem russisch-deutschen Dirigenten Leo Borchard. Beide vereint eine tiefe Abneigung gegen das NS-Unrechtsregime und die Abscheu vor der Ausgrenzung jüdischer Menschen. Dass diesen nach und nach verwehrt wird, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, müssen Andreas-Friedrich und Borchard auch in ihrem Freundeskreis erleben. Das Nein nicht nur zu denken – so lautet ihre Devise.

Am 19. Juni 1943 erklärt Goebbels Berlin für „judenfrei“, allerdings leben in der Stadt noch 7.000 Jüdinnen und Juden im Verborgenen. Dafür sind sie auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen, von denen manche ihre Notlage ausnutzen und ihnen für ein Versteck noch die letzte Habe abpressen. Anders das Paar Andreas-Friedrich und Borchard. Sie begegnen den Gejagten auf Augenhöhe. Zusammen mit einem Unterstützerkreis organisieren sie Verstecke, besorgen gefälschte Pässe und Lebensmittelmarken, reißen Propagandaplakate der Nazis ab und geben Informationen ans Ausland weiter. Als im Februar 1943 die Mitglieder der Weißen Rose in München festgenommen werden, tippen sie in Berlin deren Flugblätter ab, um sie weiter zu verteilen. Dabei treibt die Journalistin Andreas-Friedrich nicht nur ihr Unrechtsempfinden um, sondern auch der quasi patriotische Wunsch, der Welt zu zeigen, dass nicht alle Deutschen „Judenfresser, Hitlerjungen und Gestaposchergen“ sind. 

Anders als die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“, die schon 1942 zu Dutzenden unter das Fallbeil kommen, wird niemand aus der Gruppe Onkel Emil erwischt

Je näher das Kriegsende rückt, desto aktiver wird die „Gruppe Onkel Emil“, wie sich Andreas-Friedrich und ihre Mitstreitenden nennen. In der Nacht des 19. April 1945 laufen sie während eines Bombenalarms durch Berlin-Steglitz – einem besonders linientreuen Stadtteil – und schreiben mit Ölfarbe und Kreide „Nein!“ an die Wände. Anders als die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“, die schon 1942 zu Dutzenden unter das Fallbeil kommen, wird niemand aus der Gruppe Onkel Emil erwischt. 

Und so kann Andreas-Friedrich nach dem Krieg dafür sorgen, dass der zivile Widerstand gegen Hitlerdeutschland nicht in Vergessenheit gerät – ganz und gar keine Selbstverständlichkeit im Adenauer-Deutschland. Denn die Widerstandskämpfer gelten vielen auch noch nach dem Krieg als Vaterlandsverräter; im Osten wiederum kennt man eh nur kommunistische Helden. Einem angemessenen Andenken entgegen steht auch die weitverbreitete Legende, dass die Deutschen weder etwas wussten von den Gräueltaten noch etwas dagegen unternehmen konnten.So leistet Andreas-Friedrich wieder Widerstand – diesmal gegen das Vergessen und Verdrängen. Anfang 1947, zwei Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs, erscheint in New York das Buch „Berlin Underground“, in dem Andreas-Friedrich aus ihrem Leben unter den Nazis berichtet. Schon bald kann man ihr literarisches Tagebuch auch in Deutschland kaufen – unter dem Titel „Der Schattenmann“. Darin schildert sie auch das tragische Ende ihres Lebensgefährten Leo Borchard, der nach Kriegsende 1945 für zwei Monate die Berliner Philharmoniker dirigieren darf. Borchard wird an einer Westberliner Sektorengrenze versehentlich von einem US-Soldaten erschossen, weil der Fahrer die Aufforderung zu stoppen missversteht.

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