Die Verwandlung
Sie wollte nur ein bisschen Sonnenbräune, doch dann wurde sie dunkler als gedacht: Martina Adams Weg von der blonden Stewardess zur Wahlafrikanerin
Von Oliver Gehrs; Fotos: Edith Held; (Foto von früher: privat)
Als Martina A. eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie ihre Brüste zu ungeheurer Größe verwandelt. Wenn sie den Kopf ein wenig hob, sah sie, dass ihr Bauch, ihre Beine, ja, ihr ganzer Körper von einer sehr dunklen Hautfarbe waren.
Im vergangenen Kafka-Jahr hätte die Geschichte natürlich so anfangen müssen, heute beginnt sie aber anders, nämlich in einem Kinderzimmer in Bernkastel-Kues, einer idyllischen Kleinstadt in der Nähe von Luxemburg, irgendwann in den Neunzigerjahren. Damals spielte die kleine Martina oft und ausdauernd mit ihrer Barbie, und dabei entstand, so erinnert sie sich heute, der Wunsch, später mal genauso auszusehen wie die kurvenreiche Puppe der US-Firma Mattel. Tragischerweise entwickelte dieser Wunsch eine sehr lange Halbwertzeit. So ging er Martina weder in der Pubertät noch nach der Schule aus dem Kopf – er wurde sogar stärker.
Dabei hatte sie mit ihrem Klassenkameraden Michael jemanden kennengelernt, der sie toll fand, so wie sie war; nämlich blond und hellhäutig wie er selbst. Liebe auf den ersten Blick sei das gewesen, versichern heute beide, schon früh habe eine erstaunliche Unzertrennlichkeit ihren Lauf genommen. Nach der Schule heuerten beide bei einer regionalen Airline an, Michael ließ sich dort zum Piloten ausbilden, Martina zur Stewardess. Auf Bildern von damals schaut sie äußerst blond aus der Kabinentür.
Doch dann erkrankte Michael 2011 an einer Augenkrankheit, die ihm das Fliegen unmöglich machte; im selben Jahr seien ihre Eltern und ihre beiden jüngeren Schwestern bei einem Autounfall gestorben, sagt Martina. Psychologisierendes Nachgehake angesichts dieses Schicksalsschlags verbittet sie sich. Ob sie durch diese familiäre Tragödie auf die schwarze Bahn geriet, muss also im Dunkeln bleiben.
Fest steht, dass die Traumwelten im Kopf der jungen Martina Adam in dieser Zeit von weiteren Vorbildern bevölkert wurden, zum Beispiel von Pamela Anderson, die in der Serie „Baywatch“ mit sehr viel Oberweite im knappen roten Badeanzug Menschen rettete. Aber auch von der Schlauchbootlippenpionierin Katie Price und von Lacey Wildd, einer US-amerikanischen B-Movie-Schauspielerin, die durch die absurde Größe ihrer künstlichen Brüste bekannt wurde.
Nach den Brustimplantaten fragte sie den Chirurgen, ob es auch eine Behandlung gab, durch die man braun wird. Nun ja, es gab da diese Versuche
2012, Martina Adam muss so 23 gewesen sein (über ihr genaues Alter spricht sie nicht), fasste sie schließlich den Entschluss, ihre Träume wahr werden zu lassen. Sie kündigte ihren Job bei der Airline, reiste nach Kalifornien und ließ sich die Beine und die Taille schlanker machen, die Nase kleiner, die Lippen voller und die Zähne weißer. Wenige Monate später folgte die Brust-OP. Martina Adam bekam Implantate, die nicht aus Silikon bestehen, sondern mit Kochsalzlösung gefüllt werden. Als „Martina Big“, so ihr neuer Name, ließ sie sich in der Folge so einige Liter in ihre Brüste einlaufen.
Als sogenanntes Busty Model posierte sie danach immer mal wieder für Fotografen. Der gegroundete Michael, der nun als ihr Manager fungierte, besorgte ihr zudem weltweit Auftritte im Boulevardfernsehen. Besonders die Engländer konnten gar nicht genug von Martina Big und ihrem Riesenbusen bekommen. Gern filmten sie, wie Martina sich die Brüste füllte, indem sie eine große Spritze mit Kochsalzlösung an einem unter der Achsel verborgenen Port ansetzte.

Doch so richtig zufrieden war Martina Adam mit ihrem Äußeren immer noch nicht. Denn hatten nicht sowohl Barbie als auch Pamela Anderson so eine schöne Urlaubsbräune? Sie selbst aber bekam schon nach kurzer Zeit in der Sonne einen Sonnenbrand. Gab es da vielleicht auch eine Behandlung?
Ihr Schönheitschirurg in Kalifornien, der mittlerweile so aussieht, als hätte er sich recht oft unters eigene Messer gelegt, wusste auch hier Rat. Nicht bei ihm, aber an der University of Arizona könne man sich als Probandin einer Bräunungsprozedur unterziehen, denn dort werde an einer Hautkrebs-Prophylaxe durch die Gabe von Hormonen gearbeitet. Dabei wird die Pigmentproduktion im Körper künstlich angeregt, damit die Haut durch die Bräune vor Sonnenschäden geschützt wird. Bei Tierversuchen hatten sich bereits Mäuse verheißungsvoll schwarz verfärbt.
Schon im Jahr 1996 experimentierte die Uni in Tucson/Arizona auch mit menschlichen Probanden. Drei Männern waren Spritzen mit Melanotan verabreicht worden – einer synthetischen Substanz, die ähnliche Wirkungen besitzt wie die natürlich vorkommenden Hormone, die die Pigmentierung anregen. Und tatsächlich waren die Versuchspersonen recht braun geworden. Außerdem wurden Übelkeit, ausgiebiges Gähnen und spontane Erektionen verzeichnet. War man hier womöglich auf ein Wundermittel gestoßen? Braun, müde und potent werden zugleich? Man kann sich die Goldgräberstimmung in der moralisch eher laxen Pharmabranche der USA vorstellen. Doch ziemlich zügig schränkten die Behörden die weitere Forschung wegen unabsehbarer Gesundheitsrisiken ein. Neben den eher weniger gravierenden Nebenwirkungen drohe die Bildung von schwarzem Hautkrebs, warnten Wissenschaftler. Ein Unternehmer, der den Stoff bereits massenhaft illegal verkauft hatte, landete sogar im Gefängnis.
Aber ganz lassen wollte die Wissenschaft eben doch nicht vom neuen Bräunungsmittel – und so startete die University of Arizona 2017 einen weiteren Menschenversuch. Diesmal unter den Probanden: Martina und Michael aus Germany.
Laut Martina Adam bekamen sie in einer dreistufigen Behandlung unter anderem Injektionen – mehr mag sie nicht verraten, man habe schließlich eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben. Wahrscheinlich ist, dass die Probanden zusätzlich zur Hormongabe mit UV-B-Licht bestrahlt wurden. Dieser Doppelwumms sorgte bei Michael für einen schönen milchschokoladigen Teint, bei Martina Adam aber muss die Pigmentproduktion völlig außer Kontrolle geraten sein. Auf ihrer Homepage präsentiert sie bis heute Bilder, die sie in der Zeit nach der Behandlung gemacht haben will: Bereits nach einer Woche war die hellhäutige Frau von der Mosel verschwunden, nach zwei sah sie aus wie nach einem mehrwöchigen Kanaren-Urlaub, nach vier Wochen hatte sie die Farbe von Zartbitterschokolade.
FRAU bekommt BEI GEHEIMEM MENSCHENEXPERIMENT BRÄUNUNGSSPRITZE UND WIRD SCHWARZ!
Ist das also die Story? Gute Frage.
Das Gerde von der „Cultural appropriation“ hält man in Kenia für ausgemachten Schmarren
Zunächst mal muss man feststellen, dass Martina Adam bis heute nicht heller geworden ist, eher dunkler. Mittlerweile sind auch ihre Haare schwarz und ihre Augen noch brauner geworden. Da ihr Gesicht einen mitteleuropäischen Gesichtsschnitt hat, sieht sie dennoch nicht aus wie eine Schwarze, eher so, als hätte sie sich geblackfaced. Hat sie aber nicht. Der Rubbeltest an ihrer Haut beweist: echte Schwarze Haut. Und die trägt sie im Rahmen einer neuen Geschäftsidee zu Markte. Aus Martina Adam und Martina Big wurde Malaika Kubwa. Den neuen Namen verlieh ihr ein Baptistenprediger in Kenia, wo sie in die Welt der Massai eintauchte. Denn, so ließ Martina bei Talkshowauftritten wissen, sie habe nicht nur die Haut einer Afrikanerin, sie fühle sich auch immer mehr wie eine.Für solche Äußerungen erntet sie erschreckend viel Spott und Häme, und zwar nicht nur von Menschen, die schon Dreadlocks an Weißen für eine gefährliche Übertretung kultureller Grenzen halten, auch der gemeine Hassbürger arbeitet sich in den Sozialen Medien an Martina Adam ab. Am meisten Zuspruch erhält sie seit Jahren in Afrika. Als sie vom deutschen Frühstücksfernsehen nach Kenia begleitet wurde, konnten die Menschen dort mit der Reporterfrage, ob eine Weiße Deutsche denn so einfach eine Afrikanerin werden dürfe, wenig anfangen. Warum denn nicht, war die Antwort. Wäre doch schön, wenn sich endlich mal jemand freiwillig für das Schwarzsein entscheiden würde. Verrückt seien doch eher die, die ihre dunkle Haut künstlich aufhellten, um Weiß zu werden.
Auch durch die Zustimmung der echten Afrikaner hat Martina Adam der Vorwurf der Cultural Appropriation letztlich kaltgelassen. Wenn andere Menschen ihr Geschlecht wechseln können, warum sie dann nicht ihre Hautfarbe? Vor allem aber steht die Frage im Raum: ob sie überhaupt eine andere Wahl hat? Ob ihr nicht die Forscher aus Arizona dermaßen den Hormonhaushalt durcheinandergewirbelt haben, dass ein weiteres Leben als Afrikanerin eher als Resilienz gelten muss, als dass es kulturelle Aneignung wäre. Oder in Martina Adams Worten: „Ich hätte traurig sein können, ich habe mich entschieden, fasziniert zu sein.“
Aber kann es wirklich sein, dass ein Mensch nach einer dreimaligen Injektion eines hormonell wirksamen Stoffs dauerhaft so dunkel wird? Bestellt sie vielleicht die Wunderdroge regelmäßig im Darknet, um „Afrikanerin“ zu bleiben? Oder steigt sie alle zwei Tage auf die Sonnenliege? Dass sie oft ins Solarium gehe, sei nur „eins der vielen Gerüchte über mich“, sagt Martina Adam auf Nachfrage. Das hormonell wirkende Melanotan spritze sie schon gar nicht. Punkt.
Professor Thomas Eigentler, der das Hautkrebszentrum der Berliner Charité leitet, ist dagegen überzeugt, dass man schon ein wenig nachhelfen muss, um so einen dunklen Teint zu bewahren. „Regelmäßige Bestrahlung mit UV-B-Licht könnte das bewirken“, sagt Eigentler. „Wenn das wegfällt, wird sie wieder heller.“ Tatsächlich kann das auch erklären, warum Martina Adam in den vergangenen Jahren deutlich gealtert ist. Auch ihre Falten werden vom Mob in den Kommentarspalten des Internets natürlich seit Jahren höhnisch belacht.
Also, Martina und Michael, wäre es nicht doch allmählich Zeit, das Experiment zu beenden? Die Hautkrebs verursachenden Sonnenliegenbesuche (die es natürlich nicht gibt) einzustellen, die Kochsalzlösung aus den Brüsten abzulassen, das Witzfigurrisiko zu minimieren? Denn viel zu verdienen gibt es ja eh nicht mehr. Der
Boulevard hat das Interesse an Martina Adam weitgehend verloren. Die Brustnummer ist durch, die mit der Schwarzen Haut irgendwie auch. Heute stellt sich Martina Adam vielleicht noch mal für das rumänische Fernsehen eine Coladose auf die Brust, dann wieder posiert sie in hohen Stilettos in einem bayerischen Bach, einen Hobbyfotografen zu ihren Füßen. Es gab wohl auch die Anfrage, ob man filmen darf, wie ihr die Brüste so aufgefüllt werden, dass ihr Oberteil platzt – in Echtzeit.
Werden die Kinder, die sie bekommen wollen, auch schwarz?
Der große Medienzirkus aber ist weitergezogen auf der Suche nach neuen Menschensensationen. Dennoch hören sich Martinas Geschichten zuweilen so an, als sei sie immer noch auf dem Zenit ihrer Prominenz. So könne sie keinen Schritt gehen, ohne dass man sie erkennt und ihr zuruft, sie sei doch die aus dem Fernsehen – ob im Supermarkt in Nairobi oder auf den Straßen von Bernkastel. Schon klar, wer sie einmal im Fernsehen gesehen hat, vergisst sie nicht so schnell.

Und noch sieht Martina Adam Potenzial in der Sache mit der Afrikanerin. Eine andere Nase soll ihr jetzt neuen Schwung verleihen. Damals verkleinert, soll sie nun wieder größer werden – und vor allem: breiter. Dafür müssten allerdings Knochen aus ihren Rippen gesägt werden, was nicht ganz ungefährlich ist.
Wenn es nach ihrem Mann Michael geht, könnte Martina Adam in naher Zukunft ruhig ein wenig seriöser werden. Auf den mehrmaligen Reisen nach Kenia hat das Paar nämlich festgestellt, wie sehr das hiesige Afrikabild vom Klischee des unterentwickelten Kontinents geprägt ist, von Überheblichkeit und Herablassung. Da ginge vielleicht was: Martina als Botschafterin, die dazu beiträgt, Vorurteile abzubauen.
Für Michael hätte es die ganzen Transformationen eh nicht unbedingt gebraucht. Natürlich, so versichert er, finde er die Megabrüste, die dunkle Haut, die periodisch aufgespritzten Lippen und alles, was sonst noch modifiziert wurde, ganz großartig – aber: „Ich fand Martina schon als junges blondes Mädchen schön und habe mich in sie als Mensch verliebt.“
Manchmal reden die beiden auch davon, auf jeden Fall Kinder kriegen zu wollen – und dass die dann wahrscheinlich Schwarz wären. Doch das wird wohl nicht passieren. Denn die DNA ist dann doch schwerer zu manipulieren als die Haut.
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