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N° 84, Nerven

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Die Farbe von Furcht und Falschheit

Jetzt wird sie wieder geschwenkt, die deutsche Fahne. Aber warum nur ist sie so hässlich? So gelb! Denn eigentlich steht ja in der Verfassung eine andere Farbe. Aus aktuellem Anlass ein Appell, den wir schon vor 20 Jahren gehisst haben

Von Till Hein

„Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.“ So steht es im Grundgesetz. Seit dem 8. Mai 1949. Damals hat der Parlamentarische Rat den Artikel 22 mit 49 gegen eine Stimme angenommen. Für Schwarz-rot-gold haben sich unsere Ahnen einst die Köpfe einschlagen lassen: Wahrscheinlich gehen die „deutschen Farben“ auf das Freikorps Lützow zurück, ein studentischer Freiwilligenverband im Befreiungskrieg gegen Napoleon (1813-1815). Die Lützower trugen schwarze Uniformen mit roten Aufschlägen und vergoldeten Knöpfen. Bald darauf wurden diese drei Farben zum Symbol des Kampfes für Freiheit und nationale Einheit. „In Kümmernis und Dunkelheit, Da mussten wir sie bergen! / Nun ha- ben wir sie doch befreit, Befreit aus ihren Särgenl / Ha, wie das blitzt und rauscht und rollil / Hurra, du Schwarz, du Rot, du Gold! / Pulver ist schwarz, Blut ist rot, Golden flackert die Flammel“, jubelte der Dichter Ferdinand Freiligrath im Revolutionsjahr 1848.

Doch die Volkserhebung blieb ein Strohfeuer und als Otto Fürst von Bismarck („Die Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann gestatten kann“) die Einigung Deutschlands schließlich unter völlig anderen Vorzeichen erzwang, entschied er sich prompt für Scharz-weiß-rot als Nationalfarben. Zur Zeit der Weimarer Republik kam es zu einer kurzfristigen Wiederbelebung von Schwarz-rot-gold, bis die Nazis diese Fahnen verbrannten und durch schwarz-weiss-rote Hakenkreuz-Embleme ersetzten.

Doch seit 1949 sind die klassischen deutschen Farben im Grundgesetz verbürgt. Erhaben sieht sie aus, die schwarz-rot-goldene Flagge, wie sie über dem Reichstag weht. Doch wer ein wenig genauer hin blickt, erkennt, dass da etwas faul ist: Was ist bloß aus dem Gold geworden? An seiner Stelle beleidigt schnödes Gelb das Auge. Schwarz-rot-gelb – wie das schon klingt! „Gold würde bei Lichteinstrahlung schnell grünlich“, redet man sich in der Pressestelle des Bundesinnenministeriums heraus. Daher werde für Fahnen generell Gelb verwendet. Und in der Wappenkunde (Heraldik) gibt es keinen Unterschied zwischen Gold und Gelb: Beide werden als Metallsymbole betrachtet. Gold und Gelb seien daher „gleichbedeutend und gleichwertig“. Schöne Worte, In Wahrheit geht es nur ums Geld. „In früheren Zeiten gab es noch gelegentlich mit Brokat versetzte Flaggen“ erinnert sich Andreas Geitel, Geschäftsführer der Berliner Fahnenfabrik, die unter anderem den Reichstag beflaggt hat. Doch längst näht keiner nehr Goldfäden ein. Die Flaggen werden bedruckt. Und zwar gelb statt jolden. Goldfarbe wäre mehr als doppelt so teuer.

Ähnlich wie bei der Currywurst ist das Rezept für den Goldersatz umstritten. Der Berliner Fahnenhersteller präferiert den Goldersatz „RAL 1028“. Geitel haucht das Kürzel, als spreche er von seiner Traumfrau: „Melonengelb“. Die RAL-Farbskala hat das Deutsche Institut für Gütersicherung und Kennzeichnung in Sankt Augustin festgelegt. RAL-Farbtechniker Helmut Wigger propagiert allerdings prompt Narzissengelb (RAL 1007). Doch ob melonen- oder narzissengelb oder irgendwas mit Pantone: Tatsache ist, dass das deutsche Volk um das Gold in der Flagge betrogen wird. Gold steht für Reichtum, Stärke, Schönheit und Triumph. Gelb hingegen ist die Farbe des Neids und der Galle. In der Farbsymbolik des Mittelalters bedeutet es darüber hinaus Furcht, Totenblässe, Falschheit, Verrat und Askese. Gelbe Kleider trugen damals Henker, Soldaten und Ketzer. Etymologen wissen, dass das Wort „gelb“ eng mit dem baskischen „gelbera“ verwandt ist, das „ängstlich“ bedeutet. Und wenn im Mittelalter in einer Gegend die gelbe Flagge im Wind flatterte, hieß das, dass die Pest ausgebrochen war. Auf See existiert eine ähnliche Regel bis heute: Matrosen hissen die gelbe Flagge, wenn an Bord ihres Schiffes eine Seuche wütet. Nun ist die deutsche Nationalflagge ja zum Glück nicht ausschließlich gelb. Doch auch gelbe Streifen sind – historisch betrachtet – nicht unbedingt das Gelbe vom Ei, wenn man einen seriösen Eindruck hinterlassen möchte. In Hamburg etwa waren im Spätmittelalter „ghele Stripen“ an der Kleidung das Erkennungszeichen von „wandelbare Vrouwen“ – also von Prostituierten.

Dieser Text erschien erstmal in DUMMY Nr.3 zum Thema „Deutschland“, 2004

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