Die eigene Haut retten

Manches Tattoo ist dann doch nicht für die Ewigkeit. Aber wie wird man es wieder los? Ausflug an einen Ort, wo man der Vergangenheit mit dem Laser auf die Pelle rückt

Von Sara Geisler; Foto: Hannes Wiedemann; aus: DUMMY Nr. 78 zum Thema „Ego“, Frühling 2023; neu editiert 04.03.2024

Die erste Kundin, die ihr Tattoo dringend loswerden will, hat es dann doch nicht mehr eilig. Die erste Kundin des Tages, 11.40 Uhr, kommt einfach nicht.

„So sind sie, die unglücklich Tätowierten“, sagt Martin Ihle sanft, „sauunzuverlässig.“

So unbedingt sie ein Tattoo haben wollten, so unbedingt wollten sie es wieder entfernen – und überlegten es sich dann noch mal anders. Wer wirklich zum Termin erscheine, sagt Ihle, den plage ein großer Leidensdruck. Wer sich unter den Laser lege, der wolle ein neues Ich.

Martin Ihle hat eine Praxis für Orthopädie in Berlin-Mitte und gleich daneben eine für Tattooentfernung. Er hat sie vor zwei Jahren eröffnet, da trat gerade die neue Strahlenschutzverordnung in Kraft: Seither darf nur noch medizinisches Personal Tattoos weglasern. Ein gutes zweites Standbein, sagt Ihle – Poloshirt, kein Tattoo –, schließlich habe jeder dritte Deutsche mindestens eins. Und jeder fünfte bereut es.

Da tritt auch schon die erste Geläuterte herein: Sina, Zahnarztassistentin, trägt Doc Martens und ein Seidentop unterm Pulli. Auf dem Brustbein darunter blühen fünf Rosen umrankt von einigen Blättern, alles in tiefem Schwarz, wäre da nicht eine Art Blutbad, das in Rot aus den Rosen strömt.

„Eigentlich ein Cover-up“, sagt Sina, also ein Tattoo, das ein anderes versteckt.

Was das für ein Tattoo war, will man wissen.

„Ein Schriftzug“, sagt Sina, 27.

Und was da stand?

„Puh, das weiß ich gar nicht mehr“, sagt Sina und schaut dabei so konzentriert in die Luft, dass man fast glaubt, dass sie das selbst glaubt. „Ich war halt achtzehn“, sagt sie dann.

In Göttingen war das, alle hätten Tattoos gehabt, ihr Bruder, ihr Cousin, und da habe sie sich eben irgendwas auf die Haut schreiben lassen. Die Rosen könnten bleiben, sagt sie zu Olivia, die heute am Laser sitzt. Nur die rote Pfütze soll weg: Wann immer Sina in den Spiegel schaut, bäh, graue ihr davor. Der Tätowierer hätte ihr die Blutlache damals aufgeschwatzt. Das sei das eigentlich Schlimme. Heute, sagt Sina und macht eine wegwerfende Handbewegung, heute würde ihr das nicht mehr passieren. Olivia seufzt verständnisvoll und bittet die Kundin auf den Behandlungsstuhl. Rot, seufzt sie gleich noch mal, gehe nämlich besonders schwer weg.

Die Farbpigmente explodieren unter der Haut

Ein Tattoo zu entfernen kostet zehnmal so viel, wie es stechen zu lassen. Es dauert auch zehnmal so lang. Mehrere Wochen müssen zwischen den Sitzungen liegen. Wie viele es braucht, hängt davon ab, wie tief der Tätowierer gestochen hat. Schwarz verblasst recht schnell, Farbe schleppend. 

Olivia kühlt Sinas Haut, bis sie farblich dem Gelpad ähnelt. Sie reicht ihr eine Schutzbrille und eine Schale mit gelben Bällen, die in der Praxis „Knautschis“ heißen. Sina wittert, warum, atmet tief ein und greift nach einem Smiley mit Brille. Einmal drückt sie ihn zur Probe. Auf geht’s.

Olivia schwenkt einen Maschinenarm über Sinas Burst. Ein roter Punkt schießt auf die Haut, und ein klickendes Geräusch ertönt, zwei-, dreimal pro Sekunde, hell und rhythmisch wie ein Metronom. Vorsichtig tastet Olivia sich vor, voller Bedacht, voller Konzentration, Millimeter für Millimeter. Ehrlich gesagt: Es sieht wenig spektakulär aus. Im Grunde so, als ärgere jemand sein am Strand dösendes Schwesterchen mit einem Laserpointer. Nur dass dieser hier seinen eigenen Stromzähler hat. 

Um ein Tattoo zu entfernen, braucht es die Energie der höchsten Laserklasse. Seine Strahlen zerschießen die Farbpigmente in winzige Teile, sie explodieren regelrecht unter der Haut, was das klickende Geräusch erzeugt: jeder Ton eine Detonation. Je tiefer die Pigmente liegen, desto größer ist der Schmerz. Nach ein paar Minuten ist die Behandlung auch schon vorbei. 

„Keine Sauna, kein Wasser“, mahnt Olivia noch. „Und kein Sport!“

„Ich geb mein Bestes“, sagt Sina und lacht zum ersten Mal. 

Vor 150 Jahren behauptete der italienische Psychiater 

Cesare Lombroso, man könne Kriminelle an ihrem Äußeren erkennen. An langen Ohren zum Beispiel und einem kräftigen Kiefer, am sichersten aber an Tattoos: Wilde und Verbrecher würden sich tätowieren, also wären Tätowierte Wilde und Verbrecher. Lombrosos Theorien, die Mitte des 19. Jahrhunderts hohes Ansehen genossen, haben Wissenschaftler inzwischen begraben – wie auch die Gesellschaft viele Stigmata. Tattoos, sagte jüngst gar ein Sprecher des bayrischen Innenministeriums in München, sind in der Breite der Bevölkerung angekommen: Seit Februar dürfen sich selbst bayrische Polizisten die Arme tätowieren. 

Auch in der Gastronomie wären zwei Schmetterlinge auf dem Nacken kein Problem mehr, sagt Eva. Die wolle sie auch behalten. Vor einem halben Jahr aber hat sie, 22 und Hotelfachfrau, sich Augenbrauen tätowieren lassen. „Hab ich auf Instagram gesehen“, sagt Eva. Eigentlich wollte sie damals ihre eigenen Brauen nur ein bisschen akzentuieren. Nur ist die Kosmetikerin dann etwas weit nach oben gerutscht und übermütig nach hinten; das Ergebnis ähnelt mehr Kleopatra denn Bella Hadid.

„Hm, ja, ist nicht besonders dezent geworden“, begutachtet Katrin das Werk.

Sie ist die Dritte im Praxisteam. Katrin trägt eine schmale Brille (unten kein Rand), erste graue Haare im dichten Schopf und beginnt, Eva über die Risiken der Behandlung aufzuklären. Die Strahlung macht die Haut lichtempfindlich. Rötungen treten auf, auch die Farbe des Tattoos kann sich verändern. Außerdem entsteht Gas und löst manchmal den sogenannten Popcorneffekt aus: Auf der Haut wölben sich weiße Bläschen. Welche Stoffe dabei genau entstehen, ob toxische oder krebserregende, hängt von der Tinte ab und ist, so warnt das Bundesamt für Strahlenschutz, noch weitgehend unbekannt. 

„Je weniger Melanin die Haut enthält“, sagt Katrin, „also je heller sie ist, desto einfacher. Bei dir“ – sie schaut Evas Freund Deen an, heute als seelischer Beistand dabei –, „bei dir: Worst Case!“

Auf dunkler Haut bleibe schon mal ein weißer Rand, so, als hätte man mit weißer Kreide darauf gemalt. Deen hat Eva auch schon ins Dong Xuan Center begleitet, jenen Asiamarkt in Berlin, in dem sie sich die Augenbrauen hat stechen lassen. „Spontan für nur 170 Euro“, sagt Eva. „Na ja, dumm gelaufen.“ Sie bucht gleich einen Termin für nächste Woche und kriegt zum Abschied einen Testschuss. „Wie ein milder Stromschlag“, sagt Eva beim Hinausgehen. „Die vielen Brandblasen auf YouTube – da habe ich Schlimmeres erwartet.“

Das K hatte sie sich mit 21 stechen lassen, als sie noch dachte, dass diese Liebe 100 Jahre dauert

Professionelle Laser wie die in Ihles Studio kosten schon mal 120.000 Euro. Manches Kosmetikstudio, sagt Ihle, bestelle da lieber ein Gerät auf AliExpress, dem chinesischen Amazon: 5.000 Euro inklusive gefälschtem Zertifikat. Zwar sei das illegal und Lasern durch fachfremdes Personal auch. Aber flächendeckend kontrolliere das keiner. Das wisse er, weil regelmäßig Leute mit Brandwunden in seiner Praxis auftauchten. 

„Gab es ein Vorgespräch in dem Studio?“, fragt Ihle und beugt sich über eine Narbe.

Nina schaut ihn einen Moment ausdruckslos an und sagt dann: „Nein.“

„Haben Sie ja gut ausgewählt das Studio“, sagt Ihle und hält, wie um ihr die Sorgen zu nehmen, noch einen Augenblick ihre tätowierte Hand.

Nina ist schon mehrmals gelasert worden, in einem  Studio am Bahnhof Zoo. Das Kreuz zwischen Zeigefinger  und Daumen (nein, keine religiöse Bedeutung) ist allerdings noch immer da – und jetzt leider auch in 3-D.  Außerdem wäre da dieser Buchstabe unter ihrer Brust. Das K hat sie sich mit 21 stechen lassen. Hundert Jahre wird diese Liebe dauern, hat sie damals gedacht, aber es waren dann nur fünf.  

Ob sich ihr damaliger Freund auch den Anfangsbuchstaben ihres Namens hat stechen lassen?

Nina schweigt kurz und lacht dann laut.

„Natürlich“, sagt sie, „NICHT!“ 

Würde sie sich noch mal für einen Mann tätowieren?

„Nie wieder.“

Jetzt hätte man gern eine Pause, aber da kommt schon Richard, schiebt sein Hosenbein hoch und entblößt seinen volltätowierten Unterschenkel.

„Ditte hier“, sagt er und liest von einem Ring auf seiner Wade ab: „‚V o r w ä r t s!‘ Ditte war nach dem Referendariat, heftige Zeit. Und ditte hier …“ – er zeigt auf ein weiteres Band – „… is Hebräisch: ‚Auf das Leben‘. Da war ick in Australien zum Blaubeerpflücken und irjendwann pleite und bin erst mal ins Exil jejangen in die Berge und dann irjendwann bei Juden unterjekommen und hab mit ihnen Chanukka jefeiert.“

Immer wenn etwas Wichtiges in seinem Leben passiere, sagt Richard atemlos, lasse er sich einen Ring tätowieren.

„Und irjendwann bin ick ein Baum. Die nächste Idee is schon jespeichert: ein Eichenlaubkranz, der von einem Tintenfisch jehalten wird …“

Ihle hebt die Hand. Was denn nun eigentlich wegsolle?

„Alles Unwichtije da unten am Fuß. Hier zum Beispiel, die Flieje aus meiner Zeit im Boxverein …“

Wegen Fliegengewicht?

„Wegen Scheißhausflieje. Weil man mich schwer loswird.“

Natürlich gebe es manchmal offensichtliche Gründe, sagt Olivia ein wenig später am Rezeptionstresen lehnend, warum jemand ein Tattoo vom Leib haben will; wieder ist eine Kundin nicht gekommen. Letztens etwa habe eine Frau wegen eines „Zwangstattoos“ angerufen: ein 

„dummes Kreuz“ mit einem „dummen Spruch“, das ihre Clique ihr „verpasst“ habe. Oder morgen, da komme eine wegen eines Insekts. Die Behandlungskosten übernehme das Jobcenter. Bei Bewerbungsgesprächen wäre ein tellergroßer Mistkäfer auf dem Hals dann doch nicht so erfolgversprechend. Doch das wären Ausnahmen, sagt Olivia. Sonst gäbe es kaum Muster. Es kämen etwas mehr Frauen als Männer, bis zum Außenministerium wäre alles dabei. Tatsächlich erscheinen an diesem Nachmittag noch:

Eine Frau aus einem Finanz-Start-up. Mit sechzehn hat sie sich einen Stern tätowieren lassen – das Arschgeweih der 2000er-Jahre. Sie will in ihrem Leben nichts gemacht haben, das man irgendwann eben einfach so gemacht hat.

Eine Juristin. Ein Monat ist das Flugzeug auf ihrer Schulter alt und kein Centstück groß. Trotzdem ist sie den Tränen nahe. Immer schon habe es sie gereizt, ins Tattoostudio zu gehen. Aber dann habe sie eigentlich schon an der Tür gespürt, dass ihr die reine Vorstellung reicht. 

Eine Ingenieurin von Tesla. Sie lässt sich das Antlitz einer Frau weglasern, die ein Gehirn verspeist: „She looks hot, that’s definitely me.“ Aber das Motiv wäre einfach „some pinterest shit“.

Und dann ist da noch eine Content-Marketing-Managerin. Die Zitrone? Da hätte eine Freundin ihre neue Tattoomaschine ausprobieren wollen. 

Seine Seele will häuten, wer von Anfang an nicht von einer Sache überzeugt war, wer einem Influencer gefolgt ist statt seiner Intuition oder einer Freundin, die lieber an sich selbst hätte experimentieren sollen. Geht es um die eigene Haut, muss man egoistisch denken. Oder aber man steht einfach dazu, hin und wieder richtig dumme Entscheidungen zu treffen.

Ihre letzte Kundin ist aus der Tür, da lässt Katrin die Hosen runter. Dreißig Jahre sitzt das nun schon da, hier auf der rechten Pobacke, sagt sie und dreht sich nach dem fröhlichen Nilpferd um. 

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