Das Nein nicht nur denken
Man reibt sich die Augen, aber in manchen Staaten liebäugeln Politiker und Bürger wieder mit dem starken Mann. Zeit an ein paar Helden und Heldinnen im Widerstand gegen die Diktatur zu erinnern, die als Vorbilder dienen können. Teil 1: ein Teenager
Von Oliver Gehrs; Foto: Bundesarchiv
Am 12. August 1942 nimmt es der übermächtige NS-Staat tatsächlich mit einem Siebzehnjährigen auf. Vor dem Volksgerichtshof in Berlin steht Helmuth Hübener, ein Verwaltungslehrling aus Hamburg. Ihm wird vorgeworfen, Flugblätter mit sogenannten volkszersetzendem Inhalt verteilt zu haben. Mal warnte er darin Gleichaltrige vor der Hitlerjugend – für ihn eine „Zwangsorganisation ersten Ranges zur Heranziehung nazihöriger Volksgenossen“ –, mal nannte er Hitler einen „Volksverführer, Volksverderber, Volksverräter“. In anderen Flugblättern polemisierte er fantasievoll gegen Hermann Göring: „O ja, er hat schon etwas los, der kleine Schäker mit den Kulleraugen. Eine blendende Karriere, (…) nur keinen Verstand. (…) Ein gerissener Kriegsgewinnler und Geschäftsmann.“
Für einen Siebzehnjährigen ist das von erstaunlicher Chuzpe, zumal Hübener aus einer einfachen Hamburger Arbeiterfamilie stammt, die eher unpolitisch ist. Doch der Junge entwickelt schon früh, was vielen Deutschen nach der Machtergreifung der Nazis abgeht: ein Gewissen. In der Hitlerjugend stößt er sich an dem gleichmacherischen Drill, und als seine Kirchengemeinde jüdische Menschen vom Gottesdient ausschließen will, protestiert er vehement dagegen.
Im Sommer 1941 schließt er sich mit seinen gleichaltrigen Freunden Karl-Heinz Schnibbe, Rudolf Wobbe und Gerhard Düwer zu einer Widerstandsgruppe zusammen. Wie auch Helmuth Hübener glauben die drei nicht an die plumpe Nazipropaganda. Gemeinsam sitzen sie vor dem Volksempfänger und hören heimlich die Rundfunksendungen der britischen BBC – mit besonderer Begeisterung die Reden des exilierten Thomas Mann, der Hitler schon mal einen „blutigen Komödianten“ nennt. Aufgewühlt von den Informationen aus dem als feindlich geltenden Ausland, hackt Hübener seine eigene Widerrede in die Tasten. Anschließend verschicken er und seine Freunde die Flugblätter unter hohem Risiko per Post oder verteilen sie in Hamburger Arbeitervierteln.

Im August 1942, als Hübener einen Arbeitskollegen überreden will, ein Flugblatt ins Französische zu übersetzen (um sie unter Kriegsgefangenen zu verteilen), wird er denunziert und verhaftet. Schon wenig später steht er in Berlin vor den Nazirichtern, die ihn nach dem Strafrecht für Erwachsene verurteilen. Begründung: Hübener besäße für einen Jugendlichen eine überdurchschnittliche sittliche Reife.
Noch vor Gericht bietet der Teenager dem Richter ordentlich Paroli. Auf dessen Frage, ob er denn an die Feindpropaganda der Engländer glaube, ruft Hübener so laut, dass es noch in der letzten Reihe des Gerichtssaals zu hören ist: „Genau!“ – und stellt dem Richter kurzerhand eine Gegenfrage: „Glauben Sie denn, dass Deutschland den Krieg gewinnen kann?“ Ungläubig verfolgt der Mitangeklagte Karl-Heinz Schnibbe das standhafte Verhalten seines Freundes. „Ich konnte nur staunen, wie kühl, klar und klug Helmuth auftrat“, sagt er Jahrzehnte später in einem Interview.
Die Vertreter des Tausendjährigen Reichs verhängen das Todesurteil, am 27. Oktober 1942 wird Hübener in Berlin-Plötzensee der renitente Kopf abgeschlagen. Seine Freunde kommen ins Zuchthaus. Heute erinnert an Helmuth Hübener eine Schule und eine kleine Gasse in Hamburg, die nach ihm benannt wurden. Zu einer Straße oder gar einem großen Platz hat es nicht gereicht.
Zum Heft