Da ist doch was faul!
CDU-Politiker wie Merz schauen jetzt wieder auf Länder, wo pro Kopf mehr gearbeitet wird. Aber das heißt nur, dass sich dort wenig in Sachen Geschlechtergerechtigkeit tut
Von Julius Heinrichs
Die Deutschen sind faul und arbeiten immer weniger – so schimpfen (CDU-)Politiker und Wirtschaftsbosse. Nicht wirklich! Was allerdings stimmt: Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit pro Arbeitnehmer ist im Vergleich zu anderen Ländern recht niedrig. Die Deutschen schufteten 2022 im Durchschnitt nur 34,7 Stunden im Jahr (Spitzenreiter ist Griechenland mit 41). Auch die individuelle Jahresarbeitszeit ist laut Statistischem Bundesamt von 1.554 Stunden im Jahr 1991 auf 1.332 in 2024 gesunken. Allerdings befinden sich die gesamten Arbeitsstunden aller Beschäftigten in Deutschland auf einem Allzeithoch – einfach, weil es viel mehr Erwerbstätige gibt. Seit 1991 stieg deren Zahl von 39 auf 46 Millionen. Grund dafür sind vor allem Teilzeitmodelle und Migration.
Heute teilen sich viele Familien gerecht(er) auf und arbeiten beide – beispielsweise je 70 Prozent
Fazit: Statt immer weniger wird in Deutschland immer mehr gearbeitet. Nur ist es nicht länger so, dass allein der Mann arbeitet und die Frau sich um die Kinder kümmert. Heute teilen sich viele Familien gerecht(er) auf und arbeiten beide – beispielsweise je 70 Prozent. Obendrauf kommt für beide die Care-Arbeit. In der Statistik gelten diese Eltern jetzt allerdings als faul. Obwohl sie mehr arbeiten als die Generation davor, gehören sie auf dem Papier zu den Menschen, „die wieder lernen müssen zu arbeiten“ (Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing). Denn sie erhöhen die Teilzeitquote und ziehen die mittlere Arbeitszeit pro Kopf nach unten. Fair wäre es, die Arbeitszeit beider Partner zu betrachten. Aber nicht nur diese Gruppe, auch Alleinstehende, Alleinerziehende und Kinderlose arbeiten immer mehr.
Salopp gesagt gelten die Länder, in denen es noch viele Hausfrauen gibt, als besonders emsig
In Ländern, die sich Deutschland als Vorbild nehmen soll, arbeiten Frauen oft deutlich weniger. Salopp gesagt gelten die Länder, in denen es noch viele Hausfrauen gibt, als besonders emsig. Für Deutschland gilt also: Wir arbeiten nicht nur fleißig im Job, sondern auch am gesellschaftlichen Umbau für Geschlechtergerechtigkeit.
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