Supremacy, my ass!
Auf der Toilette ist von weißer Überlegenheit keine Spur. Im Gegenteil: Sich nur mit Papier den Arsch abzuwischen anstatt ihn mit Wasser zu säubern, ist eine eklige Angewohnheit
Von Nikita Vaillant; Foto: Giovanni Zocca
Stellen Sie sich vor, Sie berühren aus Versehen einen Haufen Scheiße, just in dem Moment, in dem Sie sich im Sommer hinknien, um Ihre Sandale zu schließen. Würden Sie dann ein Taschentuch zücken, die Stelle trockenwischen und weitergehen, als ob nichts passiert wäre, obwohl Sie sich die Scheiße dadurch eigentlich noch tiefer in die Poren geschmiert hätten?
Klingt eklig, aber genau das machen viele Deutsche jeden Tag – ausgerechnet mit der schmutzigsten Stelle ihres ganzen Körpers. Statt sich mit Wasser aus Kännchen, Handbrausen oder anderen Hilfsmitteln abzuwaschen, wie es der Großteil der Welt tut, reiben die meisten Weißen mit trockenem Toilettenpapier, bis die Hämorrhoiden bluten.
Dass das unhygienisch ist, liegt auf der Hand. Wer davon nicht überzeugt ist, kann es in Studien nachlesen. Trotzdem bleibt es in Mitteleuropa und Nordamerika ein völlig fremdes, sogar verdächtiges Konzept, sich den Allerwertesten nach dem großen Geschäft mit Wasser zu waschen. Warum ist das so?
Es gibt erstaunlich wenig Literatur zu dieser Frage. Wäre das hier ein Text über sonderbare Praktiken irgendeines Stammes in West-Papua, hätten eine Handvoll Anthropologen über Jahrzehnte verschiedene Erklärungen geliefert. Aber weil es hier um eine Eigenart Weißer Menschen geht, ist die Forschungslage eher dünn.
Die ersten Papierschmierer waren die Chinesen
Als die britische East India Company im 18. Jahrhundert ihr Handelsmonopol über ganz Indien ausweitete, fragte ein Beamter des indischen Mogulreiches namens Udit Narayan Singh: „Welche Ehre bleibt uns noch, wenn wir Befehle von einer Handvoll Händlern entgegennehmen müssen, die noch nicht einmal gelernt haben, sich den Hintern zu waschen?“
Die ersten Papierschmierer waren jedoch nicht die Weißen Briten, sondern Chinesen. Schon 589 nach Christus notierte der Gelehrte Yan Zhitui, dass man Papiere, auf denen Zitate aus den Fünf Klassikern stehen, lieber nicht für Toilettenzwecke nutzen soll. Fast genauso alt ist die Verwunderung darüber. Im Jahr 851 schreibt ein arabischer Reisender: „Sie [die Chinesen] achten nicht besonders auf Sauberkeit und waschen sich nach dem Toilettengang nicht mit Wasser, sondern wischen sich nur mit Papier ab.“
Es ist also nicht ganz fair, die Welt in schmutzige Weiße und den sauberen Rest einzuteilen. Eher muss man zwischen Wasch- und Wischkulturen unterscheiden. Die meisten Weißen Menschen waren historisch gesehen aber immer eher Letzteres.
Moos, Laub, Äste, Steine – für Wischtypen ging fast alles
Die alten Römer sollen für ihre schmutzige Angelegenheit einen Schwamm am Stock benutzt haben, eingeweicht in Essig oder Salzwasser. Eine Art Toilettenbürste für den Hintern. Andere, weniger entwickelte Europäer griffen einfach zu allem, was gerade in Reichweite war: Moos, Laub, kleine Äste – und manchmal sogar zu Steinen.
Wischen als Weißer Status quo hat sich über die Jahrhunderte kaum verändert – vielleicht auch einfach deshalb, weil sich Menschen in diesen Breitengraden insgesamt weniger häufig mit Wasser wuschen als anderswo, gerade an kalten Wintertagen und weil nicht jeder Zugang zu Wasser hatte. In wärmeren Regionen Afrikas und Asiens hingegen schien häufiges Baden üblicher oder war sogar durch Religion oder kulturelle Bräuche vorgegeben.
Bei Muslimen gilt: Wasser marsch!
Durch die Verbreitung des Islams, der eine ziemlich genaue Toilettenetikette vorschreibt, herrscht auch im Nahen Osten und in der gesamten muslimischen Welt eine klare Präferenz für Wasser. Ist das nicht vorhanden, ist auch das Wischen mit festen Gegenständen zulässig – allerdings nur in ungerader Anzahl. (Heute wird übrigens auch Toilettenpapier akzeptiert.)
Ausgerechnet die Franzosen waren in dieser Frage allen anderen Weißen voraus. Bereits Anfang des 18. Jahrhunderts erfanden sie das Bidet – damals eine hölzerne Vorrichtung mit integrierter Miniwanne, die man bestieg, um sich den Unterleib zu waschen.
Während in Frankreich kaum noch Haushalte eines besitzen, ist das Bidet in Italien heute sehr beliebt. Wer dort ein Haus bauen möchte, ist seit 1975 sogar offiziell verpflichtet, ein Bidet zu installieren. Dadurch verfügen viele italienischen Haushalte über eines – und viele Italiener über einen sauberen Hintern.
Bis heute fehlt’s den USA an analer Hygiene
In deutsch- und englischsprachigen Ländern setzten sich Bidets bisher nicht durch – obwohl es schon vor Jahrzehnten Versuche gab, sie zu etablieren. 1964 scheiterte zum Beispiel die „American Bidet Company“, deren Gründer Arnold Cohen in der Verbreitung von Bidets sein persönliches Lebenswerk sah. Weil sein Vater Schmerzen am Rektum hatte, entwarf Cohen einen Toilettensitz, der automatisch waschen und trocknen konnte, und patentierte ihn als „American Sitzbath“.
Doch trotz groß angelegter Werbekampagnen und tausend installierter Sitze in den Suburbs von New York wollte das Geschäft nicht laufen. Die prüde US-Gesellschaft mochte nichts von analer Hygiene wissen und sah in Bidets nichts anderes als französische Unsittlichkeit: In Europa stationierte GIs kannten Bidets nur aus Pariser Bordellen und brachten das Stigma gegen sie mit nach Hause.
Während die Amerikaner für Cohens Heilsnachricht unempfänglich blieben, etablierte sich seine Erfindung ab den Achtzigerjahren in Japan. Dort gehören Wasser und Föhn zur Grundausstattung der Toiletten.
Alles für den Arsch: 27.000 Bäume werden täglich fürs Klopapier gefällt
Verantwortlich für die Wasserphobie in deutsch- und englischsprachigen Ländern sind auch die Bemühungen der Toilettenpapierindustrie, die uns seit Ende des 19. Jahrhunderts weismachen will, ihre schäbigen Rollen seien die reinlichste und modernste Methode überhaupt. Doch dass das nicht nur schlecht für unser Rektum, sondern auch für den ganzen Planeten ist, wird verschwiegen. Allein für Toilettenpapier werden täglich 27.000 Bäume gefällt. Und die Produktion einer einzigen Rolle verbraucht ca. elf Liter Wasser. Mit unserem Papier spülen wir tatsächlich jede Menge Ressourcen die Toilette hinunter.
Für die meisten Weißen bleibt Wischen trotzdem die bevorzugte Methode – man denke nur an die große Klopapierpanik während der Covid-Pandemie. Wahrscheinlich auch, weil sich eine Schicht Papier zwischen Hand und Anus sicherer anfühlt als der direkte Kontakt. Wer allerdings mit beiden Kulturen, der des Wischens und der des Waschens, in Berührung gekommen ist, kennt die perfekte Lösung: eine Synthese aus beidem. Also erst mit Wasser waschen, dann mit ein bisschen Toilettenpapier abwischen.
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