Pffff …
So geht es, das peinlichste Geräusch seit Entdeckung der Peinlichkeit, also seit Menschen in Gesellschaft sich aufhalten und dabei so etwas wie Scheu oder Scham zu empfinden in der Lage sind. Ein simples Pffft konnte schon immer Existenzen vernichten, Karrieren beenden, Liebschaften verhindern. Zwar ist es, physiologisch betrachtet, das natürlichste Geräusch überhaupt. Eben deswegen aber gab es zu keinen Zeiten jemals Kulturen, die den Furz geduldet hätten. Er hat keine Kulturgeschichte.
Es furzt, wer verdaut. Das gilt für Blauwale im Atlantik ebenso wie für Flusspferde im Nil. Heringe sind sogar in der Lage, durch die Frequenz ihrer Fürze miteinander im nächtlichen Schwarm zu kommunizieren. Der Furz wirft auch den Menschen nicht nur auf seinen kreatürlichen Urzustand zurück, er katapultiert ihn darüber hinaus. Hier wird er wieder Wurm. Was vorne reinkommt und in der Mitte verdaut wird, muss hinten wieder raus, als Fäkalie oder eben Luft.
Physikalisch ist das Phänomen vorbildlich vermessen. Es hat eine Austrittsgeschwindigkeit von etwa zehn Stundenkilometern. Bei rund 25 Fürzen pro Tag produziert ein erwachsener Mensch etwa einen halben Liter Gas. Pro Jahr, auch das ist berechnet worden, produzieren die Menschen weltweit beinahe drei Billionen Liter heiße Luft.
Gerade weil der Furz so kulturfern ist, jedem zivilisierten Miteinander so anarchisch zuwiderläuft, reizte er schon immer zum Lachen. Sogar der älteste überlieferte Witz der Welt, gefunden auf einer Tonscherbe aus der sumerischen Kultur in Mesopotamien, ist ein Witz über das Furzen: „Was ist seit Menschengedenken noch nie geschehen? Eine Frau setzt sich auf den Schoß ihres Mannes und pupst nicht.“
Zwar erfüllt der Humor von vor vier Jahrtausenden nicht unbedingt unsere heutigen Ansprüche, Sujet und Stoßrichtung aber sind erkennbar. Der Furz ist alt, und er verschafft sich in den unpassendsten Momenten seine Geltung. Zur ungefähr selben Zeit wie bei den konkurrierenden Hochkulturen im Zweistromland fand der Furz auch in Ägypten zu ersten Darstellungen – als hockendes Kind.
Das Wort selbst, Furz oder „fart“, ist aus der ältesten noch existierenden Sprache, dem altindischen Sanskrit, in unseren Sprachgebrauch eingewandert: „Pard“ bedeutet, „einen Wind streichen zu lassen“.
Ein erster Niederschlag in der Literatur findet sich 423 vor Christus in einer Komödie von Aristophanes. In „Die Wolken“ erklärt ein Gelehrter: „Der Darmkanal der Schnaken ist sehr eng: da drängt die eingepresste Luft nun mit Gewalt sich durch, dem Bürzel zu; und weil die Öffnung plötzlich sich erweitert, fährt mit Musik der Wind zum Loch heraus.“
Im weiteren Verlauf denkt Strepsiades, der Held, über seine Darmtätigkeit nach: „So ’ne lumpige Brüh’, die verführt einen Lärm und tut akkurat wie der Donner. Erst halblaut nur: bumbum, bumbum, dann vernehmlicher schon: bububumbum! Bis donnernd gerad wie die Wolken zuletzt es herausfährt: bubububumbum!“
Es antwortet Sokrates, der Philosoph: „Wenn dein Bäuchlein, winzig und klein, so gewaltige Bumbums herausfarzt, wie entsetzlich muss erst im erhabenen Raum rumoren das Rollen des Donners?“ Darauf Strepsiades: „Ich verstehe: drum sind sich auch Donner und Furz so ähnlich im brummenden Tone!“
Lächerlich gemacht werden hier sowohl die Wolken, das Naturereignis, als auch der Philosoph mit seinen Erklärungen. Überliefert ist, dass auch die Göttergattin Hera ihrem untreuen Mann gern den furzenden Hintern entgegenstreckte, um ihren Unmut möglichst deutlich auszudrücken. Der Furz als verächtlich-viszerale Äußerung dementiert alles, was zerebral an Theorien aufgestellt werden kann. Eine anale Wortmeldung, die jede Autorität untergräbt. Es ist dieser anarchische Mechanismus, der heute noch dem Furzkissen zugrunde liegt.
Das eher witzlose Christentum, um heiligen Ernst bemüht, hatte für derlei Schabernack so wenig Sinn wie für die überwundenen Religionen des Altertums überhaupt – und unterstellte den Heiden daher, den Furz als Gott zu verehren. So schrieb Papst Clemens I. noch zu Zeiten der Christenverfolgung in Rom vom „Darmgeräusch“ (lat.: crepitus ventris), das angeblich als Gott angesehen würde.
Zwar hat der römische Kaiser Claudius erwogen, „leise und laute Blähungen bei Tisch“ ausdrücklich zu gestatten. Das war aber auch der Gipfel der Toleranz. Einen solchen Gott, Crepitus, hat es nie gegeben.
Dennoch ließ ihn Gustave Flaubert noch 1874 in der „Versuchung des heiligen Antonius“ klagen: „Früher wurde auch ich verehrt. Man goss mir Trankopfer aus. Ich war ein Gott! Der Athener begrüßte mich als glückliches Vorzeichen, der fromme Römer verfluchte mich mit geballten Fäusten, und der Oberpriester Ägyptens, der keine Bohnen aß, zitterte bei meiner Stimme und erbleichte bei meinem Geruch.“
Flauberts Kollege und Zeitgenosse Honoré de Balzac wiederum träumte davon, eines Tages so populär zu sein, dass seine Fürze in der Öffentlichkeit als natürlichste Sache hingenommen würden.
Gewöhnlicherweise aber schadete der Furz dem Prestige des Furzers – immer und überall. Die Geschichte der Demütigungen ist lang, die reicht vom pupsenden Dalai-Lama bis zu indigenen Stämmen im Amazonasgebiet. Bei den Suyá und Bororo gelten Fürze als „verrottete Gerüche“ und sind unbedingt zu vermeiden. Wem öffentlich ein Darmwind entfährt, muss dieses Missgeschick – zusammen mit dem ganzen Stamm – durch ein kompliziertes Ritual aus Husten und Spucken wieder ungeschehen machen.
Schon in dem Literaturklassiker „Tausendundeine Nacht“ wird von einem Kaufmann aus Bagdad erzählt, Abu Hassan, dem auf einem Hochzeitsfest vor allen seinen Gästen ein donnernder Furz entfährt. Aus Scham ergreift er die Flucht und versteckt sich in Indien. In der Hoffnung, sein Fauxpas sei vergessen worden, kehrt er nach zehn Jahren erst zurück. In einer Vorstadt von Bagdad hört er durch ein offenes Fenster, wie ein Kind fragt: „Mama, wann bin ich denn auf die Welt gekommen?“ Die Mutter antwortet: „Das war in dem Jahr, als Abu Hassan gefurzt hat.“
Eine ähnliche Geschichte wird aus dem England des 16. Jahrhunderts erzählt von Edward de Vere, einem Earl of Oxford, der bei einer Verbeugung vor der Königin nicht an sich halten kann. In Panik flieht er für volle sieben Jahre ins Exil nach Frankreich. Nach seiner Rückkehr, bei einer erneuten Audienz, tröstet ihn die Monarchin: „Ihren Furz haben Wir doch längst vergessen!“
Weil er eben nicht vergessen werden kann. Und vor allem dort im Grunde unverzeihlich ist, wo auf Etikette geachtet wird. Der Furz in der Vorstandssitzung, im Aufzug, auf der Bühne ist in der Regel sozialer Selbstmord. Es rückverwandelt den Menschen aus seiner Rolle in einen atmenden, essenden, defäkierenden und eben: furzenden Wurm. Und es bedarf schon großer Weisheit, um dem Wurm die Scham über seinen Fehltritt zu nehmen.
Die Antike weiß von Metrokles, Schüler der Philosophie, dem beim Unterricht ein Wind entfuhr. Verzweifelt verkriecht er sich in sein Zimmer, um sich dort zu Tode zu hungern. Sein Lehrer, Krates, verspeist Bohnen und besucht den Unglücklichen. Ungehört verhallen all seine vernünftigen Erklärungen dafür, dass Metrokles sich keiner Schandtat schuldig gemacht hat. Erst indem Krates selbst furzt und sich damit auf eine Stufe mit dem Schüler stellt, bringt er den Knoten zum Platzen.
Der Philosoph handelt mit der gleichen liebevollen Lässigkeit, mit der Jahrtausende später der Dalai-Lama im Fernsehen furzt – um herzlich darüber zu lachen.
Sogar im Japan des 17. und 18. Jahrhunderts war die Flatulenz ein Anlass für größte Heiterkeit – und Gegenstand von Kunst. In dieselbe Ära, die uns die legendäre „Große Welle von Kanagawa“ hinterlassen hat, fallen die legendären „Furzschlachten“. Zu sehen sind Proto-Cartoons, in denen Papierwände mit Fürzen durchschossen, Reiter von ihren Rössern gefurzt werden oder durch die Stereofürze zweier Frauen ein Mann in die Luft gehoben wird. Wo die Wahrung des Gesichts einen so hohen Stellenwert hat, ist der Furz umso befreiender – und komischer.
In der japanischen Kultur ist die Furzfreude noch heute tief verankert. Die schintoistische Mythologie erzählt von Kappa, einem Monster, das es auf der Suche nach einem magischen Gegenstand auf menschliche Hintern abgesehen hat. Verscheucht werden kann Kappa nur durch kräftiges Furzen. In der isolationistischen Edo-Periode allerdings, der Zeit der „Furzschlachten“, wurden europäische Eroberer kurzerhand von der Insel gefurzt – wieder in Cartoons, versteht sich.
Den japanischen Abwehrfurz wiederum hat im 19. Jahrhundert Aubrey Beardsley bei seiner Illustration von – da ist er wieder! – Aristophanes’ „Lysistrata“ übernommen: Die Titelheldin pupst die zudringliche Männerwelt einfach davon. Eine Männerwelt übrigens, die aus misogyner Tradition mit weiblichen Fürzen wesentlich größere Probleme hat als mit ihren eigenen – aus Mesopotamien grüßt matt der älteste „Witz“ der Welt herüber. Zwar „stinkt der Bock“, wie Goethe schreibt, aber es „farzt die Hexe“.
Im Mutterland der Cartoons bediente man sich, zeitgleich zur Entstehung der japanischen „Furzschlachten“ und auf der anderen Seite der Erde, kurioserweise identischer grafischer Mittel. Wenn John Bull, die Personifikation von England, König George III. ins Gesicht furzt, ist der respektlose Wind durch flüchtige Striche angedeutet.
Wenn Witz so etwas wie ein unerwarteter Spannungsabfall ist, dann dürfte der Furz sein zwar gröbstes, aber auch gängigstes Werkzeug sein.
Anders ist die Faszination nicht zu erklären, mit der Flatulenzkünstler seit Jahrhunderten ihr Publikum in zwiespältige Begeisterung versetzen – von den Hofnarren englischer Könige des Mittelalters über Joseph Pujol, den Houdini des Furzens, und seinen Auftritten im „Moulin Rouge“ bis zu den Gebläse-Ensembles, die André Heller für seinen „Palast der Winde“ engagierte.
Derlei Treiben musste natürlich eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema vorausgehen. 1722 zählt der Aufklärer Jonathan Swift fünf verschiedene Fürze, darunter den „feuchten“ und den „Doppelfurz“. Eine erste Erwähnung in einer Enzyklopädie hat das Phänomen 1751 bei Diderot und d’Alembert: „Furz: Ein Wind, der in den Gedärmen entsteht & geräuschvoll aus dem Anus entweicht. Er ist eine Folge der Verdauung & tritt auf je nach Beschaffenheit der Nahrungsmittel, von Kälte, Wärme, u.s.w.“
Selbst hier hat die Blähung noch subversive Wirkung. Die Aufklärer hatten nicht in erster Linie den Furz im Sinn, sondern eine Attacke auf bisherige Gegenstände akademischer Diskursordnungen. Um Angriff auf Ordnungen ging es schon dem Reformer Martin Luther, der gegen seinen Erzfeind wütete, der Papst sei „ein Farzesel, vor dessen Furz sich selbst der Kaiser fürchtet und der alle Eselsfürze und die selbsteigenen binden und angebetet haben will, und dieser Farzer zu Rom will noch, daß man ihm den Hintern lecke.“
Unter dem letzten Kaiser der Deutschen wiederum wurde per Annonce ein Produkt namens „Mello“ beworben, ein „dünnes, überaus geistvoll erdachtes Röhrchen, wird unfühlbar im After getragen und entfernt die Gase restlos; unhörbar und ohne üblen Geruch, stets in winzigen Mengen und überraschend oft auch bei denen, die glauben, nie welche zu haben.“
In die moderne Kunst hat es der Furz noch nicht geschafft, nicht als Geräusch, nicht als Gestank – auch wenn unlängst eine Audiodatei mit den versammelten Fürzen eines Kunstkollektivs meistbietend versteigert wurde.
Wie sein Bruder, der Rülpser, wird der Furz wohl auch in Zukunft bleiben, was er seit Erfindung der Peinlichkeit seit jeher stets gewesen ist. Ein olfaktorischer und akustischer Störenfried.
… ffft