Viele Menschen sagen von sich, dass sie nicht träumen oder sich zumindest nicht an das Geträumte erinnern können. Andere Menschen, die viel träumen, zerbrechen sich den Kopf darüber, was ihre Träume wohl zu bedeuten haben. Ich stelle erst mal nur fest, dass ich nicht nur viel träume, sondern dass ich Träume gleich in Serie produziere. Nachts, wenn ich schlafe, erreiche ich eine Produktivität beim Entwickeln von Geschichten, von der ich tagsüber nur träumen kann. Ich verwandle mich in eine regelrechte Traumfabrik. Mein nächtliches Schnarchen und Schnaufen ist nichts anderes als das Rattern der Maschinen und das Klopfen der Stanzen. Tatsächlich wirkt die Handlung der Träume, die hier vom Fließband gehen, oft ein bisschen gestanzt. Neben wenigen individuellen Produktionen überwiegen in jeder Lebensphase bestimmte Serienträume, mit zwei bis drei Folgen pro Woche, die immer sehr ähnlich verlaufen.
In den ersten Berufsjahren war das der Abi-Traum. Ich muss, um mich für die Abschlussprüfungen anzumelden, im Prüfungsamt der Universität meine Unterlagen einreichen. Neben sämtlichen Scheinen aus Pro- und Hauptseminaren habe ich auch mein Abi-Zeugnis vorzulegen. Der Vorzimmerdrache nimmt das Dokument in Augenschein und hat alsbald schlechte Nachrichten: Ihr Abi-Zeugnis ist ungültig, Sie müssen das Abitur wiederholen. Bis zu diesem Punkt verlief der Abi-Taum fast immer gleich. Aber meine Traumfabrik entwickelte diesen Plot Nacht für Nacht um eine Eskalationsstufe weiter. Mal fand ich mich gleich darauf in einer Abi-Klausur wieder, auf die ich mich, anders als all meine Klassenkameraden, natürlich nicht vorbereitet hatte (wie auch in der kurzen Zeit?). Mal musste ich zurück über Los. Ich saß dann wieder in der fünften Klasse meines alten Gymnasiums, als einziger 30-Jähriger umgeben von meinen knapp 20 Jahre jüngeren Klassenkameraden. Einmal ging es dann sogar auf Klassenfahrt an die Nordsee, und während die anderen im Bus ihre Caprisonnen tranken und ihre Mix-Tapes beim Fahrer abgaben, fielen mir 30-jährigem Fünftklässler zu allem Übel auch noch die Zähne aus. Wenn ich dann wach wurde, dauerte es immer eine Weile, bis ich erleichtert feststellte, dass ich das Abi sehr wohl längst in der Tasche hatte. Immerhin bescherte mir der Serientraum diese Momente, in denen ich mich darüber noch freuen konnte. Im richtigen Leben interessierte sich für mein Abi seit Schulzeiten ja kein Schwein mehr.