Als ich auf Ende dreißig zuging, war der Stoff mit dem nicht bestandenen Abitur offenbar auserzählt. Meine Traumfabrik legte eine neue Serienproduktion auf: In dem Brandenburger Wochenendhaus, das ich gemeinsam mit einigen Freunden besitze, soll die große Sommerparty steigen, und ich habe mich bereit erklärt, die Organisation zu übernehmen. Ich fahre hinaus aufs Land, um alles vorzubereiten, und gehe davon aus, ein paar Tage Zeit dafür zu haben. Doch als ich eintreffe, sind die ersten Gäste schon da. Die ersten Gäste? Die ganze Dorfstraße ist vollgeparkt, als würde hier ein zweites Woodstock stattfinden. Hunderte Menschen, die nun alle bitter enttäuscht von mir sind. Alle Augen richten sich auf mich: Wo bleibt das Bier, warum läuft hier nicht mal Musik, was bist du für ein Loser? Und jedes Mal beginnt es dann zu regnen – in diesem Traum der Realitätsbezug. In der Schlussszene stapfe ich dann immer spätnachts durch Schlammpfützen über das Gelände und suche zwischen lauter Schnapsleichen (irgendwie müssen die doch noch an Getränke gekommen sein) für meine Kinder und mich einen Schlafplatz, weil einige besonders dreiste Gäste unsere Betten okkupiert haben. Dabei beschleicht mich das Gefühl, aus dem Alter für so was eigentlich raus zu sein.

Meine Serienproduktion von Träumen begann schon im Kindergartenalter. Der erste, an den ich mich erinnern kann, ging so: Ich stürze über die Reling eines Kreuzfahrtschiffes ins Meer. Ich strample, schnappe nach Luft, gehe unter. Ich sinke tiefer und tiefer, bis es ganz dunkel um mich wird. Aber nach einer Weile wird es wieder hell – und ich finde mich auf dem Boden einer Fußgängerunterführung in meiner Heimatstadt Bielefeld wieder. Was macht man nun damit? Schon Plato ist aufgefallen, wie unlogisch das nächtliche Kopftheater zuweilen ist: „Nichts ist in ihnen unmöglich. Der Mensch handelt, als ob er keinerlei Moral oder Intelligenz besitze. In Träumen schreckt er nicht davor zurück, Sex mit seiner Mutter und allem anderen zu haben – Mann, Tier oder Gott.“ Die moderne Hirnforschung bestätigt: Wenn wir träumen, hat das Logikzentrum Pause, und dafür sind jene Regionen aktiv, in denen Erinnerungen, Emotionen und das Gefühl unserer Identität lokalisiert sind.

Selbst wenn sich in meinem Bielefeld-Traum irgendeine latente Problemverarbeitung und Auseinandersetzung mit Identität andeuten sollte, so bleibt sie doch schleierhaft. Was mag es auf sich haben mit meinem Sturz vom Traumschiff ins Wasser und dem Wiedererwachen in der Bielefelder Unterführung? Vielleicht das Erschrecken des kleinen Träumers, dass er ausgerechnet an diesem Ort zur Welt gekommen ist und nun ein Leben als Bielefelder führen muss.