Hier ist der Mann der Queen noch König

Auf Tanna im Südpazifik gibt es mehr Religionen als Kokosnusspalmen. Selbst Prinz Philip ist für manche der knapp 29.000 Inselbewohner ein Gott. Eine drogengeschwängerte Expedition zur Geburtsstätte des Cargo-Kults. Von Matthew Baylis

Strahlende Frauen in hell gefärbten Grasröcken umringten uns. Sie sangen und spielten Banjo. Dann legten sie uns Blumengirlanden um den Hals und führten uns in ihr Dorf, das seltsamerweise Athen hieß. Wir passierten die noch rauchenden Überreste eines abgebrannten Gebäudes und kamen zu einem Bambushäuschen, in dem ein einzelner Stuhl stand. Ein Mann in einem Chelsea-Fußballtrikot kam näher. Er hatte zwei Augen, die einen anstarrten, von seinem Kopf baumelte eine einsame Dreadlock herab. 
„Unser Prophet hat uns zwei Dinge befohlen“, erklärte er. „Brennt eure Kirche nieder und baut einen Stuhl. Wenn wir das tun, kommt der weiße Mann und setzt sich darauf.“ 
Ich blickte nervös auf die verkohlten Holzbalken der Kirche. „Ein weißer Mann wie Prinz Philip?“, fragte ich. 
Die Miene des Chelsea-Fans verdunkelte sich. „Wir haben nichts zu tun mit ihm“, sagte er. „Wir sind Unity!“ Um dies klarzustellen, reckte er seine Faust in die Luft und brüllte: „Unity!“ Die anderen Dorfbewohner stimmten ein, auch sie schrien: „Unity!“ 

Ich war fast 20.000 Kilometer weit gereist, um die Anhänger des Prince-Philip-Kults auf der pazifischen Insel Tanna im Staate Vanuatu zu suchen. Ich lebte in einem Dorf, dessen Vorsteher, Chief Jack Naiva, angeblich der Anführer dieses Kults war und dessen Bewohner angeblich alle glaubten, der Duke von Edinburgh sei eine lokale Berggottheit. Nur hatte ich bislang noch niemanden bei etwas beobachten können, das auch nur im Entferntesten nach religiöser Praxis aussah. Und fünf Gehminuten weiter, im nächsten Dorf, schien es, als hingen die Menschen einem komplett anderen Glauben an. 
Auf Tanna, einer Insel von 20.000 Seelen, bedeckt mit dichter Vegetation und vielen Tälern, gibt es mehr Religionen als Kokosnusspalmen. Jede Ausprägung des Christentums scheint vorhanden zu sein, ebenso wie ein Ableger der Bahai’is, ein Amerika-Kult, dessen Anhänger in US- Militäruniformen durch die Gegend marschieren. Es gibt zahlreiche kleine Sekten, von denen jede ihren eigenen charismatischen Führer hat. Unity, die Gemeinschaft, in die ich hineingeplatzt war, folgte dem Propheten Fred, einem Fischer, von dem es hieß, er hätte Tote zum Leben erweckt. 
Bevor ich hier ankam, hatte ich mir ausgemalt, Tanna sei die klassische Insel mit Sandstränden, umringt von einem ruhigen blauen Meer und im Wind wiegenden Palmen. Nichts, was ich bisher gesehen hatte, passte in dieses Bild. Das Meer war grau und wild, die Wellen vom Wind aufgepeitscht. Der Sand war schwarz, und im Inselinneren sah man halb verlassene Dörfer, die sich an steile Bergmassive anschmiegten. Eine steife Brise wehte durch die Baumwipfel. 

Ich kehrte zurück in das Dorf Yaohanen. Die Bewohner, in der Mehrheit bekleidet mit abgetragenen Fußballtrikots und Shorts, starrten mich an. Ein Ruf, der alle aufhorchen ließ, erklang aus Richtung einer kleinen Ansammlung von reetgedeckten Hütten hinter mir. Mit würdevollen Schritten näherte sich nun ein alter Mann, eine Wolke weißer Afro-Haare bedeckte seinen Kopf. Die Menge teilte sich, jeder wich ihm respektvoll aus. Es war Jack Naiva, der Vorsteher des Dorfes Yaohanen. Er trug einen Trainingsanzug – kombiniert mit einem Sarong, dessen Saum er anmutig mit den Fingern raffte. 
Jack Naiva kam direkt auf mich zu und musterte mich mit einem tiefen Blick. Mir kam es fast so vor, als würde er den Inhalt meiner Seele für eine spätere Inspektion herunterladen. Dann schüttelte er mir die Hand und sagte: „Prinz Philip, ich will, dass er kommt.“ 
Es kam sicher von Herzen, aber der Chief wirkte meiner Meinung nach auch etwas gereizt, als er das sagte, ungefähr so, als sei Prinz Philip ein Bus, der sich verspätet hatte, obwohl er laut Fahrplan längst hätte da sein sollen. Naiva nahm auf einem Baumstamm Platz und forderte mich auf, es ihm gleichzutun. Als ich mich setzte, sank das ganze Dorf zu Boden und machte es sich um uns herum bequem. Mit seinem langen, dürren Finger zeigte der Chief auf mich. Was er damit meinte, war klar: „Warum bist du hier?“
Zum Glück lieben die Menschen auf Tanna lange Geschichten, denn meine begann 1982 mit einem Zug. Der Zug brachte Menschen von Southport nach Manchester, und er fuhr direkt an meinem Kinderzimmerfenster vorbei. Eines Tages reiste Prinz Philip in seiner Funktion als Vizedekan der Salford University nach Manchester, ohne Zweifel nicht im Zug, aber bei uns zu Hause scherzten wir trotzdem, er habe, als er vorbeiratterte, sicher zu uns herübergewinkt. Aus diesem Grund nahm ich als Elfjähriger großen Anteil am Leben des Prinzen, der die meisten Leute mit seinen politisch unkorrekten Sprüchen auf die Palme brachte (er sagte zum Beispiel, wenn er wiedergeboren würde, wäre er am liebsten ein tödliches Virus. Dann könne er höchstpersönlich etwas zur Lösung des Überbevölkerungsproblems beisteuern). 
Mir fiel auf, dass die Briten es beinahe zu genießen schienen, sich über ihn aufzuregen. Als Kind fand ich es allerdings unfair, dass über Prinz Philip so häufig gelästert und gespottet wurde, und ich ergriff allein schon deshalb Partei für ihn. Mit dem Beginn der Pubertät merkte ich, dass es schwieriger wurde, ein Prinz-Philip-Fan zu bleiben, und verschwendete erst mal keine Gedanken mehr an ihn. Erst an einem Tag während meiner Uni-Zeit kam mein Interesse zurück. Im Grundstudium der Ethnologie erfuhren wir von „Cargo-Kulten“ – religiösen und politischen Bewegungen im Südpazifik, die durch die Begegnung von Einheimischen mit westlichen Besuchern entstanden waren. Die Dozentin erwähnte eine Insel namens Tanna, deren Bewohner Prinz Philip anbeteten. Ich war so überwältigt von dieser Neuigkeit, dass ich sie nach dem Seminar um weitere Informationen anflehte, aber sie wusste leider so gut wie nichts. 
Ich arbeitete mich fieberhaft in das Thema ein. Es schien so zu sein, dass es im Archipel Vanuatu (ehemals eine anglo-französische Kolonie namens Neue Hebriden) ein Dorf gab, dessen Bewohner in den 1970er-Jahren im Queen-Gemahl einen lange verschollenen Berggott erkannt hatten, als er zweimal die Südsee besuchte.
Prinz Philip selbst erfuhr erst davon, als ihn Jahre später der zuständige Beamte über die Angelegenheit informierte. Dieser schlug vor, dass der Prinz ein signiertes Porträt schicken solle, was schließlich auch geschah. Die entzückten Dorfbewohner reagierten, indem sie eine traditionelle Keule zur Schweinetötung (nal-nal genannt) zurückschickten. Ihre Zuneigung wurde umso größer, als sich der Prinz entschloss, ein zweites Foto nach Tanna zu entsenden, auf dem er selbst mit Schweinekeule zu sehen ist. Ein Selfie, das die Menschen am Ende der Welt glücklich machte.
Das alles verstärkte meinen Drang, mehr herauszufinden. Also reiste ich nach Tanna und machte mich auf die Suche nach dieser Religion. 
Als ich meine Geschichte beendet hatte, nickten die Dorfbewohner und klatschten zustimmend auf ihre Schienbeine. „Du wirst hier alles herausfinden“, versicherte mir Chief Jack mit leuchtenden Augen. Aufgeregt zückte ich meinen Stift: „Okay, können Sie mir sagen, wann Sie zuerst …“ Die Dorfbewohner blickten mich so entrüstet an, als hätte mein Telefon während einer Opernaufführung geklingelt. 
„Nicht jetzt“, sagte der Vorsteher streng. „Jetzt müssen wir Kawa trinken.“ 

Ich würde in den kommenden Wochen noch eine Menge Kawa trinken müssen: ein schlammiges, narkotisierendes Getränk, zubereitet von kleinen Jungen, die Wurzeln zerkauen, die Masse ausspucken, sie mit Wasser vermischen und dann durchsieben. So widerlich das auch klingen mag, ist der Effekt doch ziemlich angenehm.
Die Hauptaktivität während der Kawa-Zeremonie ist das, was die Bewohner Tannas auf Pidgin-Englisch storian nennen. Es bedeutet: plaudern, quasseln, tratschen. Das ist die Art, wie sie Prinz Philip verehren: indem sie mit ihrem Kawa an einem qualmenden Lagerfeuer sitzen, während die Sonne untergeht, und zärtlich von ihm sprechen. Sie erzählen dann die Geschichten seiner Abenteuer. Dass er der Kapitän eines Kriegsschiffes war, ein Cowboy, ein großer Zauberer, der eine weiße Königin verführt hat. Und irgendwie stimmt das ja auch alles.
Sie verknüpfen Weltgeschichte mit den Taten ihres Berggottes. Um ein aktuelleres Beispiel zu nennen: Sie sagen, Philip habe dafür gesorgt, dass ein schwarzer Mann der Präsident der USA wird. Später habe er dann mit seinem Zauber geholfen, Osama Bin Laden zu finden. 

Eine verschwitzte Gruppe von Arbeitern lief durch das Dorf, die Frauen beladen mit Zuckerrohr, die Männer schwangen ihre Macheten durch die Luft. Unter ihnen war Kal, Chief Jacks zweiter Sohn, ein finster dreinblickender Typ. Er murmelte etwas in das Ohr seines Vaters und sah dabei zu mir herüber. In der Zwischenzeit kamen noch andere Dorfbewohner und setzten sich zu uns. Mir war aufgefallen, dass die Tannaesen im Großen und Ganzen einen ziemlich entspannten Tagesablauf zu haben schienen. Sie interessierten sich nicht für Geld und bauten lieber ihre eigene Nahrung an, als Lebensmittel zu kaufen. Sie fütterten die Schweine, harkten ein wenig in ihren Yam-Gärten herum und flickten vielleicht noch einen alten Zaun. Den Rest des Tages fanden sie Zeit, um zu quatschen, sich ihr liebstes Rauschmittel einzuflößen und neue Religionen zu erfinden. Einige wenige nahmen später den weiten Weg in die Schule auf sich, aber formale Bildung hatte auf Tanna keinen guten Ruf. Sie erinnerte an die Missionare, die einst gekommen waren, um ihren Glauben zu zerstören. 

„Kal will wissen, ob du glücklich darüber bist, wieder auf Tanna zu sein“, sagte Chief Jack. 
„Das ist mein erster Besuch.“ 
„Nein, das ist er nicht“, erwiderte Chief Jack liebenswürdig. „Wie wusstest du denn bitte schön, wie man das tamfa macht, als du das Kawa getrunken hast?“
„Das was?“ 

Jack erklärte, dass der nakmal, also der Versammlungsort, auf dem wir uns befanden, von den Geistern der Toten bevölkert wurde, sobald die Sonne unterging. Wenn die Männer sich etwas von den Geistern wünschten – größere Yam-Ernten, gesunde Kinder, Siege über Rivalen –, spuckten sie beim Trinken ein bisschen von ihrem geschätzten Drogengebräu auf den Boden. Das war das tamfa. Ich hatte es offenbar wie ein Profi hingekriegt. Aber sie irrten sich. Ich hatte ihren Toten keine Opfergabe darbieten wollen, als ich die braune Brühe ausspuckte. Mir war einfach nur ein bisschen schlecht geworden.
„Es war ein Versehen“, wehrte ich mich. Der Chief schlug vor, gleich noch mehr Kawa zu machen, um herauszufinden, ob das tatsächlich stimmte oder nicht. 

Es war schwierig, der Sache, wegen der ich eigentlich nach Tanna gekommen war, auf den Grund zu gehen. Das lernte ich während der Wochen, die ich auf der Insel verbrachte. Es gibt keinen Schrein für Philip und auch keine Hymnen oder Gebetbücher. Die Religion schien etwas sehr Leises und Privates zu sein. Im Vergleich zum Christentum, das die Missionare gebracht hatten, war der Glaube an Philip allerdings deutlich effektiver, wie Chief Jack mir häufig versicherte.
„Sie warten seit 2.000 Jahren auf ein Zeichen von Jesus“, sagte er immer wieder. „Aber unser Philip schickt uns Fotos! Und eines Tages wird er kommen.“ 
Er ist bis heute nicht gekommen, und manche sagen, er wird es auch nie tun. Aber wer weiß – wenn ein Junge aus Southport gemeinsam mit einem Stamm aus dem Südpazifik dafür betet, kann viel passieren. 

Wer mehr Appetit auf den Rauschpfeffer Kawa (dem der Ufologe Erich von Däniken übrigens sein angeblich einziges und sehr erotisches Drogenerlebnis verdankt, wie wir bereits in DUMMY Schweiz berichteten) und andere seltsame Sitten aus Tanna verspürt, sollte er sich schleunigst in die nächste Buchhandlung begeben und sich dort die Langversion dieses Reiseberichts bestellen. Das Buch „Man Belong Mrs. Queen: Adventures with the Philip Worshippers“ von Matthew Baylis ist bei Old Street Publishing erschienen.

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