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Wohin man sieht: Baumärkte. Warum nur? Interview mit einem Konsumkritiker

DUMMY: Es gab Zeiten, da war es eher verpönt, Dinge selbst zu basteln, es galt als irgendwie spießig. Wann setzte der Wandel ein und die Heimwerker kamen aus ihren Hobbykellern ans Licht? 
Sacha Szabo: Man sollte das Heimwerken nicht nur als Hobby verstehen. Es ist letztlich mehr als nur eine zwecklose Beschäftigung, sondern eine Reaktion auf veränderte Lebensbedingungen vor dem Hintergrund des Wandels von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Ein Kennzeichen der Dienstleistungsgesellschaft ist, dass körperliche Arbeit in den Hintergrund rückt. Damit wird der vormalige Alltag zu etwas Besonderem. Und das, was man vormals als schwere Arbeit empfand, wird als Ausgleich zur Büroarbeit vor dem Bildschirm betrachtet. Dieser Umbruch begann in Deutschland am Ende der 60er-Jahre. 

DUMMY: Auf den grünen Wiesen und in den Städten schossen seitdem immer mehr der riesigen Bau- und Heimwerkermärkte aus dem Boden, rund 2.200 sind es heute. Inzwischen hat zwar mit der Praktiker-Pleite eine Marktbereinigung eingesetzt, doch der Trend zum Baumarktbesuch hält an. Was steckt hinter dieser Konjunktur? 
Szabo: Das hängt auch mit veränderten Sozial- und Familienstrukturen zusammen. Nicht nur die Dorfgemeinschaft verschwindet, auch Nachbarschaftshilfe ist nicht mehr selbstverständlich. Als urbaner Einzelkämpfer kann man nicht einfach jemanden um Hilfe fragen, sondern müsste einen Handwerker beauftragen. Da das sehr teuer ist, greift man selbst zum Werkzeug. Beim Heimwerken ist Geldersparnis die Verlockungsprämie. Selbstmachen ist billiger – zumindest wenn man die aufgewendete Zeit nicht mitrechnet. 

DUMMY: Ist das Basteln und Werkeln ein wichtiger Teil des Rückzugs ins Private in einer komplexen Welt, die man nicht mehr versteht? 
Szabo: Heimwerken und Basteln sind ganz eindeutig eine Reaktion auf die Entfremdung von der unmittelbaren Lebenswirklichkeit. Die Dinge des Alltags sind konfektionierte Waren, und das Gefühl, dass man etwas Eigenes hat, geht verloren. Man will sich alte Kompetenzen wieder aneignen. Allerdings trägt die Selbstmach-Welt auch schon wieder industrielle Züge. Zum Beispiel das Marmeladekochen oder Einkochen von Konserven nach „Landlust“-Rezept – da wird eine verloren geglaubte Authentizität inszeniert. Das symbolische Streben nach Autonomie kippt schnell um in eine Art postmodernes Biedermeier.

DUMMY: Gibt Heimwerken einem das gute Gefühl der Kontrolle, die Dinge im Griff zu haben? 
Szabo: Wissen zu wollen, was die Welt zusammenhält, ist eine menschliche Ursehnsucht, die jeder kennt, der seine TV-Fernbedienung ansieht und sich eingestehen muss, dass er zwei Drittel der Funktionen gar nicht kennt, geschweige denn bedienen kann. Vor diesem Hintergrund wird der Heimwerker zum quasi gottgleichen Weltenerschaffer, er hat ja jeden Bestandteil bewusst gewählt. Da Heimwerken oft am Wochenende stattfindet, verbessert der Heimwerker das Werk Gottes genau an dem Tag, an dem sogar Gott ruht.

DUMMY: Der schöpferische Akt ist also wichtig? 
Szabo: Eine bekannte Baumarktkette wirbt ja damit, dass man zum Schöpfer seiner eigenen Welt wird. Zu wissen, dass man etwas geleistet hat, löst Stolz aus. Man zeigt seine Projekte, oder man führt die seines Partners vor. Und die Bewunderung, die als soziale Konvention verlangt wird, ist die eigentliche Bezahlung der Tätigkeit. Die Omnipotenzfantasie geht so weit, dass man besser als ein Fachmann sein will. Was sogar möglich ist, da der Fachmann von einer anderen Prämisse geleitet wird. Dessen Arbeit muss nämlich vor allem ökonomisch sein. Er erreicht dies mit seiner Erfahrung und durch das Übergehen unnötiger Arbeitsschritte. Dies ist ein Wissen, das ein Heimwerker zu Anfang nicht hat. Stattdessen wird immens viel Zeit für Feinheiten aufgewendet, die niemand sieht, die aber für den Heimwerker existenziell sind, weil er ja darum weiß. Es ist ein Exzess der Zeit- und Ressourcenverschwendung.

DUMMY: Welche verschiedenen Heimwerker-Typen kann man unterscheiden? 
Szabo: Wir haben bislang nur von einem Typen des Heimwerkers gesprochen. Man könnte ihn den Idealisten nennen. Anfangs kenntnislos, durchdringt er sein Projekt vollkommen, ja er saugt beispielsweise sogar die Bohrlöcher aus, weil das vorteilhafter ist. Die Pervertierung des Idealisten ist der Planer. Der Planer bereitet sich akribisch vor, könnte ganze Anleitungen schreiben, setzt sein Projekt aber nie vollständig um. Ein anderes Extrem ist der Murkser. Er werkelt ohne Kenntnisse munter drauflos, wurstelt sich durch. Nicht wenige von ihnen sind die berüchtigten Kaputtreparierer, sie drehen Schrauben mit einem Löffel oder Messer, wenn die schnell zur Hand sind. Ist die Schraube dann kaputt, wird genagelt, und wenn das nicht hält, kommt Klebeband zum Einsatz. So reiht sich eine Katastrophe an die nächste, bis das Gesamtergebnis ein Mikado-Turm des Murkses ist. 

DUMMY: Der jüngste Trend zum DIY (Do it yourself) zielt auf die Vermarktung von Selbstgebautem im Internet. Was unterscheidet dieses DIY vom traditionellen Heimwerken? 
Szabo: Natürlich die Gewinnerzielungsabsicht, das eigene Label, die Wirtschaftslogik. Im Zentrum stehen allerdings Wunschfantasien, die teils anknüpfen an das traditionelle Heimwerken: Meine Häkelmütze, mein Holzregal, mein Käsekuchen sind so gut, dass alle sie wollen. Ich bin mein eigener Herr, muss nie wieder ins Büro. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Doch der Traum kann sich als tückisch erweisen, da man sich nun selbst ausbeutet und nicht mal mehr ein kapitales Feindbild hat. Und das einzige Banner, das man noch hochhalten kann, ist das Stoffschildchen mit dem eigenen Label, das man an die Häkelmütze näht.

Zur Person 
Der Freiburger Soziologe Sacha Szabo, Jahrgang 1969, beschäftigt sich mit Alltagsphänomenen. Dabei hat er sich mit so unterschiedlichen Themen wie Kirmes und Freizeitpark, Ballermann-Urlaub, Grillen und dem Playmobil-Spielzeug befasst. Er ist Herausgeber des Buchs „Artefakt: ‚Körper‘ – Skizzen zu einer Soziologie des Schmerzes. 10 Zugänge zu David Finchers Film ,Fight Club‘“.

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