Der Mann, von seiner Gangart her Typ Macher, läuft mit seiner Assistentin im Schlepptau durchs Großraumbüro in Richtung Glaskasten zum Interview. Er grau und um die 60, sie blond und um die 30, er vorneweg, sie hinterher. Kleiner Aufzug vor großer Kulisse. Die Fensterfront des Büros in bester Berliner Regierungsviertel-Lage könnte auch aus Flatscreens mit dem Hintergrundbild des CNN-Korrespondenten bestehen: Baumkronen, Brandenburger Tor, Reichstagskuppel.
Hier, in der Höhle der PR-Löwen, stellt sich im Prinzip schon beim Blick nach draußen die Echtheitsfrage. Welcher Teil der Wahrheit wird präsentiert, und welcher wird – noch interessanter – weggelassen? Schließlich ist das hier die Dependance einer der ältesten amerikanischen Agenturen für Public Relations. Hier sitzen die Spezialisten für „Perception Management“. Experten dafür, die öffentliche Meinung in jede gewünschte Richtung zu beeinflussen. Es ist davon auszugehen, dass Burson Marsteller für Unternehmen und zweifelhafte Regimes deren Vergehen zu Wohltaten umdeutet oder Gefahren runterspielt. Worum sonst soll es hier bitte gehen? Allerdings ist der Mann, der sich da nähert, ein PR-Urviech und weiß sicher der Kritik von Journalisten zu begegnen. Karl-Heinz Heuser, Chef von Burson Marsteller Deutschland, klopft an die Scheibe, betritt mit einem Gewinnerlächeln den Raum und antwortet, bevor man ihm die erste Frage überhaupt stellen kann: „Alles Glas hier. Da sehen Sie mal, wie transparent wir sind.“

Das kleine Einmaleins der Krisenkommunikation kann beginnen. Hier vom Chef persönlich und für die Agentur in eigener Sache. Es gilt, die Einstellungen von Journalisten zu kennen, ihre bösesten Fragen zu antizipieren und proaktiv zu kontern. Um es gleich mal im Branchenjargon zu sagen. Heuser wird nur zu gut wissen, dass der Name seiner Agentur in den einschlägigen Internetforen der Bürgerinitiativen und lobbykritischen Organisationen wie „Lobby Control“ und „Corporate Watch“ für die hässliche Fratze der PR steht. Das ist es, worauf man bei einer Schlagwortrecherche unweigerlich stößt. Einer wie Heuser wird schon vermuten, dass der Interviewleitfaden Züge einer Anklageschrift trägt. Was ja teilweise auch stimmt. Ein paar Stichworte:

- Burson Marsteller hat sich in den 70er Jahren von der argentinischen Militärjunta engagieren lassen, um deren Image aufzubessern.
- Burson Marsteller hat sich auch von dem rumänischen Despoten Nicolae Ceauşescu einspannen lassen. In den frühen 70er Jahren sollte Burson Marsteller den Handel und den Tourismus des Landes voranbringen.
- Der indonesischen Regierung hat Burson Marsteller geholfen, nach dem blutigen Einmarsch in Osttimor ihren ramponierten Ruf zu kitten.
- Burson Marsteller half dem amerikanischen Chemiemulti Union Carbide, nachdem dessen Produktionsanlage für Pestizide im indischen Bhopal explodiert war, sich als fürsorgliches Unternehmen zu präsentieren. Durch den Unfall kamen über 2.000 Menschen ums Leben.
- Burson Marsteller hat nach einem Störfall im AKW Three-Mile-Island in den USA das Image des Betreibers wieder aufpoliert.
- Burson Marsteller hat dem Mineralölkonzern Exxon durch die Krise geholfen, nachdem der Öltanker Exxon Valdez vor Alaska auf Grund gegangen war.
- Burson Marsteller stand an der Seite des Mineralölkonzerns Shell, nachdem nigerianische Umweltaktivisten hingerichtet worden waren, die gegen die Ölförderung im erdölreichen Nigerdelta protestiert hatten. Die Rolle von Shell bei den Prozessen ist bis heute umstritten.
- Burson Marsteller stand dem privaten Militärunternehmen Blackwater als Imageberater zur Seite, nachdem Söldner 17 irakische Zivilisten getötet hatten.
- Burson Marsteller hat im Auftrag einer Reihe von Pharma- und Lebensmittelkonzernen die Kampagne „EuropaBio“ gestartet, die im Gewand eines unabhängigen Aktionsbündnisses daherkam und Ängste vor den Gefahren der Gentechnik zerstreuen sollte.
- Nach demselben Schema hat Burson Marsteller in den 90er Jahren in den USA unter dem klimafreundlichen Kampagnentitel „GlobalClimateCoalition“ im Auftrag mehrerer US-Mineralölkonzerne den Klimawandel in Abrede gestellt.
- Burson Marsteller führte im Auftrag von Facebook eine verdeckte Medienkampagne gegen Google, indem Blogger negativ über die Sicherheitsbestimmungen von Google schrieben.
- Nachdem die Ukraine wegen der Inhaftierung und der Haftbedingungen der Oppositionsführerin Julia Timoschenko hart vom Westen kritisiert worden war, hat Burson Marsteller für den stellvertretenden Generalstaatsanwalt der Ukraine eine Pressekonferenz in Berlin organisiert.

Und immer so weiter. Wie sehen Sie das, Herr Heuser: Eine gewisse Vorliebe Ihrer Agentur für das Böse ist doch schwerlich abzustreiten. Kann Karl-Heinz Heuser so nicht sehen: „Ich sage immer, wir sind die Agentur für die schwierigen kommunikativen Aufgaben. Wenn der Küchenrollenhersteller neue Snoopy-Motive auf seine Papiertücher druckt und das bekannt geben will, ist das nicht unser Ding. Wir sind gefragt, wenn es um komplexe kommunikative Herausforderungen geht, die schwerwiegende politische und juristische Implikationen haben.“ Heuser spricht in der Wir-Form, streitet als Repräsentant der Agentur eine gewisse Verantwortung für die inkriminierten PR-Projekte scheinbar nicht ab. Das könnte er. Er selbst ist ja erst vor neun Jahren bei Burson Marsteller eingestiegen, und er ist auch nur Chef der deutschen Dependance eines Netzwerkes, das mehr als 136 Büros in 96 Ländern umfasst. Erst recht trifft ihn keine Schuld an den frühen Aufträgen der Agentur, die es schon seit Anfang der 50er Jahre gibt.

Die Zigarette als Fackel der Freiheit

Bevor der Journalist Harold Burson zusammen mit dem Werbegrafiker Bill Marsteller in New York die PR-Agentur Burson Marsteller gründete, hatte er als junger Nachrichtenkorrespondent für das American Forces Network von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen berichtet. Burson, der auch als heute 92-Jähriger noch jeden Tag in sein Büro an der Park Avenue South kommt, um an seinen Memoiren zu schreiben, ist unverkennbar ein Kind des Kalten Krieges. Das bestimmende Thema dieser Zeit war auch seins: dem Sowjet-Kommunismus Einhalt gebieten und Keile in seinen Machtbereich treiben. Doch tat Burson dies bald nicht mehr als Journalist, sondern als Public-Relations-Pionier in der neuen Boombranche Public Affairs – laut PR-Handbuch das strategische Management von Entscheidungsprozessen an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Oder im Geist der Zeit ausgedrückt: den good guys der Blockkonfrontation zu gutem Ansehen zu verhelfen.
Auch wenn die „Guten“ nicht immer Kinder von Traurigkeit waren, so wie die argentinischen Militärmachthaber, die aber nach der Logik des Kalten Kriegs der sowjetischen Einflusssphäre Einhalt geboten. Hinzu kam in den frühen Jahren eine gewisse Faszination, was sich mit guten Kampagnen alles bewegen ließ. Die PR-Leute der 50er Jahre tranken in ihren New Yorker Büros schon tagsüber Scotch und waren wie elektrisiert von ihrer Macht, Meinung zu machen. Stilprägend war Edward Bernays, ein anderer PR-Pionier, der bereits Ende der 20er Jahre unter dem Slogan „Fackeln der Freiheit“ eine Gruppe von Frauen zigarettenrauchend – was für Frauen in der Öffentlichkeit noch verboten war – durch die Straßen von Manhattan laufen ließ und damit beides voranbrachte: die Frauenrechte ebenso wie die Abverkäufe von Lucky Strike.
Politik, Wirtschaft und Freiheit, für PR-Leute vom Schlage Harold Bursons war das bald alles eins. Jeder Auftrag konnte eine Fackel der Freiheit sein. Und so standen Burson und Marsteller nicht nur Staaten mit Imageproblemen zu Diensten, sondern auch Unternehmen in der Krise. Die Archive sind voll mit Bildern, die Harold Burson an der Seite von Industriekapitänen und amerikanischen Präsidenten zeigen.

Anderes Jahrhundert auf der anderen Seite des Atlantiks. „Sicher haben wir Fehler gemacht in der Vergangenheit. Aber vieles wird auch falsch wiedergegeben“, sagt Deutschlandchef Heuser. Sein Lieblingsthema sei der Fall Ceauşescu. Da gebe es ein paar Dinge, die er vor Journalisten immer erst mal richtigstellen müsse: Ceauşescu habe zwei Leben gehabt. Bevor er sich zum Despoten entwickelte, stand Ceauşescu für die Öffnung des Ostblocks. Er war Hoffnungsträger für die dialogbereiten Kräfte im Westen und hat unter anderem, was viele nicht wissen, den Besuch von US-Präsident Nixon in China organisiert. Ceauşescu war für den Westen die Lücke im Eisernen Vorhang. Sonst hätte sich ein Harold Burson bestimmt nicht mit ihm eingelassen. „Zu dieser Zeit und nicht später war es, dass wir darum geworben haben, Rumänien als Mitglied in die Weltbank aufzunehmen“, sagt Heuser. Aber das historische Bewusstsein sei manchmal nicht sehr ausgeprägt bei den Kritikern.

Die Wahrheit in Scheibchen ist immer noch die Wahrheit

Karl-Heinz Heuser selbst hat, als er vor neun Jahren als neuer Geschäftsführer bei Burson Marsteller Deutschland einstieg, eine kleine Glasnost-Ära eingeläutet. Er spricht offen über die Altlasten der Agentur und lädt sogar Kritiker wie den Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff zu Diskussionsabenden ein. Man muss sich den unangenehmen Fragen ja sowieso stellen. Auch in Vorstellungsgesprächen fragen junge Bewerber, die sich vorher ein bisschen schlau gemacht haben, immer wieder einmal nach den Fehlern der Vergangenheit. In den Staub werfen vor irgendwem will sich Heuser gleichwohl nicht. Ihm geht es um die differenzierte Sicht der Dinge. „Keine Frage, manchen Auftrag hätten wir aus heutiger Sicht nicht annehmen sollen“, sagt er. „Indonesien ist so ein Fall. Müssen wir nicht drüber reden.“ Aber schon der viel kritisierte Fall Union Carbide nach der Bhopal-Katastrophe ist für ihn vielschichtiger. „Das war 1984 irgendwo in Indien“, sagt Heuser. „Wir haben dem Unternehmen nach dem Giftunfall überhaupt erst mal eine Kommunikationsinfrastruktur aufgebaut, damit die jeden Tag eine Pressekonferenz veranstalten konnten, die sogar per Satellit übertragen wurde.“ Bleibt die Frage, warum Union Carbide auf diesen Pressekonferenzen so gar nicht über die angeblich schon lange bekannten Sicherheitsmängel der Anlage sprechen wollte. Wo war in dem Moment die professionelle Kommunikationsberatung von Harold Burson, der ja in Interviews bis heute bekräftigt, die Agentur arbeite stets zu 100 Prozent transparent. Gerät man als Agentur – selbst wenn man sich noch so groß „Transparenz“ auf seine Fahnen schreibt – am Ende nicht doch immer in den Sog großer Unternehmen mit ihrer Tendenz, in Krisen vertuschen und schönfärben zu wollen?
Heuser: „Das habe ich in der Form eigentlich nie erlebt. Klar ist, eine Kommunikation wird von unterschiedlichen Interessen getrieben.“
Dem Interesse, einen kühl kalkulierenden Konzern wie ein fühlendes Wesen aussehen zu lassen?
Heuser: „Ganz im Gegenteil. Wir müssen die Unternehmen dazu anhalten, besonders rational zu sein. Ein wesentliches Interesse ist natürlich ein möglicher Schadenersatz. Da gibt es unmittelbar nach so einer Katastrophe erst einmal viel, was juristisch genau geklärt werden muss. Deshalb darf ein Unternehmen, zum Beispiel eine Airline nach einem Flugzeugabsturz, nicht sofort dem emotionalen Bedürfnis nachgeben und sagen ‚Es tut uns furchtbar leid‘. Denn das ist hinterher alles justiziabel.“
Man liefert also doch nur den gewünschten Teil der Wahrheit und vertuscht die Fehler?
Heuser: „Vom Grundsatz her ist es so, dass man irgendwann das volle Bild liefern muss. Langfristig, das wissen wir als erfahrene Kommunikatoren, kommt sowieso alles raus. Aber kurzfristig kann es aus juristischen Gründen angezeigt sein, etwas in Scheibchen zu erzählen. Aus heutiger Sicht kann man leicht den Vorwurf erheben, damals im Fall Union Carbide sei zu langsam kommuniziert worden.“
Zu langsam ist gut. Das Info-Scheibchen mit den bekannten Sicherheitsmängeln der Pestizid-Produktionsanlage wurde ja freiwillig gar nicht mehr rausgerückt.
Heuser: „Der Vorwurf ist sicher berechtigt. Allerdings sind wir als Agentur Kommunikationsexperten, wir sind keine Chemiker. Wir müssen bei solchen komplexen Themen darauf vertrauen, dass uns das Unternehmen alles Wichtige sagt und die nötige Transparenz an den Tag legt.“

Die ausgedünnten Redaktionen sind keine Gegner mehr

Es ist die Haltung, die man unter Branchenvertretern oft findet: Agenturen üben lediglich eine wichtige Funktion in der pluralistischen Gesellschaft aus, wo jeder das Recht hat, seine Meinung kundzutun. Auch Unternehmen. Wenn das betreute Unternehmen der Agentur nicht alles Wichtige verrät, was kann die Agentur dafür? Kritik an der Betreuung fragwürdiger Kunden wird als ähnlich abwegig abgetan wie die Anfeindungen, denen sich Strafverteidiger moralisch abgründiger Mandanten ausgesetzt sehen.
Im Frühjahr 2012 klopfte der stellvertretende ukrainische Generalstaatsanwalt an, und Burson Marsteller Deutschland organisierte für ihn in Berlin eine Pressekonferenz, auf der er zum Fall der inhaftierten Ex-Regierungschefin und heutigen Oppositionsführerin Julia Timoschenko Stellung nahm – beziehungsweise die offizielle Propaganda zum Besten gab. „Da saßen Journalisten von der ‚Zeit‘, vom ‚Spiegel‘ und vom ‚Focus‘“, sagt Heuser, „denen haben wir einfach eine Quelle gegeben. Was die schreiben, ist up to them. Sie können die Quelle ja auch kritisch beäugen.“ Agenturen einfach nur als Bereitsteller von Kommunikationsinfrastruktur, als Vermittler an der Grenze zwischen zwei Systemen und ihren verschiedenen Logiken? Ganz so neutral ist es nun auch wieder nicht. Gerade in der Krisenkommunikation sind PR-Leute immer auch Reparaturtrupps für Marken und ihre Images. So wie im Januar 2012, nachdem das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia im italienischen Hafen Giglio kenterte und sich die Reederei Costa Crociere wohl zu Recht um ihren Ruf als Kreuzfahrten-Anbieter sorgte. Die Reedereimanager wussten jedoch, wo sie in einem solchen Fall anzurufen hatten. „So ein auf der Seite liegendes Schiff ist natürlich ein starkes emotionales Symbol für den GAU“, erklärt Heuser. „Da mussten wir etwas dagegensetzen, um die Marke wieder positiv zu präsentieren. Man musste wieder über die sehr vielen Schiffe reden, die bei Costa alle gut laufen.“
Neutrales Bereitstellen von Quellen oder Aufpolieren ramponierter Marken? Um was es sich genau handelt, das müssen die Journalisten in jedem einzelnen Fall schon selbst rausfinden. Was sie schreiben, ist up to them.

Mag sich Agenturgründer Harold Burson auch in vielen Interviews zu 100-prozentiger Transparenz bekennen, das Verhältnis zwischen PR und Journalismus sah er doch immer sportlich und benutzte gerne die Torwart-Metapher: Auf der einen Seite die PR-Leute als Stürmer, die mit ihrer speziellen Version der Wahrheit aufs Tor schießen, auf der anderen Seite die Journalisten als Torhüter, die selbst aufpassen müssen, dass sie nicht alles durchgehen lassen. 2006 in einem Gespräch mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ beklagte sich der Public-Relations-Altmeister sogar, dass die Journalistentorhüter wegen des Ressourcenmangels ihrer Medienhäuser zusehends die Körperspannung verlieren. Auch Harold Burson kennt die Statistiken, wonach die Medien heute voll sind mit Inhalten von kommerziellen Zulieferern, die in ihrem Aussagegehalt mehr oder weniger unangetastet sind. Wenn aber das Spiel so leicht wird, vergeht einem PR-Haudegen wie Burson auf seine alten Tage noch glatt die Lust daran. Und sein deutscher Statthalter stimmt in das Klagelied ein. Wenn Redaktionen immer weniger Zeit und Geld hätten, dann werde es immer schwieriger, Journalisten auch mal komplexe Themen zu vermitteln, mit denen sie sich ein bisschen beschäftigen müssten.

Das Graswurzel-Axiom: PR-Berater sind ja auch nur Bürger

Nun ja, ein bisschen hinterlistiger ist der Stürmer auch geworden. An dieser Stelle muss man mal über die Grassroot-Methode reden, mit der US-Agenturen auf dem amerikanischen Markt schon lange arbeiten und die Burson Marsteller seit einigen Jahren auch in Europa ins Feld führt. Grassroot-Kampagnen sind einfach erklärt, aber nicht immer leicht zu erkennen: Unternehmen oder Zusammenschlüsse von Unternehmen benutzen die Darstellungsformen des Bürgerprotests, um ihre Botschaften publik zu machen. Sie veröffentlichen Petitionen, verteilen Flugblätter, spannen andere gesellschaftliche Gruppen für ihr Anliegen ein und veranstalten Demos. Nur dass hinter der scheinbar spontanen Basisbewegung auf „Graswurzel-Höhe“ keine unabhängigen Bürger stehen, die ihre Begehren artikulieren, sondern Geld und Konzerninteressen – sowie Burson Marsteller, die Agentur, die gegen Geld alles lenkt. Unter anderem muss dafür gesorgt werden, dass genug Mitarbeiter der betreffenden Unternehmen zur „Demo“ erscheinen. So eine Kampagne heißt dann beispielsweise „Ja zu FRA“ und soll im Auftrag der Unternehmen Fraport, Lufthansa und Condor ein Zeichen setzen, dass im Umfeld des Flughafens Frankfurt keineswegs alle gegen die neue Landebahn sind. Diejenigen die daran verdienen, sind natürlich dafür. Sie wohnen ja meist auch nicht in der Einflugschneise, weshalb sie auch kein Problem mit Fluglärm haben, der in der Region seit Jahren für echte Proteste sorgt.
Jetzt mal ehrlich, Herr Heuser, sind Sie wirklich der Meinung, für die Öffentlichkeit war es sofort zu erkennen, welche Unternehmen hinter „Ja zu FRA“ standen?
„Ich sage mal: Im Prinzip ja. Wenn wir mit Journalisten oder Politikern reden, dann weiß ja auch jeder, dass wir das in einem bestimmten Auftrag tun.“

Früher war es so: Unternehmen luden Journalisten zu Pressekonferenzen oder Gesprächen ein und publizierten Pressemitteilungen. Darüber stand groß ihr Name. Wer hier welche Botschaft unters Volk bringen wollte, war allen Beteiligten klar. Diese Klarheit der Absenderschaft ist es aber genau, was Grassroot-Kampagnen verwischen. Man muss schon genauer hinsehen, um zu erkennen, wer da was will. Auf den Transparenten während der Kundgebung auf dem Frankfurter Römer jedenfalls stand es nicht geschrieben. Da war nur zu lesen: „Initiative Ja zu FRA“. Und es schien, als hätten hier einige Bürger ihrer großen Sympathie für die neue Landebahn einfach mal Luft machen wollen. Mutbürger statt Wutbürger. Der Lokalreporter, immer unter Zeitdruck, macht daraus schnell mal eine Schlagzeile. Einem Journalistentorhüter, der sich den Aktionsbündnissen der neuen Art gegenübersieht, flutscht eben öfter mal ein Ball durch.

Erzählt Geschichten, statt Sachdebatten zu führen!

Undurchsichtig ist bei Grassroot aber nicht nur der Absender, nicht selten sind auch die Inhalte obskur. Es sei denn, sie kommen durch eine Kampagnenpanne so schonungslos ans Licht wie bei dem Auftrag, den Burson Marsteller Brüssel für eine Reihe von Pharma- und Lebensmittelkonzernen übernommen hat. Hinter dem Interessenverband „EuropaBio“ verbargen sich Unternehmen wie Bayer, Hoechst, Monsanto, Hoffmann-La Roche, Nestlé, Unilever und Danone, die alle ein Interesse daran hatten, die Skepsis der europäischen Bevölkerung gegenüber der Gentechnologie aufzuweichen. Doch Burson Marsteller setzte dabei nicht etwa auf Sachinformation und Argumente. Welch betörender Geist die Kampagne durchwehte, wurde sichtbar, als Greenpeace ein Strategiepapier in die Hände fiel, das offenkundig nur für den internen Gebrauch bestimmt war. „Stay off killing fields“, hieß es da, und mit den Minenfeldern können nur die Gefahren der Gentechnik für Umwelt und Gesundheit gemeint sein. Denn es folgten ein paar gute Tipps, wie man diese thematischen Tretminen umgeht: „Erzählt Geschichten, statt Sachdebatten zu führen, ... redet von Produkten statt von Technologien, ... von Wohltaten statt Profiten, ... verwendet Symbole statt Logik“. Das war schon nicht mehr das kleine Einmaleins der PR, sondern die höhere Mathematik des Perception Management: Unter dem Radar des kritischen Denkens bleiben und lieber Gefühle ansprechen.

Sind Agenturen, die auf diese Weise von Gefahren ablenken, womöglich selbst eine Gefahr für die Bevölkerung, weil sie den demokratischen Charakter der öffentlichen Meinung aushöhlen? Kann Karl-Heinz Heuser so nicht sehen: „Sie können hier jedes Projekt der letzten neun Jahre ansehen. Es wurde immer Ross und Reiter genannt. Ich kann auch nichts Verwerfliches daran finden, den Befürwortern der Landebahn zu einer Plattform zu verhelfen. Wenn man es transparent macht und nichts manipuliert.“
Ja, wenn. Gilt bei Burson Marsteller doch noch das alte Branchenmotto: Die beste PR ist die, die man nicht als solche erkennt?
„Andersherum“, sagt Heuser. „Heute ist im Grunde alles PR, alles ist interessengeleitet. Ich polarisiere jetzt mal: Wenn Sie heute noch die reine Information, den reinen Sachverhalt rausfiltern wollen, tun Sie sich unheimlich schwer.“ Während Heuser das sagt, fällt der Blick noch einmal auf die Aussicht, die man von hier oben hat und die an das Hintergrundbild des CNN-Korrespondenten in Berlin erinnert. Es ist dunkel geworden, das Brandenburger Tor und der Reichstag stehen inzwischen im Scheinwerferlicht.