Es ist ein eigentümlicher Freizeitspaß, den die Einwohner eines Dorfs in Mexiko für Besucher inszenieren: der illegale Übertritt in die USA. Wie der sich abspielt, wissen die meisten der Organisatoren aus eigener Erfahrung. So auch Juan , 32, der für die „Caminata nocturna“ (Nachtwanderung) in die Rolle eines US-Grenzbeamten schlüpft

Laufen bis zur Erschöpfung. Im Hintergrund Schüsse. Sich verstecken, auf dem Boden liegen. Durch Abwasserrohre kriechen. Das alles im Dunkeln ohne Taschenlampe. Zwischen Kakteen und im Geröll können Giftschlangen sein. Wer tut sich so etwas freiwillig an?
Die meisten Besucher sind jung, viele kommen aus Mexico City. Aber es waren auch schon Amerikaner, Kanadier, Franzosen und Argentinier bei uns. Sie wollen wissen, wie es ist, die Grenze in die USA als Illegaler zu überqueren. Es ist für sie ein Abenteuer.
Warum inszenieren Sie die Überquerung?
Eigentlich sind wir etwa 4000 Einwohner in El Alberto. Aber fast die Hälfte ist in die USA ausgewandert. Schon in der Schule träumen die meisten Kinder davon, irgendwann rüberzugehen. Erst seit es den Natur- und Freizeitpark gibt und die Touristen kommen, ändert sich das langsam. Denn jetzt gibt es Arbeit, zumindest für einige von uns.
Die Nachtwanderung ist eine ABM-Maßnahme?
Damit alle Dorfbewohner wieder hierherziehen können, müssen wir aber noch mehr Jobs schaffen. Wir wollen zeigen, wie hart es ist, die Grenze zu überqueren. Die Besucher haben keine Vorstellung davon, wie gefährlich die Überquerung ist. Und wie hart das Leben und die Maloche in den USA für Illegale sind. Ich selbst habe mir bei der Arbeit auf Baustellen den Rücken ruiniert. Die jungen Leute sollen lieber zur Schule gehen und studieren. Und wer illegal und ohne Ausbildung auswandert, hat keine Chance auf ein gutes Leben, auch nicht in den USA.
Ist die Landschaft im Parque Eco Alberto denn so ähnlich wie an der echten Grenze?
Ja, besonders der Teil der Strecke, der durch die Berge führt. Und anstelle des Río Bravo haben wir den Río Tula.
Es heißt, dass einige der Teilnehmer die Nachtwanderung als Training für eine Flucht nutzen.
Das ist Quatsch. In vier oder fünf Stunden können sie nur minimal nachempfinden, was es bedeutet, über die echte Grenze zu fliehen. Tagelang zu laufen. Nicht zu wissen, wohin. Nur ab und zu in einer Viehtränke Wasser zu finden. Wir warnen ganz klar vor einer Überquerung.
Sie schlüpfen für die Caminata nocturna in die Rolle eines US-Grenzbeamten. Gibt es ein Drehbuch?
Jede Nachtwanderung ist anders. Mir musste auch niemand erklären, wie ich mich als Border Patrol verhalten soll. Ich kenne ja alles aus eigener Erfahrung.
Sie haben die echte Grenze selbst als Illegaler überquert?
Ja, ich bin mit 14 Jahren ausgewandert, habe es beim zweiten Anlauf geschafft. Wir sind vier Tage gelaufen, durch die Wüste. Und mussten uns dann zu zehnt in ein Auto quetschen, wie Sardinen, sind fast erstickt. Damals wollten die Schlepper 1200 Dollar haben, heute ist die Überquerung noch gefährlicher und kostet mehr als 3000 Dollar.
Warum kamen Sie nach mehr als zehn Jahren nach Mexiko zurück?
Ich bin aufgeflogen, musste ins Gefängnis, weil ich keine gültigen Papiere hatte. Danach wurde ich abgeschoben und bin seitdem wieder in El Alberto, arbeite dort für ein Jahr ehrenamtlich im Park. Das ist bei uns Hñähñu – wir sind eine indigene Gemeinde – Tradition. Meine Freundin wurde auch als Illegale in den USA verhaftet. Sie kommt erst in sechs Monaten aus dem Gefängnis. Dann wollen wir zusammenziehen. Und ich möchte eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker machen.
Und bis dahin müssen Sie einen der verhassten Grenzbeamten spielen?
Die meisten Grenzer sind keine schlechten Menschen. Sie erfüllen ja nur ihre Pflicht. Das Problem sind die Entscheider in der Politik. Und die kriminellen Banden, die eine Grenzüberquerung noch gefährlicher machen.
Wie läuft so eine Nachtwanderung ab?
Zuerst versammeln wir alle Teilnehmer vor der Kirche, ein Schlepper gibt eine Einweisung. Danach geht es los, Fragen sind dann nicht mehr erlaubt. Denn die Simulation soll sich so echt wie möglich anfühlen. Die Flüchtlinge rennen und verstecken sich, der Schlepper führt sie an. Wir fahren hinterher, jagen sie, haben Suchscheinwerfer dabei und Böller. Kriminelle überfallen die Flüchtlinge. Und sie treffen auf Drogenbanden. Alles wie im richtigen Leben.
Und wenn jemand nicht mehr kann?
Wer es nicht packt, kann jederzeit aussteigen und sich abholen lassen. Aber das nehmen die Wenigsten in Anspruch.
Und wenn alles vorbei ist?
Sind unsere Gäste erschöpft, aber zufrieden. Die meisten kommen für zwei Tage und bleiben über Nacht. Sie mieten eine Hütte oder zelten. Am nächsten Tag können sie dann mit dem Schlauchboot durch den Grand Canyon fahren oder bei einer Canopy-Tour an einem Stahlseil über die Schlucht fliegen.

Reiseinformationen

Zielgruppe
Einigermaßen gut durchtrainierte, meist junge Leute, die keine Angst vor Schlangen und giftigen Spinnen haben.
Kleidung
Bequeme Laufschuhe, keine Signalfarben, warme Jacke.
Ausrüstung
Keine. Taschenlampen und Handys müssen die Teilnehmer vor der Tour abgeben.
Kosten
250 mexikanische Pesos, das sind rund 15 Euro.
Lage
Mehr als 1000 Kilometer von der echten Grenze entfernt, 168 Kilometer von Mexico City.
Anreise
Mit dem Bus von Mexico City bis Ixmiquilpan, von dort mit dem Taxi bis zum Parque Eco Alberto. Auf Wunsch Abholservice vom Busbahnhof.
Weitere Informationen
www.parqueecoalberto.com (auf „Caminata nocturna“ klicken)