Die Witze über sein enthaltsames Vorleben nimmt er so gelassen wie die Spekulationen über seine homosexuellen Präferenzen. Wenn nötig spielt er auch gern den Part von Hollands begehrtestem Junggesellen, um die nächsten Wahlen zu gewinnen. Aber wenn ernsthaft nach seinem Privatleben gefragt über seinen mangelnden sexuellen Appetit spekuliert wird, geht er an die Decke. Mark Rutte, der mächtigste Mann der Niederlande ist immer noch ein Rätsel.
Dabei ist das Reden über Privates in Holland auch für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens durchaus normal, und nichts macht einen Niederländer so stolz wie seine Toleranzfähigkeit, deren Grenzen aber manchmal merkwürdig verlaufen: Drogenabhängige? Prostituierte? Sodomisten? Kein Problem. Kopftuch tragende Musliminnen? Gerade nicht so. Das Sexualleben von Politikern? Auf jeden Fall!
Man denke nur an den ermordeten Pim Fortuyn, dessen öffentliches Räsonieren über den Geschmack von Sperma seiner kometenhaften Karriere als Rechtsaußen-Politiker nicht im Weg stand.
Laut Gerüchten in der Hauptstadt Den Haag (und zugegeben bin ich einer derjenigen, die diese Gerüchte verbreiten), heißt es, Rutte kein Sexualleben hat, weil er keins möchte. Das sagt der Parlamentskorrespondent einer großen niederländischen Tageszeitung, der anonym bleiben will. „Ich habe viel über Asexualität gelesen und laut Studien sind fünf Prozent aller Menschen davon betroffen. Sie haben einfach keine Lust und fühlen sich von keinem anderen Menschen sexuell angezogen. Einer von 200: Warum soll der eine nicht unser Premierminister sein? Ich glaube, dass er es ist. Dass er Sex einfach für eine schwitzige, unhyghienische Angelegeheit hält, deren Zauber sich ihm nicht erschließt.“
Asexualität ist so etwas wie die Insider-Theorie. Verbreiteter ist die, dass Rutte homosexuell ist und es seine ganze Karriere lang geheim gehalten hat. Das wäre allerdings sehr merkwürdig: Denn Holländer sehen im Outing von Persönlichkeiten stets eine willkommene Gelegenheit, ihre Toleranz unter Beweis zu stellen. Als Finanzminister Ja-Kees De Jager 2011 seine Beziehung zu einem Mann bekannt, gab es ein paar Lacher und das wars. In Ruttes Fall wäre das vielleicht ein bisschen anders. Viele vermuten, dass Rutte sein Outing nicht herauszögert, weil er Angst hat, die Menschen würden seine Homosexualität nicht akzeptieren – sondern, weil sie mittlerweile ziemlich sauer sind, dass er damit so lange hinter dem Berg hielt. Dass er sie so lange über etwas belogen hat, über das sich die meisten Niederländern sehr gefreut hätte. Weil sie wieder mal allen hätten zeigen können, wie tolerant sie sind.
Natürlich gibt es auch immer noch die Möglichkeit, dass Rutte heterosexuell ist und einfach nur durch seine Politikerkarriere zu abgelenkt für ein Privatleben. Das ist im Grunde mehr oder weniger die Geschichte, die Rutte seit Jahren verbreitet. Doch diese Version hat zwei Schwachpunkte: Wenn er denn auf Frauen steht – warum hat er sich dann in den vergangenen zehn Jahren mit keiner einzigen getroffen? Und zweitens: Wie langweilig ist das denn bitte?
Die Strategie, seine sexuelle Präferenz zu verleugnen, ohne stichhaltige Beweise für die Wahrheit zu liefern, funktioniert auf jeden Fall nicht. Das hat schon der Fall von Fiso gezeigt – dem Prinzen, nach dem in Eindhoven ein monatliches Schwulenfest benannt ist. Und das obwohl die königliche Familie schon vor zehn Jahren in einem kuriosen Statement bekanntgab, dass Fiso nicht homo-, sondern heterosexuell sei. Von dem Tag an bekam die Sache mehr Aufmerksamkeit als je zuvor.
Also blieb auch das Thema Rutte auf dem Tisch. Als die Wahlkampagne Anfang 2010 startete, fing es an, ihn zu beschädigen. Da war also plötzlich ein Mann, der das Land führen will, aber nicht mal die grundlegendsten Erfahrungen eines Lebens mitbringt: Eine Familie, eine längere Beziehung, nicht mal eine nette Affäre ab und an. Konnte es wirklich sein, dass der Mann eine 43-jährige Jungfrau war. Schnell ersannen die Strategen von Ruttes liberaler Partei VVD die Legende vom Most-wanted-bachelor, sie streuten Geschichten über sein abenteuerliches Privatleben und brachten ein uraltes Interview in Umlauf, in dem Rutte von seinem Faible für „starke, attraktive Karrierefrauen“ erzählte und ein paar Kandidatinnen aus dem Showbiz nannte.
Aber das Genörgel der neugierigen Holländer hielt an, selbst nach Ruttes Wahl zum Premierminister. Ausgerechnet ein Parteifreund empfahl, dass es dem Land gut täte, wenn Rutte mal ein „leckeres Weib“ (een lekker mokkel) mit in seine Höhle nehmen würde. Ein anderer VVD-Politiker jammerte öffentlich darüber, dass es in Holland keine Boulevardpresse gebe, die ihren Namen verdiene. Nie erscheinen Bilder, die Rutte mit irgendeiner verruchten Schlampe in einer Beachbar in Scheveningen zeigen.
In einem Interview mit einer Frauenzeitschrift erzählte Rutte von seiner Vorliebe, nackt durchs Haus zu spazieren, darüber, dass er immer noch ein Muttersöhnchen sei, und auch über seinen Mangel an Beziehungen. Und dann gestand er noch, wie gern er bisexuell wäre. „Weil dann die ganze Welt hinter Dir her ist!“
Irgendwie hat dieser Satz die Menschen in Holland glücklich gemacht.