Kack You

Über das Wesen des Arschkriechers

Von Arno Frank

Das Problem mit Arschkriechern besteht darin, dass sie so schlecht zu erkennen sind. Mein letzter Arschkriecher war von einer Körperlichkeit, die mit „ungeschlacht“ noch höflich umschrieben wäre. Er wirkte nicht wie einer dieser parfümierten und gewandten Speichellecker, wie man sie aus Stücken von Molière kennt. Er war nicht auf den ersten Blick als aasige Rosettenmilbe erkennbar. Nein, mein Arschkriecher wirkte schon als Praktikant auch seelisch robust, von kaum einem Selbstzweifel angekränkelt. In Sitzungen war er immer laut, nie lauernd. Und wenn er sich mal, was immer häufiger geschah, zu meiner Arbeit äußerte, dann schulterklopfend und in kumpelhaftem Ton, nie ölig oder linkisch. Als wir einmal – mehr schlecht als recht – gemeinsam an einem Projekt gearbeitet hatten, schwärmte er noch Monate später von dieser „legendären Geschichte“. 
Spätestens hier hätte ich misstrauisch werden müssen. Wurde ich aber nicht. Wahrscheinlich deshalb, weil mir seine Schmeicheleien ganz einfach: schmeichelten. Da geht’s schon los. Ich hatte das Lob nicht von der Schmeichelei unterscheiden können. Dass Schmeichelei das Lob derer ist, denen das Loben nicht zusteht. Vorsicht ist also immer (immer!) dann geboten, wenn mich jemand lobt, auf dessen Urteil ich nichts gebe. Dann ist Gefahr im Verzug. Der intelligente Arschkriecher weiß das und kennt zwei Methoden, jedes Misstrauen zu zerstreuen. 
Erstens kann er sein Lob mit so unwiderstehlicher Süße überzuckern, dass ich einfach nicht widerstehen kann, mir die Lippen lecken muss – daher der Satz vom „Honig ums Maul schmieren“. Die zweite Methode der Vertuschung der eigentlichen Absichten gehört schon zur hohen Kunst der Arschkriecherei. Man könnte es den „angetäuschten Tadel“ nennen. Adolph Freiherr Knigge hat dieser Methode in „Über den Umgang mit Menschen“ und dem Kapitel über „Schmeichler und zudringliche Leute“ mehrere Absätze gewidmet: „Der schlaue Schmeichler, der Deine schwache Seite studiert hat, wird, wenn er Dich für zu verständig hält, um nicht die gröbern Schlingen dieser Art für gefährlich zu erkennen, Dir nicht immer recht geben; er wird vielmehr Dich tadeln (…) Er wird an Deinen Schriften Fehler rügen, die Dir gleich beim ersten Anblicke unbedeutend erscheinen müssen, und ihm nur dazu dienen, diejenigen Stellen um desto unverschämter zu loben, von welchen er weiß, dass Du Dir etwas darauf zugut tust“. 
Allgemein rät Knigge, vor dem Arschkriecher zu „fliehen wie vor dem bösen Feind“, wobei er natürlich „Schmeichler“ schreibt, nicht „Arschkriecher“. 
Das ist, bei Licht betrachtet, ja auch ein reichlich unfeines Wort. Ich glaube, das Deutsche kennt kaum ein derberes Determinativkompositum. Umschreibungen wie „Schleimer“ oder „Bückling“ klingen zu milde, Varianten wie „Klabusterbeerenkegler“ oder „Poperzenkrauler“ zu verschraubt und drollig. Nein, ein Arschkriecher ist ein Arschkriecher. Ich behaupte, dass dieser eigentlich nicht gesellschaftsfähige Begriff vor allem deshalb doch gesellschaftsfähig ist, weil es in unserer Gesellschaft von Arschkriechern nur so wimmelt. 
Nur der Arschkriecher ist zudringlich genug, uns sozusagen mit vollem Körpereinsatz rektal zu penetrieren – und zwar unter strikter Ausklammerung homosexueller wie homophober Beibedeutungen, auch wenn der wachsame Angelsachse den Arschkriecher vorsichtshalber anweist: „Don’t fuck with me.“ 
Es hat seinen guten Grund, warum die Arschkriecher den von ihnen Befallenen so peinlich sind wie Klabusterbeeren (Hämorrhoiden) oder Sackratten (Filzläuse). Denn der Arschkriecher findet Zugang zu uns genau dort, wo wir selbst nicht ganz dicht sind. Er packt uns bei unserer Eitelkeit. Wie könnten wir jemanden schlecht finden, der uns selbst dort gut findet, wo wir nachweislich Mist machen? So einen lassen wir nah ran, so einen fördern wir vielleicht sogar. Und ehe wir uns versehen, ist er auch schon bis zu den Knöcheln in unserem Enddarm verschwunden, sodass nur noch seine Füße herausschauen; noch so eine treffende Umschreibung für Arschkriecher: Fußatmer. 
Aber was will er da? Warum kriecht er arschwärts? Warum trimmt sich einer auf seelische Geschmeidigkeit und charakterliche Wurmförmigkeit? Um die Peristaltik zu überlisten? Damit er’s schön tropisch feucht und warm hat? Nein, um unser Vertrauen zu erschleichen. Um uns genau dann in den Rücken zu fallen, wenn wir in seinen Augen schwach genug sind. Der Angriff erfolgt aus dem denkbar totesten Winkel, den wir unmöglich einsehen können, unserem Arsch eben, so wie Kampfflieger im Ersten Weltkrieg direkt aus der Sonne heraus angriffen. Schließlich kennt uns der Arschkriecher nicht nur aus-, sondern eben vor allem inwendig. 
Dieses plötzliche Zubeißen ist es übrigens, was ihn vom harmlosen Lobhudler unterscheidet – und so gefährlich macht. Der Arschkriecher selbst ist sich dabei weder seiner Kriecherei noch seines finalen Verrats wirklich bewusst. Er hält sich für ein vitales Exemplar seiner Branche. Für einen, der auf dem Laufenden ist und tapfer genug, Konsequenzen zu ziehen, wenn er merkt, dass er es mit einem Arschloch zu tun hat. Aus seiner Perspektive findet er sein Opfer einfach „wirklich total sympathisch und talentiert …“, bis es ihm eines Tages im Wege ist und die entscheidende Einschränkung getroffen wird: „… nur eben nicht als Chef“, da muss man doch etwas tun, da ist es nur redlich, sich aufzulehnen und, mit Kafka, in die Manege zu stürzen und „Halt!“ zu rufen.  
Der Arschkriecher kann also nichts dafür, dass er ein Arschkriecher ist. Er handelt, wie im animalischen Rudel seit Urzeiten gehandelt wurde und wird. An jungen Hunden lässt sich das beobachten, wenn sie sich auf den Rücken drehen und dem Überlegenen ihren verwundbaren Bauch darbieten, die Zähne dabei noch spielerisch gefletscht, aber eben: schon gefletscht. 

Mein Arschkriecher ist mit seinem Verrat gescheitert. An seinem Aufstieg hat das nichts geändert, da er einfach in den nächsten Arsch gekrochen ist. Arschkriecher, auch das habe ich gelernt, bleibt eben Arschkriecher. Inzwischen ist er selbst in leitender Position tätig. Möge sein Schließmuskel immer hübsch trainiert bleiben. Möge wenigstens er das rätselhafte Graffiti beherzigen, das schon seit Jahrzehnten über einer Toreinfahrt in der Altstadt von Marburg prangt und längst unter Denkmalschutz gestellt gehört: „Mein Bobbes bleibt Jungfrau.“

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