Ungehorsam

Der Ungehorsam hat weltweit Konjunktur, aber leider sind es nicht mehr nur die Menschen, die gegen autoritäre Regime protestieren, sondern die Autoritären selbst, die den Widerstand für sich reklamieren: Rechte Wutbürger und Rassisten pöbeln auf den Straßen gegen Ausländer, sie hetzen gegen Journalisten und Politiker, und sie pesten in den Amtsstuben. Dabei gehört zu dem sorgsam gepflegten Bild vom ungehorsamen Volk auch die Behauptung, dass man Opfer eines gutmenschelnden Gesinnungsterrors sei???ein Ausnahmezustand, den man sich regelmäßig in Shitstorms herbeifantasiert. Dieses Heft holt den Ungehorsam für jene zurück, die ihn verdienen und nicht missbrauchen, weil sie glauben, ein Recht auf Zustimmung zu haben.

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Inhalt

Im Land des Hechelns

Zu Besuch bei zwei schwulen Männern, von denen einer öfter so tut, als sei er ein Hund

Gib’s mir Leben / Ein junge türkische Frau hat die Faxen dicke

Der letzte macht den Verstärker aus / Ein alter Punk macht einfach weiter

Und dann kam Molli / Vom Molotowcocktail bis zur Flüstertüte: alles für den Straßenkampf

Schaut uns an / Frauen, die mit Säure überschüttet wurden und sich dennoch nicht einschüchtern lassen

Unterwegs mit den Leuten vom Ordnungsamt / Alle hassen sie, wir sind einfach mal mit ihnen mit

Geil, wir sind ja behindert! / Diese Band hat das High-Syndrom

Hunde, wollt ihr ewig warten / Diese Vierbeiner machen im Auto eine gute Figur

Der Sinn des Sterbens / Ein Mann lehnt sich im Sudan gegen das Regime auf – und stirbt dabei. Hat es sich gelohnt?

Zeiten des Ausbruchs / Statt der Psychiatrie wählte Tino das Fotostudio, um geheilt zu werden

Sie nannten es Fürsorge / In der Schweiz wurden Menschen als asozial deklariert – und dann weggesperrt

Mein Vater, der Folterer / In Argentinien wollen Kinder, dass ihre Eltern hinter Gitter bleiben

Die Furchtlose / Letizia Battaglia hat mit der Kamera die Mafia abgeschossen

Mitarbeiter dieses Hefts

Annika Loebel & Leon Lothschütz

Artdirection

Dass es Annika Loebel (28) und Leon Lothschütz (28) nicht so mit dem Gehorsam haben, fiel uns schon gleich zu Beginn der Zusammenarbeit auf. Obwohl in einem zwanglosen Beschnupperungsgespräch von den Old-Schoolern des DUMMY-Verlags die Bitte geäußert wurde, es beim Layout mit den konzeptionellen Fisimatenten nicht zu übertreiben, legten Annika und Leon wenig später ein paar ziemlich renitente Musterseiten vor. Letztlich erkannten die beiden aber dann in der antiautoritären Arbeitsatmosphäre in Berlin, dass die Rebellion zuweilen im bewussten Ignorieren des Zeitgeistes liegen kann, und überraschten uns mit einem aufgeklärten Layout, dessen Appell zum Schauen und Lesen man nur zu gern nachkommt.

Helena Manhartsberger

Fotografin

Die gebürtige Innsbruckerin beschäftigt sich in ihrer Arbeit vor allem mit den Frauen der Revolution, die in den letzten dreißig Jahren besonders unterdrückt wurden von der rigiden Gesetzgebung des islamisch-fundamentalistischen Regimes des Diktators Umar al-Baschir. Neben den Fotos in dieser DUMMY-Ausgabe arbeitete Helena deshalb gemeinsam mit fünf Sudanesinnen an einem Fotoprojekt, bei dem sie persönliche Erlebnisse aus der Revolution neu inszenierten. Es sind Bilder von selbstbewussten Frauen, die sich entschlossen haben, ihr eigenes Schicksal und das Schicksal ihres Landes selbst in die Hand zu nehmen – und das Fremdbild der sprachlosen, traumatisierten Opfer zu zerschlagen.

Ceylan Yildirim

Autorin und Fotografin

Die 26-jährige Ceylan Yildirim, die für uns ihre sehr persönliche Geschichte unter diesem Pseudonym aufgeschrieben hat, hielt es vor drei Jahren nicht mehr aus. Sie wollte ihren Traum von sexueller Freiheit und Selbstbestimmung leben. Von heute auf morgen verließ sie ihre strenggläubige türkische Familie – ohne Ankündigung, nur mit einem Abschiedsbrief im Briefkasten. Da sie wusste, was das für eine türkische Frau bedeuten kann, musste sie untertauchen. Nach einem Jahr ohne jeglichen Kontakt ging sie den nächsten mutigen Schritt und suchte das Gespräch mit ihrer Familie. „Bis heute ist das Reden verdammt schwer. Echtes Verständnis können meine Eltern immer noch nicht für mich aufbringen“, sagt Ceylan heute.