Titman

Unser Autor hat Männerbrüste, und das findet er nicht so prall

Von Frank Breitenbach

Zuerst dachte ich, Mann, du bist einfach zu fett. Und das war ich auch. Also handelte ich. Trainierte ein halbes Jahr ganz gezielt: Liegestütze, Gewichte stemmen, Ausdauer. Stellte meine komplette Ernährung um, weniger Kohlenhydrate, mehr Gemüse. Am Ende hatte ich 25 Kilo abgenommen. Das geht, wenn man sich ein Ziel setzt. Als ich es erreicht hatte, war ich physisch fitter als jemals zuvor in meinem Leben. Und fühlte mich zugleich beschissener als jemals zuvor. Weil das Problem einfach nicht verschwinden wollte. Weil es offenbar nicht in meiner Macht steht, etwas dagegen zu unternehmen.


Ich bin ein Mann und bin’s gern. An Frauen mag ich Brüste, wie meine meisten heterosexuellen Geschlechtsgenossen. Ich habe da keinen Fetisch oder so. Würde es aber jemand ganz genau wissen wollen, würde ich zugeben, dass ich besonders kleine Brüste mag. Sie müssen nicht einmal „pointy“ sein, wie die Amerikaner das nennen. Sie dürfen ruhig ein wenig „saggy“ sein. Das Problem ist nur, dass ich diese Brüste täglich sehe. Im Badezimmerspiegel. Ich leide unter Gynäkomastie. Ich leide wirklich.


Gynäkomastie ist der Fachbegriff für eine Vermehrung des männlichen Drüsengewebes an der Brust, begleitet von den üblichen Fettablagerungen. Das kann viele Gründe haben, darunter so gruselige wie Hodentumor, Leberzirrhose oder Schilddrüsenprobleme. Sachen eben, die die Bildung männlicher Hormone behindern. Aber auch eher selbst verschuldete Gründe, zum Beispiel übermäßiger Konsum von Cannabis oder Weißbier – weil die Pflanzen gewisse Substanzen enthalten, die baugleich mit Östrogen sind, dem weiblichen Geschlechtshormon. Nichts dergleichen traf auf mich zu, was mich ebenso beruhigte wie frustrierte: „Das kann vorkommen“, sagte mein Arzt, während er seine Gummihandschuhe überstreifte, um mich vorsichtshalber nach Knoten in der Brust abzutasten: „Dann ist das bei Ihnen einfach so.“


Wenn ich in den Spiegel sehe und mich zur Seite drehe, stehen meine Brüste nach vorn ab. Schaue ich frontal, sehe ich vereinzelte Haare dazwischen wachsen. An dieser Stelle kann ich in geeignetem Licht auch schon feine vertikale Falten entdecken. Meine Freundin sagt, das sei nicht so schlimm, ihr mache das nichts aus. Unser Sex ist dann okay, wenn ich meine Behinderung für ein paar Momente vergessen kann. Jawohl, Behinderung. Als was sollte ich sekundäre weibliche Geschlechtsorgane an einem Männerkörper sonst bezeichnen? Als interessant? Sorry, aber vielleicht bin ich nicht kreativ genug, um mich beim Sex an meiner Deformation auch noch zu erfreuen. Weshalb ich mein T-Shirt nur zum Duschen ausziehe. 


Schon als Jugendlicher lief ich meistens mit gekreuzten oder vor der Brust verschränkten Armen durchs Schwimmbad, als wäre mir kalt. Auch wenn ich die Arme ganz weit ausbreite, ist von den Brüsten kaum mehr etwas zu erkennen. Ich weiß noch, wie meine Hautärztin mal im wahrsten Sinne vor mir zurückprallte. Titten wie meine hatte sie vielleicht bei einem Adipösen erwartet, aber nicht bei einem Kerl wie mir. Einmal zeigten im Freibad zwei 13-jährige Mädchen auf mich und kicherten; da kam ihnen wohl etwas bekannt vor. Das war vor 15 Jahren, seitdem gehe ich überhaupt nicht mehr schwimmen. Wenn alle sich die Kleider vom Leib reißen und in die Brandung stürzen, bin ich derjenige, der mit T-Shirt am Strand sitzen bleibt.


Selbst zu Hause ziehe ich bei größter Hitze das Hemd nicht aus. Es reicht schon, wenn ich in einem hart gefederten Auto oder auf dem Fahrrad sitze und spüre, wie es unter dem Stoff wippt, dass mich Verzweiflung überkommt. Beim Joggen halte ich die Hände ganz eng oben am Leib. Und der Typ für besonders herzliche Umarmungen bin ich auch nicht. Pullover gehen gar nicht. Enge Hemden vermeide ich auch, weil dann die oberen Knöpfe spannen. T-Shirts sollten weit genug sein, dann geht’s. Aber keine dunklen Farben, weil man darauf die halbmondförmigen Schweißflecken so gut sieht, die sich in der Falte unter den Brüsten bilden können. Gute Erfahrungen habe ich mit Westen gemacht. Dann sieht es einfach aus, als hätte ich einen mächtigen Oberkörper.


Ein netter Kollege hatte mich mal anerkennend gefragt: „Wie machst du das eigentlich, dass du so eine muskulöse Brust hast?“ Beinahe hätte ich geantwortet: „Gute Tarnung!“, aber das macht man nicht. Ein Männerproblem ist deshalb ein Männerproblem, weil man darüber nicht mit anderen Männern sprechen kann. Bestenfalls sehen sie darüber hinweg. Gerade gute Bekannte aber neigen zu robusten Bemerkungen. Auf einer Party, ich trug T-Shirt und Jackett, flüsterte mir mein bester Freund ins Ohr: „Nice tits!“ Und als ich mal meinen Schwager, einen Physiotherapeuten, nach einer Lösung für mein Problem fragte, sagte der nur: „Abschneiden!“ Mein Siebenjähriger fragte mich neulich in der Badewanne: „Papa, warum hast du einen Busen?“


Geschlecht ist eine soziale Rolle, das habe ich schon verstanden. Eine Rolle als Mann in einem Männerkörper wäre ein Traum. Denn ich mag kein Freak sein. Ich meine: Die meisten Lesben in meinem Bekanntenkreis sind zufrieden mit sich – mit ihren festen Meinungen, Allwetterjacken und kurzen Haaren. Es hat sich viel getan. Wer lässt sich denn heute noch von einem Schrank von Mann irritieren, der sich gern in Fummel und High Heels zwängt? Eben. Aber wehe, ich ziehe an einem heißen Tag im Park das Hemd aus! Schlimmer als die offene Verachtung in den Gesichtern ist nur das Mitleid. Ich bin kein armer Kerl. Ich sehe nur so aus.


Mit Medikamenten allein kann man nichts machen. Blockiere ich chemisch die Östrogenbildung, hilft das nur vorübergehend. Führe ich extern Testosteron zu, wandelt mein Körper den Überschuss in noch mehr Östrogene um. Bravo! Es gibt Leute, die sich „im falschen Körper gefangen“ fühlen und schreckliche Operationen über sich ergehen lassen, um das zu ändern. Dazu gehöre ich nicht. Ich kann es nachvollziehen, aber nur halbwegs, nicht ganz. Die Gender-Debatte geht mich nichts an, sie hilft mir auch nicht. Ich bin ein Mann, der im Körper eines Mannes ganz zufrieden wäre – würde dieser Körper nur keine Dummheiten machen.


Ich höre, Geschlechtsumwandlungen werden von der Krankenkasse bezahlt. Zwar muss der Umwandlungswillige zuvor einen endlosen Staffellauf absolvieren, Gutachten von Ärzten und Psychologen einholen – aber dann wird es bezahlt. Herrgott, sogar extrem Adipösen wird eine chirurgische Verkleinerung des Magens bezahlt.


Ich hingegen muss 3.000 Euro hinlegen, um mir die Drüsen und das überschüssige Gewebe entfernen zu lassen. 3.000 Euro für einen kleinen Schnitt am Rand des Brustwarzenhofs, durch den dann der ganze Mist abgesaugt wird. Besser, ich zahle 5.000, wenn ich danach nicht wie ein Kriegsversehrter aussehen möchte. Dabei könnte ich locker auch einen „klinisch relevanten Leidensdruck“ geltend machen, sofern darunter ein konstanter Selbstekel und ernsthafte Selbstmordgedanken fallen. Doch das Internet bietet mir eine schnellere Lösung: Für nur 39,95 Euro bekomme ich dort einen richtig schönen Männer-Büstenhalter.

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