„Eine tätowierte Mutter macht das Jungsein nicht leichter“

Gespräch mit einer ziemlich pessimistischen Soziologin (aus DUMMY Jugend)

von Sebastian Ott

Hallo Frau Behnken. Hören Sie auch den Fiepton? 
Nein.

Sehen Sie, das ist das Moskito. Ein Gerät, mit dem man Jugendliche vertreiben kann – mit einem Fiepton, den nur Sie hören können. 
Oh ja, das kenn ich. Das wird in der Schweiz, aber auch hier angewendet. Da werden die Jugendlichen mit einem Hochfrequenzton vertrieben, den man sonst bei Mardern (sic!) einsetzt.

Heißt das, wir behandeln unsere Kinder wie lästige Nagetiere? 
Naja, wir machen die Räume für sie enger und vertreiben sie aus der Öffentlichkeit. Schauen Sie sich doch mal die Innenstädte an. Da finden Sie kaum noch Jugendliche oder Angebote für sie. Wie die Jugendzentren früher. Die sind komplett durchkommerzialisiert, weil das mehr Geld bringt. Und wenn sich die Jugendlichen dann vor so einer Einkaufshalle treffen, werden sie vertrieben.

Wie die Emos auf dem Alexanderplatz in Berlin. Da kommt sogar die Polizei, dabei laufen die eh schon so traurig rum. 
Das gibt‘s nicht nur in Berlin, hier in Siegen ist das genauso. Wenn sich die Jugendlichen abends treffen, kommt ganz schnell die Polizei. 

Weil sich die Jugendlichen doch eh nur ins Koma saufen oder die Pornos aus dem Internet nachspielen wollen. Das kann man doch in der Bild-Zeitung lesen. 
Ja, das ist dieser Etikettierungswahnsinn. Dass es also für alles sofort einen Begriff gibt, ein Schlagwort. Früher wurde auch schon getrunken, aber heute heißt es gleich „Komasaufen“. geht es nur noch um Schlagworte. Oder auch die Mär von der gewaltbereiten Jugend. Da werden ganz viele Delikte einfach unter Gewalt subsumiert, dabei hat die Jugendgewalt nicht zugenommen. Da sorgen Zeitungen wie die Bild für ein völlig schiefes Bild. 1968 gab es ja auch eine Stimmungsmache gegen die Jugend, das ist jetzt fast wieder so schlimm.

Die Titelgeschichten im Spiegel sind auch nicht gerade trennschärfer. 
Ja, da hab ich eine richtige Sammlung von. Generation sonst was oder: Die verwöhnten Kleinen.

Da ist ja was dran. Wenn man sich die Eltern von heute anschaut, macht es schon den Eindruck, als würden die Kinder überbehütet. 
Ja, das ist ganz schlimm. So wie das Verhalten ständig pathologisiert wird, so ist schon das Kindsein an sich etwas Ungewöhnliches geworden. Ständig sind die Eltern um ihre Kindern herum. Dass Kinder unter sich sind, auf der Straße und spielen, ist schon selten geworden.

Die Eltern werden ja auch immer älter. In Prenzlauer Berg sitzen ganz viele Grauhaarige auf dem Spielplatz, die aber dennoch sehr berufsjugendlich sind, mit iPod und Flip-Flop. 
Ja, da lösen sich die Sphären auf. Das macht es den Jugendlichen noch schwerer, ihre Identität zu finden, wenn die Mütter aussehen wollen wie ihre Töchter – von den Vätern ganz zu schweigen. Aber eine tätowierte Mutter macht das Jungsein nicht leichter.

Eigentlich müssten die Teenager Krawatte tragen. 
Tatsächlich sehnen die sich ja nach einer heilen, ordentlichen Welt. Wo alles um sie herum keine Kontinuität verspricht. Viele Beziehungen lösen sich auf , das Klima erwärmt sich. Vor diesem Hintergrund haben es die Jugendlichen schwer, eine verlässliche Biografie aufzubauen.

Außerdem stehen die Kinder heute unter einem viel größeren Leistungsdruck. Das Abitur nach der zwölften Klasse heißt ja auch, dass kaum noch Zeit für andere Dinge bleibt. 
Auch dadurch haben Jugendliche weniger Raum. Sie merken ja auch, dass die Erwachsenen ständig über Sicherheit sprechen, nie über das Glück der Kinder. Da geht es sehr früh nur darum, dass man die richtige Schule erwischt, auf der man dann zielstrebig zum Abitur durchmarschiert. 

Sie haben eine Ihrer Studien mit „Null Zoff, voll busy“ überschrieben. Wie ist das gemeint? 
Dass die Jugendlichen viel zu beschäftigt sind, um noch rebellieren zu können wie frühere Generationen. Wissen Sie, was die angesehensten Berufe unter Jugendlichen sind?

Gamehowmoderator, Spielentwickler und DJ? 
Nein. Polizisten und Ärzte. Weil die Verlässlichkeit ausstrahlen. Wenn der Arzt sagt, dass man Neurodermitis hat, dann hat man Neurodermitis.

Wie kommt es denn zu dem Widerspruch? Dass die Erwachsenen auf der einen Seite die Jugendlichen aus dem öffentlichen Raum vertreiben und auf der anderen Seite ihr ganzes Leben jugendlich bleiben wollen? 
Das ist kein Widerspruch. Es geht da um den Unterschied zwischen Jugendlichkeit als Wert und dem Jugendlichsein. Da es aber so viele Erwachsene gibt, werden den Jugendlichen deren Werte aufgedrückt: Sauberkeit, Ruhe und Ordnung.

Hört sich an wie in den Fünfzigerjahren, als die Alten auf die Gammler geschimpft haben. 
Es ist auch fast wieder so schlimm. Sie müssen nur mal den Menschen auf der Straße zuhören, wie die auf die Jungen schimpfen. Gleichzeitig muss man seit den Siebzigerjahren eine gewisse Pädagogisierung feststellen – dass also die Jugend gegängelt wird von dieser Übermacht von Erwachsenen. Man muss sich ja vor Augen halten, dass zur Jahrhundertwende ein Kind auf einen Erwachsenen kam. Heute sind es vier Erwachsene auf ein Kind.

Kein Wunder also, dass die Jugendlichen ins Internet folgen – in soziale Netzwerke … 
Ja, da können ihnen die Erwachsenen am wenigsten folgen. Wir müssen Jugendlichen in der medialen Öffentlichkeit mehr Gehör verschaffen, damit dort nicht nur die schrillen Töne vorkommen und die extremen Ansichten. Wir haben gerade ein Projekt mit Hiphoppern gemacht und da merkt man, dass die Fäkalsprache von Bushido eher die Ausnahme ist. Aber so was prägt gerade die öffentliche Meinung.

So wie die wenigen Jugendlichen, die in Schullandheimen andere vergewaltigen. 
Klar, das Thema Sex und Jugendliche ist immer ein Aufmacher. In Wirklichkeit aber sehnen sich die Kinder vor allem nach Liebe. Auch wenn der Druck zugenommen hat, dass man sehr früh Bescheid wissen muss. In den sozial schwächeren Milieus ist es sogar sehr verbreitet, möglichst früh Mutter zu werden. Weil ein Kind Sicherheit verheißt.

Auf der einen Seite gibt es die Überbehütung von Kindern, auf der anderen Seite die Grenzüberschreitungen – wie etwa bei den ganzen Missbrauchsfällen. 
Missbrauch gab es immer. Das Schlimme ist, dass es kein natürliches Verhältnis mehr zu den Kindern gibt. Ich erlebe Väter, die schon Angst haben, als pädophil zu gelten, wenn sie ihr Kind mal in den Arm nehmen. Wir müssen dringend zu einer gewissen Normalität zurückfinden.

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