Mit dem Cop durch die Wand

Wenn ein Polizist einen Autodieb in Brandenburg erschießt und seine Kollegen behaupten, nichts gesehen und gehört zu haben – ist das Cop-Culture? Oder wenn ein Polizist einen Demonstranten, der schon am Boden liegt, gegen den Kopf tritt? Oder ein gemischtgeschlechtlicher Streifenwagen in den Feldweg abbiegt? Alles Fragen, die Rafael Behr, Ex-Cop und Soziologe, beantworten kann.

Interview: Oliver Geyer


DUMMY: Das letzte Stück zum Eingang der Polizeihochschule sind Sie vorhin mit Ihrem Fahrrad über den Gehweg gefahren. Noch dazu mit Kopfhörern und lauter Musik. Sind Sie mit einer mündlichen Verwarnung einverstanden?

Rafael Behr: Ist doch nichts dabei. 

War ja auch noch freundlich von mir. Ich selbst hab mich als Fahrradfahrer in letzter Zeit oft über Polizisten geärgert, die einen für sowas ziemlich ruppig maßregeln. Darf man Ihr Buch „Cop Culture“ als Bestätigung dafür verstehen, dass der deutsche Durchschnittspolizist ein knallharter Cop ist?

Nein, der Durchschnittspolizist ist das sicher nicht. Ich kann aber zumindest bestätigen, dass es jenseits der Polizeiführung, der offiziellen Polizeikultur und ihrem Leitbild vom Freund und Helfer, unter den Beamten auf der Straße eine Subkultur gibt, in der bestimmte Formen von aggressionsbereiter Männlichkeit gepflegt werden. Diese Cop Culture beginnt, wo gesagt wird, vergiss erstmal alles, was Du auf der Polizeischule gelernt hast, wir müssen das hier anders machen. Im Fach Strafprozessrecht wird zwar vermittelt, was man als Polizeibeamter alles nicht darf, aber mit dieser negativen Vorbereitung können die in der Praxis gar nichts machen. 

Und dazu gehört, Fahrradfahrer anzuschnauzen? 
Jedenfalls kriegen die aus der Cop Culture noch mal andere Hinweise, wie Polizeidienst funktioniert. Eine street smartness, wie man auch improvisiert. Wenn die ihr erstes Auto aufmachen und durchsuchen sollen, dann stellt sich eben die Frage: ‚Nach welcher Rechtsgrundlage machen wir das? Es gibt Umstände, da muss man sich etwas einfallen lassen.’ Da können einem die Ministerial- und Sachbearbeiter nicht immer weiterhelfen. 

Und warum wird man darauf nicht ordentlich auf der Polizeischule vorbereitet? 
Man kann sich auf bestimmte Dinge nicht vorbereiten. Das ist wie in der Chirurgie, irgendwann muss man eben mal anfangen zu operieren. Und zwar am lebenden Objekt. Am Anfang trainiert man das mit Dummys und Plastikmunition. Aber dann kommt der Ernstfall. Cop Culture ist auch das Bewusstsein, einer Gefahrengemeinschaft anzugehören. Die Polizisten, die wirklich rausgehen wissen, dass sie in Situationen kommen können, die sie sie richtig überfordern. Wo sie zum Beispiel die Schusswaffe gebrauchen müssen. Da braucht es eine Gemeinschaft, deren Solidarität man sich sicher sein kann. Deshalb kommt es auch dazu, dass sich Polizisten gegenseitig decken. 

Verbuchen Sie es auch unter polizeitypische Intimität wenn ein Polizist in Schönfließ in Brandenburg einen Autodieb erschießt und seine Kollegen dann sagen, sie hätten nichts gehört und nichts gesehen? 
Ich kann den Fall Schönfließ nicht umfassend bewerten, dazu bräuchte ich zum Beispiel die Informationen der Gerichtsgutachter. Aber nachdem der Fall bekannt war, hatte man schon den Eindruck, dass die Kollegen des Schützen ihren professionellen Status aufgeben – etwa, wenn sie sagen: ‚Ich habe nichts gehört, es war Silvester und es waren so viele Böller um uns herum’. Die sind ja schließlich ausgebildet im Hören und Erkennen! Aber wenn ein Kollege belastet wird, herrscht schon mal eine gewisse Solidarität vor, zu der einige dann auch Korpsgeist sagen. 

Und dieser Übergriff am Rande der Mai-Demonstrationen in Berlin, wo ein Polizist einen am Boden liegenden Demonstranten gegen den Kopf getreten hat – war das auch ein Fall von Cop Culture? 
Nachdem ich mir die Szene jetzt viele Male angesehen habe, vermute ich, dass es eine Übersprungshandlung war. Sie müssen sehen: Wenn sie eine geschlossene Einheit auf eine Demonstration schicken, dann sind in der ersten Stunde alle noch gut drauf und diszipliniert. Dann müssen die Ersten aufs Klo und kriegen Hunger. Nach dreizehn Stunden sieht alles noch mal ganz anders aus. Wenn ich mich an meine Zeit als Polizist in den 70er-Jahren erinnere, kann ich mich da gut rein versetzen. Es gibt Situationen, da weiß man unmittelbar danach, das hättest Du nicht tun dürfen.

Was haben Sie sich in Ihrer Zeit als junger Street Cop denn so zuschulden kommen lassen? 
Einmal, ich glaube das war 1977, sollten wir eine Demonstration in Kalkar auflösen. Ich war ganz junger Schutzmann in der Bereitschaftspolizei und wir sind per Hubschrauber an den Einsatzort geflogen worden. Wichtig, wichtig und viel Action. Unser Einheitsführer hat dann gleich den Befehl gegeben, die Leute abzudrängen, wir haben aber „auflösen“ verstanden. Und da hat der erste Kollege mit seinem Schlagstock auf die Demonstranten eingeschlagen. Und dann alle. Ich habe auch mitgemacht und weiß noch, dass ich mit meinem Gummiknüppel jemanden am Rücken getroffen habe. Ich hatte gleich danach ein total schlechtes Gewissen, weil der mich gar nicht angegriffen hat, sondern nur weglaufen wollte. Ich habe nicht nach den Rechtsgrundlagen gefragt, sondern danach, was die Kollegen machten. Ich dachte nur, wenn die das machen, dann kann das nicht verkehrt sein. Ich wollte das anschließend melden als Schlagstockeinsatz, aber das hat keinen interessiert. War wohl auch nicht so heftig. Man kann von Glück reden, dass ich als der Heißsporn, der ich damals war, keine irreversiblen Schäden angerichtet habe. 

Aber wann kippt das Heißsporn-Verhalten um in echte Entgleisungen, z.B. gewalttätige Ausschreitungen gegen Festgenommene? 
Also grundsätzlich stellen wir ja keine Rambos ein. Jemand, der im ersten Auswahlverfahren schreit ‚ich möchte das Verbrechen ausrotten, gebt mir eine Kanone“, ist zu 90 Prozent draußen. Allerdings ist es so: Wenn man statusniedrige junge Männer sich selbst überlässt, dann gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Sache in die Hose geht. Dann kann es sogar zu Übergriffen kommen wie der in Frankfurt am Main, wo zwei Polizisten einer Bereitschaftspolizeieinheit einem Ausländer eine Pistole in den Mund geschoben haben, um ihn zu einem Geständnis zu bringen. Ohne starke Führung bekommen Sie solche fehlgeleitete Idealisten, die ähnlich wie Dirty Harry in den Filmen die richtigen Sachen mit den falschen Mitteln durchsetzen wollen. Die Polizisten von der Frankfurter Bereitschaftspolizei sind ja auch so rumgelaufen wie Rambo und haben nur solche Filme gekuckt. Und das wurde nicht korrigiert. Allerdings habe ich im Laufe meiner Forschungen auch viele vorbildliche Einheiten kennen gelernt, wo es eine gute Kommunikation zwischen den Polizisten und den Vorgesetzten gab. Und wo mit Argusaugen darauf geachtet wurde, dass sich da keine Rituale und Symbole entwickeln, die nicht mehr zur offiziellen Polizeilinie passen.

Aber die Polizei braucht doch ein paar Kettenhunde, die im Ernstfall durchgreifen können. 
Ja, die Polizei braucht auch aggressionsbereite Menschen. Doch wenn Sie die offiziellen polizeilichen Leitbilder anschauen, dann kommt das Wort ‚Gewalt’ da kaum oder nur gut abgepuffert drin vor. Die Polizeikultur verkauft Polizei als Dienstleistungsorganisation, während die Polizisten auf der Straße wissen, dass das zynisch ist. Die Street Cops sagen: Wir müssen hier die gesellschaftliche Drecksarbeit machen. 

Müsste die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei da offener mit umgehen? 
Man könnte schon mehr reflektieren, dass es eben Männer und neuerdings auch Frauen fürs Grobe geben muss. In Wirklichkeit ist es ja so, dass die demonstrativen Großereignisse der letzten 20 Jahre, also Castor-Transporte, Chaos-Tage, 1. Mai, diese Krawall-Geschichten prägend waren für das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit – und auch für das Selbstbild der Polizei. Darum sage ich auch ganz klar: Die Polizei ist keine Bürgerpolizei, oder besser: Sie ist es nicht nur. Sie hat jederzeit auch die Apparatur, die Technik, die Logistik und die Organisationsstärke um quasi wieder militärisch aufzumarschieren. Es gibt natürlich eine polizeiliche Logik, die sich auf den Alltag bezieht, wo Polizei diese Frieden stiftende Funktion hat. Es gibt aber gleichzeitig eine polizeiliche Logik, die auf die Extremsituationen, auf die Großeinsätze ausgerichtet ist.

Der finale Rettungsschuss macht sich eben nicht so gut in Image-Broschüren. 
Man muss sehen: Die Polizei ist die einzige zivile Organisation, die als Ultima Ratio auch töten darf. Der Finale Rettungsschuss ist die letzte Möglichkeit des Gewaltmonopols, sich Durchsetzungskraft zu verschaffen. Es zeichnet die Polizei aus, dass sie diese Tatsache nicht verherrlicht und niemand, wie beim Militär, einen Orden dafür bekommt. 

Frustriert das die Beamten? 
Sie gleichen das aus mit eigenen Heldengeschichten über große und kleine Einsätze. Das ist auch Teil der Cop Culture. Es gibt quasi als Pendant zum Seemannsgarn auch eine Art Schutzmannsgarn. Den kennzeichnet zum Beispiel, dass alle nach einer gewissen Zeit immer an allen Stellen waren. Auch der Einsatzkoch. Aber diese Geschichten haben eine sozialhygienische Funktion. In einen Steinhagel von Vermummten zu laufen statt zu flüchten, dazu braucht man eine kulturelle Ausstattung. Wie man das macht, steht in keiner Dienstanweisung. Das leisten Geschichten über das, was man als Cop tut und was man nicht tut. Grundsätzlich aber darf man darf Polizei nicht immer von solchen Ausnahmefällen her denken, sondern vom Alltag her. Es wird ein bisschen verkannt, dass die Polizei ständig an den existentiellen Fragen der Gesellschaft arbeitet, nämlich Leben und Tod. Sie sind immer in der Gefahr, ihr Leben zu riskieren um die anderen vor dem Bösen zu schützen.

Klingt so, als gehörten viele Polizisten auf die Couch des Psychotherapeuten? 
Eins meiner frühen Erlebnisse als Polizist war, dass wir die Wohnung einer alten Dame öffnen lassen mussten, deren Briefkasten seit Wochen überquoll. Die Frau lag tot in der Küche, aber ihr Hund war noch quietschfidel. Der hat ihre Eingeweide herausgenagt. Mit dieser Extremsituation bin ich umgegangen wie wahrscheinlich alle Berufsanfänger: Ich habe mir bei den anderen abgekuckt, wie man sich verhalten muss, um professionell rüber zu kommen. Auf der Dienststelle gab es dann einen Schnaps und man durfte noch seine Uniform wechseln, weil die nach Leiche stank. Dann war es gut. Aber dieses Bild bleibt. Polizisten, die zehn, zwanzig Jahre im Dienst sind, bei denen reihen sich solche Bilder aneinander. Die fressen das in sich rein, oder suchen sich höchstens einen Kollegen, der sie versteht. So etwas wie therapeutische Supervision lehnen die regelmäßig ab. Auch ein institutionalisiertes Reflektieren der Alltagsarbeit gibt es bei der Polizei nicht, da herrscht prozessuale Rationalität vor, das heißt, es geht in der Regel um das „wie“, nicht um das „warum“ der Polizeiarbeit. Es werden Gesetze gelernt und auch, wie die Dinge gemacht werden. Aber wie man damit umgeht, wenn der Dienst zur Belastung wird, das bleibt dem Einzelnen überlassen. Natürlich gibt es Hilfsangebote in der Polizei. Viele interne Beratungsstellen stehen mittlerweile zu Verfügung. Aber zu den meisten muss man aktiv hingehen und sich als „Problemfall“ outen. Das tut ein Polizist natürlich nicht so gerne.

Freuen sich die Cops insgeheim darauf, wenn ein Großereignis mit Randale bevorsteht? 
Von der Polizeiführung wird dramatisch vernachlässigt, dass Polizisten nicht nur ihren Dienst versehen, sondern dass die Cop Culture erlebnisorientiert ist –wohingegen die Polizeibürokratie ergebnisorientiert ist. So Daten wie 1. Mai und Castortransporte, markieren sich viele Kollegen rot im Kalender, dass sie da auf keinen Fall dienstfrei haben wollen – um nichts zu verpassen. Es geht nicht darum, dass Gewalt herbeigesehnt wird. Aber es geht um das gemeinsame Erlebnis. Wenn jemand erzählt, wir sind als Berliner Landesreserve mit Hubschraubern nach Hamburg geflogen worden, um dort zu unterstützen. Wow! Davon erzählen die noch zehn Jahre. Und von Generation zu Generation wird immer wieder gesagt, dieser Einsatz jetzt – zurzeit ist es zum Beispiel der G8-Gipfel in Rostock – ist der Schlimmste, den man je erlebt hat. Dieses Bedürfnis nach Steigerung ist stark. Dabei gab es hier die Hafenstraße, wo schon Vietkongtaktik vom Härtesten angewandt wurde. 

Werden die Polizisten vor solchen Einsätzen in Prügellaune gebracht? 
Nicht absichtlich. Aber mir haben Polizisten erzählt, dass ihnen schon oft vor Einsätzen wie auf dem 1. Mai in Berlin Filme vom Vorjahr gezeigt worden sind. Offiziell als Lehrfilme, weil man sie nicht naiv ins Rennen schicken will. Aber wenn diese Filme dann sogar mit Stakkatomusik und harten Beats unterlegt werden, erreicht man das Gegenteil von dem, was man offiziell will. Ich halte solche unkommentierte Einsatzvorbereitung für hoch kontraproduktiv: Man heizt die Leute noch auf. Das erzeugt ja auch Gefühle, wenn man im Film sieht, wie Kollegen überrannt oder zusammengeschlagen werden. Da kann sich schon die ein oder andere Faust in der Tasche ballen. Ich habe eine G8-Gipfel-Nachbereitung gesehen in Schleswig Holstein, das war die reine Aneinanderreihung von Actionfilmsequenzen. Da ging es nicht um Nachbereitung, da ging es ums Hochlebenlassen. 

Verraten Sie uns doch mal Ihre wichtigsten Ermittlungsergebnisse als Forscher? 
Am klügsten wäre es, Persönlichkeiten zu finden, die beides in sich vereinen: eine gewisse Gewaltbereitschaft, die nicht zur Gewaltaffinität wird. Ansonsten muss die Führung ihre Leute besser kennen, um einzelne Heißsporne bändigen zu können. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Auf Demos gibt es häufig so statische Verhältnisse gibt, wo sich Polizei und Demonstranten einen verbalen Schlagabtausch liefern. Da kann man als Einheitsführer frühzeitig registrieren: Mein Obermeister Müller da vorne, der rastet gleich aus. Dann holt man den erstmal weg von der Front. In diesem Stadium ist noch mehr zu machen, als wenn die Steine schon fliegen. Oder nehmen wir den tödlichen Schuss auf den Autodieb in Schönfließ Brandenburg. Dort muss man schauen, wie war diese Fahndungsgruppe strukturiert? Haben die sich vorher hochgeschaukelt? Waren das alles Männer vom Typus des Jägers? Den braucht die Polizei natürlich auch, aber man muss ihm Kollegen zur Seite stellen, die besonnener sind. Damit die Eskalationsspirale gar nicht erst in Gang kommt. Man braucht eine gute Personalmischung. Mehr ältere Leute, die nicht mehr so aktionsorientiert und mehr Frauen, die ja auch deutlich weniger anfällig dafür sind, auf Provokationsrituale einzugehen.

In den letzten Jahren wurden ja kräftig Frauen rekrutiert. Ist weibliche Intelligenz das Allheilmittel gegen die Auswüchse der Cop Culture?

Ich meine nicht, dass Frauen an sich die besseren Menschen sind. Die lassen auch mal Leute den Adler machen – also an der Wand Arme und Beine breit zur Durchsuchung – aber in der Regel mit weniger Affekt. Insofern sind für mich Frauen auch ein wichtiger Teil der Lösung, um die Cop Culture nach und nach professioneller zu machen. Zu meiner Zeit als Polizist gingen die Männer nach dem Dienst zusammen auf die Bude, haben sich drei Kasten Bier geholt, Frauenwitze gemacht, über Autos gesprochen und der Abend war gerettet. In vielen der Einheiten, die ich in jüngerer Zeit begleitet habe, sind die Verhältnisse inzwischen ganz anders: Da gibt es viele Frauen, man geht nach dem Dienst zusammen in die WG und kocht oder geht gemeinsam aus. Da herrscht nicht mehr diese homosoziale Saufkultur. Natürlich nehmen die sich auch libidinös war. Das ist ja nichts was die Polizei schwächt oder schlechter macht. 

Womit wir zu dem Mythos vom Sex im Dienst kommen. 
Das gemischtgeschlechtlich besetzte Streifenwagen gerne mal in den Feldweg einbiegen, das ist in der Tat ein Mythos, der am Anfang, als Polizistinnen noch Mangelware waren, polizeiintern sehr die Runde machte. Das wird aber mit der zunehmenden Integration von Frauen weniger. Solche Geschichten hört man nur noch in absoluten Ausnahmefällen, wenn eine besonders attraktive Kollegin in Erscheinung tritt. Rein statistisch fahren übrigens Streifenwagen mit reinen Männerbesatzungen viel häufiger in den Wald – aber einfach um zu schlafen, weil sie in Ruhe gelassen werden wollen. Sie nennen es dann Präventivstreife, was ja auch stimmt. Dort, wo sie stehen, passiert in der Regel nichts. Man muss aber sagen, dass das – zumal in der Großstadt – heute die Ausnahme ist. 

Wo wir schon bei Polizei-Mythen sind, helfen Sie uns doch bitte, ein paar davon aufzuklären. Wird das Blaulicht wirklich auch mal auf dem Weg zur Pommesbude eingeschaltet? 
Nein, das ist ausgeschlossen.

Erhöht die Polizei die Zahl der Radarkontrollen, wenn der Stadtsäckel dringend gefüllt werden muss? 
Das wüsste ich ehrlich gesagt auch gerne. Also die staatliche Vollzugspolizei, die auch Geschwindigkeitskontrollen macht, ist weniger verführbar, der Stadt den Säckel zu füllen, weil die an die Stadt nichts abdrückt. Die drückt ans Land etwas ab und davon kriegt dann wieder proportional die Stadt etwas. Aber das ist, würde ich sagen, ein Mythos für Verschwörungstheoretiker.

Stimmt es, dass der Funkspruch „Wir brauchen Unterstützung“ manchmal größere Kettenreaktionen in Gang setzt? 
Mittlerweile ist dieser Spruch sogar ein Djingle, den man per Knopfdruck funken kann. Was dann folgt, ist erstmal ein kollektiver Adrenalinanstieg. Vor einiger Zeit gab es hier am Heiligeistfeld so einen Fall: Es hieß, da ist eine Massenmesserstecherei. Dann kam der erste Wagen dort an, sah dass das eine unüberschaubare Lage ist und forderte Unterstützung an. Innerhalb von kurzer Zeit waren 52 Streifenwagen da. Das muss man sich mal vorstellen: 52 Blaulichter rasen durch die Stadt, treffen sich auf einer Straße, blockieren alles, und dann stehen da innerhalb von 10 Minuten 100 Polizisten. Das ist positive Cop Culture. Es dient dem Zusammengehörigkeitsgefühl. Eine Versicherung der Gefahrengemeinschaft. Dieses starke Gefühl bekommen Street Cops sonst nirgendwo mehr.

Sind die Berliner mit ihrem preußischen Naturell wirklich besonders gut für den Polizeidienst geeignet?

Ich will dem Berliner an sich nicht zu nahetreten und kann natürlich auf dieser abstrakten Ebene nicht ja und nicht nein sagen. Aber es gibt schon Beispiele dafür, das das Auftreten unterschiedlich bewertet wird: Als Berliner Hundertschaften im Großeinsatz nach Ahaus in Nordrhein-Westfalen ausgeliehen wurden, da haben sich die nordrheinwestfälischen Einheitsführer hinterher heftig beschwert, weil die Berliner direkt und ziemlich brutal eine Schneise geschlagen und damit die nordrheinwestfälische Linie missachtet haben, die erstmal stark auf Kommunikation setzt. Das ging bis rauf auf die Ebene des Senators und Innenministers. Die Berliner sind durch den Einsatz im urbanen Raum eben anders geprägt. 

Was sind das eigentlich immer für adipöse Kollegen, die in Berlin Gebäude bewachen, zum Beispiel die Synagoge in der Oranienburger Straße? Müssen die sich gar nicht fit halten? 
Das ist nicht die Vollzugspolizei. Das sind nur Angestellte, polizeiähnliche Organe, die nur für den Objektschutz da sind. Aber für den Laien nicht von Polizei zu unterscheiden. Das sind genau die Leute, die mir Sorge bereiten. Gegen Beleibtheit ist ja gar nichts einzuwenden, aber deren Auftreten ist keine gute Visitenkarte für die Polizei. Genauso habe ich auch gegen Kahlköpfige etwas, weil die mir zu skinheadmäßig aussehen. 

Reagieren Polizisten, die privat in eine Polizeikontrolle kommen, eigentlich auch so genervt? 
Wenn sie keinen Dienstausweis dabei haben, ja. Sonst zeigen sie den direkt vor. Das ist schon Teil der Bruderhorde. Wenn man einen Nutzen davon hat, dass man Polizist ist, dann macht davon auch Gebrauch. Nicht selten fahren Polizisten im Urlaub auch erstmal auf die örtliche Polizeidienststelle, um sich vorzustellen. Es gibt da schon so eine Fraternisierung. 

Sind Fernsehkommissare die Vorbilder für Polizisten? 
Für jüngere Polizisten wirken mediale Inszenierungen schon in die Polizei zurück. Aber weniger von Polizeifilmen sondern eher von Rambo und Van Damme, also eher so die Rächer der Witwen und Waisen. Tatort oder so sind keine filmischen Vorbilder. Die fiktiven Vorbilder finden sich eher in Actionfilmen, die nicht aus Deutschland kommen. Aber das wächst sich dann später in der Regel aus. 

Müsste man Migranten konsequenter für die Polizei rekrutieren, um die Gesellschaft, die man schützen soll, besser zu verstehen? 
Wenn es um kulturelle Vielfalt geht und die Erhöhung der Kompetenz damit umzugehen, dann bin ich ganz bei ihnen. Aber was derzeit geschieht, ist dass man nach Migranten sucht wie ein Teufel, Hauptsache man findet jemand, der eine andere Nationalität hat und anders aussieht. Das führt in die falsche Richtung. Vorrangig muss es um die Erhöhung der Kompetenz gehen. Also vom reinen „Sein“ zum „Können“, wenn Sie so wollen. 

Und Homosexuelle, haben die mittlerweile Aufstiegschancen bei der Polizei? 
Ja, aber nur wenn sie nicht zu effeminiert sind. Wenn da jemand so richtig als Tunte auftritt, dann wäre das wirklich ein Angriff auf das Herz des Polizisten. Ihn in seiner Geschlechtsidentität in Frage zu stellen, das geht überhaupt nicht. 

Dann ist der offizielle Anspruch der Polizei, Abbild der Gesellschaft zu sein, scheinbar auch nur ein Mythos. 
Es wird gerne gesagt, die Polizei repräsentiere die Gesellschaft, aber das stimmt natürlich nicht. Und in Teilen bin ich auch ganz froh drum, sonst müssten wir auch neun Prozent Rechtsradikale in der Polizei haben. Allerdings haben wir auch wenig Intellektuelle und Radikalpazifisten. Ganz viele Leute, mit denen Polizisten zu tun haben, sind in der Polizei nicht repräsentiert. Und kein Mensch beschwert sich darüber. 

Müssen Gesetzeshüter zwangsläufig wert- und strukturkonservativ sein und hinter dem schnellen gesellschaftlichen Wandel heute hoffnungslos zurückbleiben? 
Ich weiß nicht, ob sie es sein muss, aber faktisch ist das so. Die Polizei sucht sich in der Regel Kontinuitätsakteure, die keine Unruhe reinbringen. Man holt nicht die gesellschaftliche Avantgarde in die Polizei. Deswegen ist die Polizei aber auch ein natürlicher Gegner, für diese Kinder, die hier in Hamburg am 1. Mai Krawall machen wollen. Weil die Polizei diszipliniert nach Regeln kämpft und weil sie ein Übermaßverbot hat. Die Polizei ist für die Jugendlichen in unübersichtlichen Zeiten ein berechenbarer Gegner. Und das regt wiederum die Polizisten natürlich mordsmäßig auf. 

Für zivilen Ungehorsam hat so eine Institution offensichtlich auch nicht viel übrig. Die Kritik an Vizebundestagspräsident Thierse und seiner Sitzblockade gegen die Nazidemo in Berlin war unwirsch: Der Chef der Polizeigewerkschaft nannte Thierses Verhalten ‚würdelos’. 
Die Polizei fühlt sich immer so schnell in ihrer Arbeit behindert und sieht gar nicht, dass ein Bundestagsabgeordneter und Politiker ein anderes Mandat hat. Das gibt es eine relativ egozentrische Wahrnehmung: Wenn sich also die Polizeigewerkschaft immer so schnell beklagt, dass die Gesellschaft nicht voll hinter ihr stünde. Da wird nicht gesehen, dass Thierse hier etwas gemacht hat, das irgendwann vielleicht mal Geschichte schreiben wird. Andererseits gibt es mit jeder neuen Berufsgeneration auch neue Vorstellungen von einem guten Polizeidienst. Das Auftreten der Polizei wird im Laufe der Zeit natürlich schon modernisiert und angepasst. 

Ist es für weltoffenere Polizisten nicht mitunter der blanke Horror, auf Demos gegen die eigene Überzeugung den Staatsdiener machen zu müssen? 
Das hat schon mit der Friedensbewegung und ihrer neuen Protestkultur angefangen, als nicht mehr eine Avantgarde von Studenten und Intellektuellen GEGEN etwas eintrat – z.B den Muff der Talare – sondern FÜR etwas, nämlich für den Erhalt von Frieden und Umwelt. Damals haben viele Polizisten umgedacht. Vorher konnte man Demonstranten abstempeln als Studenten, die sich als Berufsdemonstranten durchschlagen. Aber dann kam Tschernobyl und es zogen auch Mütter auf die Straße, die einfach nur saubere Milch für Ihre Babys wollten. Das war so die Zeit, als die Grünen als Partei für einige Polizisten attraktiv wurden. Auch an der Startbahn West war es so. Da ist manch Einer in die innere Immigration gegangen. 

Zurück in die Gegenwart: Geben Sie uns doch mal ein paar Regeln an die Hand, wie wir im Umgang mit Polizisten möglichst ungeschoren davon kommen. 
Grundsätzlich empfehle ich, es nicht auf einen Machtkampf ankommen zu lassen: Ihr habt mir nichts zu sagen, oder ich bin stärker – diese Geringschätzung der staatlichen Autorität führt immer zu einer Erwiderung nach dem Motto: Wir zeigen dir jetzt mal, wer hier der Stärkere ist. Dem kann ein Polizist schlecht ausweichen. Gut durchkommen wird, wer sagen kann, ach meine Herren, sie machen ja auch nur Ihren Dienst, es tut mir leid, ich war ein bisschen verwirrt. Wenn man Polizisten das Gefühl gibt, dass man ihre Regeln anerkennt. 

Soll man nachts um 3 Uhr mit dem Fahrrad an der Bauampel stehen bleiben, nur weil ein Streifenwagen in Sichtweite steht? Oder anders gefragt: Erwarten Polizisten, dass man für sie Theater spielt? 
Die denken nicht in der Logik ‚wenn er jetzt anhält, dann spielt er für uns Theater und das ist eigentlich unwürdig’. Die denken: ‚Der sieht doch, dass wir da sind, das macht er jetzt nur, um uns zu provozieren.’ Polizisten geht es erstmal um Recht und Gesetz. Und sie erwarten eine gewisse Achtung vor ihnen als Repräsentanten des Staates. Wenn man das demonstrativ verweigert, dann fühlen sich die Kollegen provoziert. 

Empfehlen Sie eine Humoroffensive gegenüber dem Schutzmann? 
Das ist eine gefährliche Angelegenheit. Also ich würde mit Humor warten, bis er von der Polizei ausgeht. Das kann sonst schnell als Arroganz ausgelegt werden. Außerdem haben die Polizisten und der Beanstandete oft nicht ganz denselben Humor. Ich erinnere mich an einen Fall, wo ein cholerischer Südländer im Straßenverkehr angehalten wurde und dann wie von der Tarantel gestochen um sein Auto herum sprang, sich das Hemd aufriss und immer schrie, ‚was glaubt Ihr wohl, ich hab den schwarzen Gürtel!’. Der Einsatzleiter hat dann sehr ruhig auf seinen eigenen Gürtel gezeigt und ganz nonchalant gesagt, ‚na ja, und ich hab die P6’. Damit war zumindest für die Kollegen die Spannung raus, die konnten herzhaft lachen. Die wussten, dass der Einsatzleiter sich nicht auf die Aggressionsdynamik einlässt. Der Südländer wiederum fand das gar nicht lustig. 

Erliegen Polizisten eigentlich oft dem Bedürfnis, Selbstjustiz zu üben und Delinquenten direkt zu bestrafen? 
Viele Polizisten denken wirklich in Kategorien von Schuld und Sühne. Sie wissen natürlich, dass sie Delinquenten nicht vor Ort bestrafen dürfen, aber sie sehen das Justizsystem als zu lasch an und wünschen sich, dass die Leute anständig bestraft werden. Deshalb kann es einem passieren, dass man wegen Fahrradfahrens auf dem Gehweg 20 Euro zahlen muss – was völlig überflüssig ist. Bei schwereren Delikten wird sicher auch der Adler als Demütigung eingesetzt. 

Was muss man sagen, damit der Cop garantiert rot sieht? 
Wenn man ihn in seiner Ehre total diskreditiert. Wenn er nur noch so Worte wie ‚Saubulle’ oder ‚Nazi’ hört oder ‚ich weiß, wo deine Kinder wohnen’. Da ist die professionelle Schale häufig nicht dick genug. 

Aber mal ehrlich, nicht selten geht die Provokation doch auch vonseiten der Polizei aus. 
Street-Cop-Culture zeichnet sich wie gesagt durch gewaltbereite Männlichkeitsrituale aus, da gehört auch ein gewisses Maß an Provokation mit ins Repertoire, oder zumindest Hahnenkampfspiele. In manchen Konstellationen geht es wirklich darum, um es mal vulgär-psychoanalytisch zu sagen: wer den längeren Penis hat. 

Und der Schlagstock ist die Penisverlängerung? 
Etwas Phallisches hat der unbestreitbar. 

Sehnen sich Deutschlands Polizisten nach einer Uniform, die ihre Machtposition deutlicher zum Ausdruck bringt? 
Ich sammle Sprüche und Informationen darüber. Demnach wird die neue Hamburger Uniform, die blaue, mehr geschätzt, weil sie nach amerikanischem Vorbild Respekt einflößt. Klar ist auch: Man zieht eine Uniform nicht an wie einen Schlafanzug. Gerade mit jungen Leuten macht es etwas, wenn sie in Uniform dastehen. Da verändert sich der Habitus und die Psyche. Besonders wenn Schutzkleidung angelegt wird – man nennt das aufrödeln oder aufturtlen, weil man dann schon so ein bisschen schildkrötenmäßig aussieht mit so einem Brustpanzer, einem dicken Helm und den Armschützern. Da ist man nicht mehr Freund und Helfer, das ist man Krieger. weil man die eigene Haut zu Markte trägt.

Hooligan oder Wirtschaftskrimineller – wer ist beliebter? 
Die von der Schutzpolizei können sicher mit Hooligans besser als mit Wirtschaftskriminellen. Wenn ich als Schutzmann – was mit früher auch immer schwer gefallen ist – jemanden anhalte in einer Nobelkarosse und der sagt dann ‚mit Ihnen rede ich nicht, ich rufe gleich meinen Rechtsanwalt an’ oder ‚Vorsicht, ich kenne den Polizeipräsidenten, der ist mit mir im Lions Club’, dann kriegt man so einen Hals! Die Arroganz der Mächtigen ist für Schutzleute schwer auszuhalten. Mindestens genauso unbeliebt sind aber politische Extremisten. Weil es denen darum geht, vorzuführen, dass sie ganz woanders stehen und im Besitz der einzigen Wahrheit sind. 

Man hat in Polizeikontrollen manchmal den Eindruck, dass es nicht so gut ankommt, wenn man sich halbwegs gewählt ausdrücken kann. Gibt es bei der Polizei einen Standesdünkel gegenüber sozial und bildungsmäßig Höherstehenden?

Dieses Problem nimmt ab, seit wir bei der Polizei nur noch Leute mit Abitur rekrutieren. Aber ich kenne diese Kollegen, die aus Sorge, sie könnten was Falsches sagen, blödes Amtsdeutsch benutzen, wie es im Gesetz steht. Gerade wenn Sie Leuten gegenübertreten, die einen Doktortitel haben. Dann fallen die in einen Jargon, der unmöglich ist. Man muss davon ausgehen, dass es ein hochsymbiotisches Verhältnis gibt zwischen Polizei und ihrer Klientel gibt. Deswegen sind sie ja strukturell immer dann überfordert, wenn sie mit Leuten zusammenkommen, die sozial weit über ihnen stehen. 

Sie beschreiben die Streifenpolizisten in ihrem Buch als „polizeiliche Unterschicht“, was Status und Bezahlung betrifft. Muss man sich Sorgen machen, dass die ihren Frust an einem auslassen? 
Nein, im Normalfall nicht. In Ausnahmefällen kommt es zu Situationen, wo sich aufgestauter Frust entlädt. Das sind dann Skandale, wie der im Jahr 2003 in Köln Eigestein. Da hatte ein kräftiger Mann, der wegen Hausfriedensbruch festgenommen werden sollte, die Polizisten verprügelt. Auf der Wache wurde der dann von einem regelrechten Empfangskomitee begrüßt, die ihn so verprügelt haben, dass er gestorben ist. Das hat zur Auflösung dieser Wache geführt. Aber im Normalfall kann man Frustration als Einsatzmotivation ausschließen.

Ist eigentlich für viele Bewerber der Einstieg bei der Polizei die Chance für einen sozialen Aufstieg?

Das war es mal. Über lange Zeit war Polizei so ein Transmissionsriemen nach oben. Das ist heute nicht mehr so. Weil wir vom Prestige her den Polizeiberuf aufgewertet haben, so dass viele auch mit Universitätsabschluss oder Fachhochschulabschluss in die Polizei hinein streben. Früher war es so, dass die Polizeihauptmeister ihre Kinder auf die Uni geschickt haben und froh waren, wenn die einen anderen, einen „richtigen“ Beruf erlernt haben. Heute empfehlen Eltern ihren Kindern auch wieder, zur Polizei zu gehen. Das ist auch gut so, denn die Polizei ist ein studienfähiger Beruf geworden.

Frauen und Abiturienten als die neue Hundertschaft, mit der die Cop Culture aufgebrochen wird? 
Das ist auf jeden Fall der Nachwuchs, der da nicht mehr da reinfallen soll. Der Nachwuchs, bei dem wir alles dafür tun werden, damit er Cop Culture und offizielle Polizeikultur verbindet. Für mich gibt es deutliche Hinweise auf einen Wandel. Es mehren sich die Fälle, dass Einheiten keine monolithischen Blöcke mit Korpsgeist mehr sind, sondern dass einer oder zwei mit drin sind, die sagen, da mache ich nicht mit, das zeige ich jetzt an. So wie neulich in Hamburg, als ein Festgenommener in der Polizeiwache geohrfeigt wurde, von dem stellvertretenden Wachhabenden. Und dann hat ein Kollege, der aus einer anderen Einheit kam gesagt, das gibt es nicht, das zeige ich an. Ich nenne das „Breaking the Code of silence“.

Kehrt sich jetzt das Problem bald um? Muss man bei so behüteten Abiturienten die nötige Gewaltaffinität erst kultivieren? 
Ja, wir müssen in der Tat die gut erzogenen jungen Leute, die ein einigermaßen ausgeprägtes Normenverständnis haben, darauf vorbereiten, dass sie Gewalt anwenden müssen. Die müssen lernen, am Samstag Nachmittag auf dem Fußballplatz gegen Hooligans vorzugehen, die alle besoffen sind und zuschlagen. Denen müssen wir sagen, ihr geht jetzt auf die Schanze oder nach Kreuzberg und schlagt Euch dort mit Leuten herum, mit denen ihr nichts mehr gemeinsam habt. Wenn ich hier unsere Studenten sehe, die alle so brutal naiv-bürgerlich hier ankommen, dann kriege ich schon manchmal väterliche Gefühle. Die werden qua Beruf sozusagen seelisch beschmutzt. Aber das ist ein Prozess, den kann ich ihnen nicht ersparen.

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